Bereits mehr als 30.000 Aufrufe nach einer Woche hat ein YouTube-Musikvideo zum Banach-Tarski-Paradox.

Das Banach-Tarski-Paradox sagt, daß man eine Sphäre in Stücke zerlegen kann, die anders zusammengesetzt zwei Sphären derselben Größe ergeben. Veranschaulicht wird das gerne mit einer Apfelsine, deren Schale man in Stücke reißt und anders wieder zusammensetzt:

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Das hat die dänischen Studenten wohl auf die Idee für das Banach-Tarski-Video gebracht:

Man kann, nun ja, nicht wirklich behaupen, daß das Thema sehr intelligent umgesetzt worden wäre oder daß das Video überhaupt etwas mit paradoxen Zerlegungen zu tun hätte, außer daß ständig viele Apfelsinen vorkommen. (“Not once in this video did I see a non-measurable set.” kommentiert ein enttäuschter Zuschauer auf YouTube.)

Tatsächlich folgt aus dem Banach-Tarski-Paradox die Existenz nicht-meßbarer Mengen: wären die Stücke der oben über dem Video abgebildeten Zerlegung meßbar, dann müßte ihre Summe einerseits der Oberflächeninhalt einer Sphäre, andererseits der Oberflächeninhalt zweier gleichgroßer Sphären sein, ein offensichtlicher Widerspruch. (Explizit konstruieren kann man diese paradoxen Zerlegungen und die nicht-meßbaren Mengen aber nicht. Das Banach-Tarski-Paradox und damit auch die Existenz nicht-meßbarer Mengen sind eine Konsequenz aus dem Auswahlaxiom, welches ein Axiom ist und sich nach Cohen aus den anderen Axiomen der Mengenlehre nicht beweisen läßt. Solovay hat 1970 eine Mengenlehre entwickelt, in der das Auswahlaxiom nicht gilt und jede Teilmenge von R meßbar ist.)

Für die Mathematik ist das Banach-Tarski-Paradox noch aus einem anderen Grund interessant, nämlich wegen des Zusammenhangs mit Eigenschaften von Gruppen.
Das Banach-Tarski-Paradox folgt letztlich daraus, daß es Gruppen von Isometrien der 2-dimensionalen Sphäre gibt, die von unabhängigen Rotationen erzeugt werden: die Isometriegruppe SO(3) enthält freie Untergruppen. Den Cayley-Graphen der freien Gruppe mit 2 Erzeugern (Bild unten) kann man in Stücke zerlegen, die anders zusammengesetzt 2 Kopien des selben Baumes ergeben. (Der Cayley-Graph von F hat eine “paradoxe Zerlegung”.) Explizit: Wenn man im Bild rechts unten mit S(a), S(a-1) usw. die mit a, a-1,… beginnenden Elemente bezeichnet, dann läßt sich F-{e} zerlegen in S(a),S(b),S(a-1),S(b-1), anderseits geben S(a) und aS(a-1) sowie S(b) und bS(b-1) zwei Kopien von F.
Es gibt freie Untergruppen F in SO(3), die Wirkung von F auf der Sphäre hat abzählbar viele Fixpunkte, man bekommt eine Zerlegung der Sphäre in Kopien eines Fundamentalbereiches der F-Wirkung (einen “Baum von Kopien des Fundamentalbereichs”, angeordnet wie der Cayley-Graph im Bild unten, wobei die Kopien des Fundamentalbereichs den Ecken des Cayley-Graphen entsprechen) und die abzählbar vielen Fixpunkte. In völliger Analogie zur “paradoxen Zerlegung” des Cayley-Graphen hat man eine “paradoxe Zerlegung” für den “Baum von Kopien des Fundamentalbereichs” (und muß dann noch die abzaählbar vielen Fixpunkte unterbringen, für Details siehe Kapitel 2 in Lubotzky: Discrete Groups, Expanding Graphs and Invariant Measures) und das beweist das Banach-Tarski-Paradox.

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Nachtrag: Ich habe nachträglich (siehe Kommentare unten) die Bemerkung über den Zusammenhang zur Eigenschaft T entfernt (und das rechte Bild zusätzlich eingefügt). Daß die freie Gruppe die abgebildete paradoxe Zerlegung hat, liegt nicht am Fehlen der Eigenschaft T.

Kommentare (6)

  1. #1 rolak
    8. Januar 2012

    Mal ganz abgesehen davon, daß mir der Cayley-Graph unten deutlich besser gefällt als der B-T-clip oben – sind im Moment die internationalen Banach-Tarski-Wochen?

  2. #2 Thilo
    8. Januar 2012

    Reiner Zufall, den anderen Artikel hatte ich nicht gesehen.

  3. #3 Lukasz Grabowski
    8. Januar 2012

    Hast du nicht Eigenschaft T mit Mittelbarheit (amenability) verwechselt?

    Ich meine – du hast Recht dass die freien Gruppen haben die Eigenschaft T nicht, aber das:

    “kann man ihren Cayley-Graphen (Bild unten) in Stücke zerlegen, die anders zusammengesetzt 2 Kopien des selben Baumes ergeben. (Der Cayley-Graph von F hat eine “paradoxe Zerlegung”.)”

    folgt davon, dass die freien Gruppen (mit >=2 Erzugeurn) unmittelbar sind.

  4. #4 Thilo
    8. Januar 2012

    ‘unmittelbar’ für nicht-mittelbar ist eine schöne Wortschöpfung 🙂

    Danke für den Hinweis, ich habe die Bemerkung über Eigenschaft T oben jetzt gestrichen. Es gibt durchaus nicht-T-Gruppen ohne paradoxe Zerlegungen, insofern hat die Konstruktion oben tatsächlich nichts damit zu tun, daß die freie Gruppe nicht-T ist.

  5. #5 frantischek
    14. Januar 2012

    Dödelfrage:
    Gehts hier nur um reine Mathematik oder wäre so eine Zerlegung theoretisch (also wenn man praktisch unendlich kleine Teile jeder Form ausschneiden könnte) wirklich möglich?

    Fasziniert mich grad sehr, leider werd ich aus den Aussagen hier und z.B. auf Wikipedia nicht schlau.

  6. #6 Thilo
    14. Januar 2012

    Theoretisch möglich vielleicht schon, aber bisher hat sie jedenfalls niemand direkt konstruieren können.
    Man konnte bisher nur mathematisch beweisen, daß es solche Zerlegungen gibt, aber nicht wie man sie findet.