Dreiecke und Differenzierbarkeit.

Topologie von Flächen (oder höher-dimensionalen Mannifaltigkeiten) wird oft einfacher, wenn man Differentialrechnung auf der Fläche betreiben kann. Damit man das kann, muß die Fläche eine differenzierbare Struktur besitzen. Wir wollen heute beweisen, daß jede Fläche eine differenzierbare Struktur besitzt.

Jede Fläche läßt sich triangulieren: das folgt letztlich aus dem Satz von Schoenflies (TvF 163), wie wir in TvF 177 angedeutet hatten. (Ein detaillierter Beweis ist im Buch von Moise.)

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cis.jhu.edu/education/introPatternTheory/additional/curvature/curvature25.html

Wie kann man nun auf einer triangulierten Fläche eine differenzierbare Struktur definieren?

Zur Erinnerung: eine differenzierbare Struktur auf einer Fläche war ein Atlas, dessen Kartenwechsel differenzierbar sind (TvF 180): um jeden Punkt gibt es eine Karte, d.h. eine Abbildung auf eine Teilmenge der Ebene, und wenn ein Punkt zu mehreren Karten gehört, dann sind die Kartenwechsel (Koordinatentransformationen) differenzierbar.

Für die Punkte im Inneren eines Dreiecks kann ich natürlich leicht eine Karte definieren: ich nehme einfach die baryzentrischen Koordinaten (λ123) des Dreiecks (unten zwei Beispiele aus der Wikipedia), und “vergesse” die dritte Koordinate (wegen λ123=1 bestimmen die ersten beiden Koordinaten die dritte eindeutig) und bekomme durch 12) eine Koordinatenabbildung des Dreiecks-Inneren auf die Ebene.

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Damit haben wir Karten für Punkte im Inneren eines Dreiecks.
Was machen wir mit Punkten, die auf einer Dreiecksseite (aber nicht in einem Eckpunkt) liegen? Weil es sich um die Triangulierung einer Fläche handelt, gehört diese Dreiecksseite zu zwei Dreiecken. Für das Innere dieser beiden Dreiecke haben wir jeweils die durch baryzentrische Koordinaten gegebenen Karten. Aus der Definition der baryzentrischen Koordinaten folgt (wenn wir jeweils die Ecken der Kanten als erste und zweite Kante des Dreiecks festlegen und damit jeweils die Kordinaten (λ12) berechnen), daß die baryzentrischen Koordinaten der beiden Dreiecke auf der gemeinsamen Kante übereinstimmen. Wir bekommen damit also eine stetige Abbildung von einer Umgebung der Kante in die Ebene, die allerdings nicht injektiv ist (beide Dreiecke werden in dieselbe Halbebene abgebildet). Dieses Problem kann man aber beheben, indem man das eine Dreieck an der Kante spiegelt. Danach hat man eine stetige, injektive Abbildung in die Ebene.
Die Kartenübergänge mit den vorher für die Punkte im Dreiecks-Inneren definierten Karten sind entweder die Identität oder die Spiegelung an einer Geraden, in jedem Fall also differenzierbare Abbildungen.

Damit haben wir Karten um die inneren Punkte der Dreiecke und um die Punkte, die auf einer Kante liegen. Kann man auf dieselbe Weise auch Karten um die Eckpunkte der Dreiecke konstruieren? Das folgende Bild zeigt, daß dies nicht so einfach ist:

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Wenn man sich diese Triangulierung der Sphäre (das Ikosaeder) anschaut und jedes Dreieck mittels baryzentrischer Koordinaten in die Ebene abbildet (und die Bilder dann noch weiterdreht um die Abbildung injektiv zu machen), dann stellt man fest, daß sich die Innenwinkel der 5 Dreiecke nur zu 300o aufaddieren statt, wie es für eine Karte eigentlich sein sollte, zu 360o.
Man hat also das Problem, das man mit einer direkten Anwendung der baryzentrischen Koordinaten einen Gesamt-Winkel γ am Eckpunkt bekommt, der nicht unbedingt 360o sein muß.

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Wie kann man diesen Winkel nun vergrößern oder verkleinern? Rechnerisch am einfachsten geht das mit ein wenig Funktionentheorie. Wir denken uns die Ebene als die komplexe Zahlenebene C und den Eckpunkt als 0. Die Abbildung z—>zn bildet den Einheitskreis auf sich ab, wobei sie Winkel im Nullpunkt mit n multipliziert. (Dabei muß n keine natürliche Zahl sein, sondern kann irgendeine reelle Zahl sein.) Wenn wir n=360/γ nehmen, bekommen wir als Bild also eine offene Teilmenge der Ebene, die wir als Karte verwenden können.
Warum sind die Kartenübergänge mit den vorher definierten Karten differenzierbar?
Nun, zwar sind z—>zn und seine Umkehrabbildung im Nullpunkt evtl. nicht differenzierbar (das hängt vom jeweiligen Wert von n ab), aber außerhalb des Nullpunktes sind sie es schon. Da wir die Karten vorher immer so gewählt hatten, daß sie die Eckpunkte des Dreiecks nicht enthalten, müssen wir jetzt die Kartenübergänge auch nur außerhalb der Eckpunkte betrachten und dort sind sie tatsächlich differenzierbar.
Damit haben wir also zu der Triangulierung einen differenzierbaren Atlas definiert.

Höherdimensionale Verallgemeinerungen. Wie sieht es bei höher-dimensionalen Mannigfaltigkeiten mit Triangulierbarkeit und “Glättbarkeit” (Existenz einer differenzierbaren Struktur) aus?

Ein Satz von Whitehead besagt, daß sich jede differenzierbare Mannigfaltigkeit triangulieren läßt. Andererseits gibt es topologische 4-Mannigfaltigkeiten, die sich nicht triangulieren lassen (und die deshalb auch keine differenzierbare Struktur haben können), das einfachste und bekannteste Beispiel ist Freedmans E8-Mannigfaltigkeit, eine geschlossene, einfach zusammenhängende, 4-dimensionale Mannigfaltigkeit, deren Schnittform das E8-Gitter ist. (Ihre Nicht-Triangulierbarkeit folgt aus Eigenschaften der Casson-Invariante.) In niedrigeren Dimensionen läßt sich jede Mannigfaltigkeit triangulieren, in Dimension > 4 ist die Frage offen.

Wir hatten oben gezeigt, daß man zu jeder triangulierten Fläche einen differenzierbaren Atlas definieren kann. Gibt es dazu eine höherdimensionale Verallgemeinerung? In der Literatur betrachtet man diese Frage meist für spezielle Triangulierungen, sogenannte PL-Triangulierungen, bei denen der Stern jeden Punktes (die Vereinigung aller abgeschlossenen Simplizes, die diesen Punkt enthalten) ein simplizialer n-Ball ist. Die Antwort ist negativ und die Grundidee ist folgende: es gibt einen klassifizierenden Raum BO(n) für differenzierbare Strukturen, einen klassifizierenden Raum BPL(n) für PL-Strukturen und eine Faserung BO(n)–>BPL(n). Die Faser bezeichnet man suggestiv mit PL(n)/O(n). Eine PL-Struktur auf M entspricht einer Abbildung M–>BPL(n), eine differenzierbare Struktur einer Hebung M–>BO(n) und die Obstruktionen für eine solche Hebung liegen in den Kohomologiegruppen Hk(M,πk-1PL(n)/O(n)).
Insbesondere wären differenzierbare Theorie und PL-Theorie äquivalent, wenn PL(n)/O(n) kontrahierbar ist.
Zum Beispiel für n=2 oder n=3 ist PL(n)/O(n) kontrahierbar, weshalb es in diesen Dimensionen zu jeder PL-Struktur eine differenzierbare Struktur gibt.
Allgemein kann man zeigen: wenn PL(n-1)/O(n-1) kontrahierbar ist, dann ist PL(n)/O(n) genau dann kontrahierbar, wenn der Alexander-Trick (benannt nach J.W.Alexander, dem Erfinder der Alexander-Sphäre, der Alexander-Dualität und des Alexander-Polynoms, dessen Todestag sich übrigens am letzten Samstag zum 40. Mal jährte) für Dn in der differenzierbaren Kategorie funktioniert, d.h. wenn je zwei Diffeomorphismen von Dn, die auf dem Rand übereinstimmen, differenzierbar isotop sind. Letztlich kann man zeigen, daß in Dimension ≤ 7 alle PL-Mannigfaltigkeiten eine differenzierbare Struktur haben.
Einen schnellen Überblick über das Thema geben Ranickis Folien zur Siebenmann-Geburtstagskonferenz.


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