Die Wissenschaft hat schon seit Jahren ein großes Problem: Wissenschaftsverlage, die wissen, dass ihre Fachzeitschriften zur Grundausstattung jeder Universitätsbibliothek gehören, nutzen ihre Monopolstellung aus und verkaufen ihre Produkte zu Mondpreisen, etwas um einen Faktor 10 über den realen Kosten der Herstellung. Dabei tragen diese Verlage absolut nichts zum Endprodukt bei: die Herausgeber sind bei Universitäten und Forschungseinrichtungen beschäftigte Wissenschaftler, das Layout besorgen die Autoren selbst mit Hilfe moderner Textverarbeitungsprogramme, beim Verlag fallen nur noch die Druck- und Papierkosten an. Seit Jahren versucht die Wissenschaftsgemeinde gegen diesen Zustand vorzugehen, aber nichts wesentliches hat sich geändert. Beispielsweise gab es Anfang 2012 einen Boykottaufruf gegen Elsevier, der von mehr als 17.000 Wissenschaftlern unterstützt wurde, aber letztlich an der Preispolitik des Verlages nichts wesentliches geändert hat.

Neben diesem großen Problem gibt es auch noch ein kleineres: wer eine zu einem einigermaßen bekannten Forschunginstitut gehörende e-Mail-Adresse besitzt, der bekommt fast täglich e-Mails mit Angeboten, seine Arbeiten (für eine im Kleingedruckten versteckte Gebühr) in Fachzeitschriften (mit seriös klingenden Titeln) eines unbekannten Verlages veröffentlichen zu können oder sogar gleich dem Herausgebergremium dieser Zeitschrift beizutreten. Mein Mailprogramm sortiert diese e-Mails in der Regel automatisch in den Spamordner und ansonsten halte ich es da mit Groucho Marx, dass ich keinem Verein angehören möchte, der Leute wie mich als Mitglied aufnimmt.

Die Zeitschriften, die von solchen Verlagen herausgegeben werden, werden von Mathscinet oder ZentralblattMATH nicht referiert, sie laufen also sozusagen unter dem Radar der Wissenschaftsgemeinschaft. Veröffentlichungen aus solchen Zeitschriften im Lebenslauf anzugeben, wäre bei einer Bewerbung sicherlich nicht besonders hilfreich. Es gibt in Deutschland sicher niemanden in der Wissenschaft, der seine Karriere unreferierten Veröffentlichungen verdankt. (Anders mag das in Entwicklungsländern sein, wo die Beförderung teils tatsächlich von dem formalen Kriterium der Anzahl an Veröffentlichungen in den letzten zwei oder drei Jahren abhängt.) Kurz: es entsteht durch diese Zeitschriften kein wirklicher Schaden. Neben den üblichen Cranks veröffentlichen dort wohl vor allem Arbeitsgruppen, die irgendwelche Nebenprodukte ihrer Arbeit nicht in richtigen Fachzeitschriften unterbringen können und auch noch irgendwie die in ihren Drittmitteln zweckgebunden für Veröffentlichungen vorgesehenen Finanzmittel verbrauchen wollen.

Bleibt die Frage, warum dem Thema nun seit einigen Tagen eine so große Bedeutung beigemessen wird. Einzige plausible Erklärung: nachdem in den letzten Jahren immer mehr von Universitäten und Wissenschaftsgesellschaften betriebene kostengünstige (seriöse) Fachzeitschriften gegründet wurden, fürchten die großen Wissenschaftsverlage jetzt offenbar doch, dass ihnen langfristig die Felle wegschwimmen könnten. Und bauen nun mit Hilfe von Medien und Politik den Popanz der Raubverlage auf, um auf diese Weise dann auch allgemein das Open-Access-Modell diskreditieren zu können.

Ältere Beiträge zu Spamverlagen:

Zeitschriftenspam und die Gauß’sche Korrelationsungleichung (Januar 2017)

Ältere Beiträge zu Raubverlagen:

Hohe Zeitschriften-Preise (März 2008)

Chaos bei Elsevier (November 2008)

Professor He’s Zitate-Farm in der ZEIT (September 2010)

Wissenschaftler aller Länder vereinigt euch! (Januar 2012)

“Nature” siegt vor Gericht (Juli 2012)

Ein Jahr Elsevier-Boykott (Januar 2013)

Open Access – grün oder golden? (Januar 2013)

Elseviers 60 Dollar (Mai 2013)

Intransparenz in Wissenschaftsverlagen (Februar 2015)

Kommentare (11)

  1. #1 roel
    25. Juli 2018

    @Thilo Spannender Beitrag, das könnte die geballte Berichterstattung erklären.

    Aktuell sind auch die Verhandlungen der Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen mit Elsevier auf Eis: “Die überhöhten Forderungen des Verlags Elsevier haben uns gezwungen, die Verhandlungen des Projekts DEAL der Allianz der Wissenschafts­organisationen mit dem Verlag zu unterbrechen.“ siehe: https://www.projekt-deal.de/

  2. #2 Uli Schoppe
    25. Juli 2018

    Ob wir uns mit dem Begriff fake science wirklich einen Gefallen tun ist fraglich. Den bekommt man demnächst wahrscheinlich an jeder Ecke in die Fresse…
    Und wenn mir jemand sagen könnte warum man so einen Qualitatsbeitrag

    https://www.daserste.de/information/reportage-dokumentation/dokus/exclusiv-im-ersten-fake-science-die-luegenmacher-102.html

    braucht…

  3. #3 rolak
    26. Juli 2018

    warum dem Thema nun seit einigen Tagen?

    weil vor einer guten Woche die ersten Ergebnisprodukte einer längeren, gemeinsamen Recherche publiziert wurden. Und so ein Thema ist halt Selbstläufer – Wissenschaftler* ärgern sich über faule Äpfel in der eigenen Gemeinde, AntiWissenschaftler* nehmens als Beweis für die Nichtswürdigkeit der Wissenschaft und viele andere Möglichkeiten mehr.

    die großen Wissenschaftsverlage .. bauen .. Popanz der Raubverlage auf

    Die bisher gesehenen AV-Beiträge waren aber ok, es wurde nicht etwa Open-Access als das Übel an sich präsentiert, sondern als die notwendige Änderung des bestehenden VeröffentlichungsSystemes mit dem Haken, daß eben auch das predatory-Modell sich damit etablieren konnte. Genausowenig Generalkritik wie ein Bericht über einen Messermord automagisch eine Generalkritik an der Messerindustrie ist.

  4. #4 Dr. Webbaer
    26. Juli 2018

    Einzige plausible Erklärung: nachdem in den letzten Jahren immer mehr von Universitäten und Wissenschaftsgesellschaften betriebene kostengünstige (seriöse) Fachzeitschriften gegründet wurden, fürchten die großen Wissenschaftsverlage jetzt offenbar doch, dass ihnen langfristig die Felle wegschwimmen könnten.

    Günstige Publikationsmöglichkeit siegt sozusagen über bekannte Qualität oder “Qualität”, womöglich hat auch hier das Web etwas damit zu tun.

    MFG + weiterhin viel Erfolg!
    Dr. Webbaer

  5. #5 Lercherl
    26. Juli 2018

    Elsevier ist ja auch ein bekannter Herausgeber von Predatory Journals, das Musterbeispiel ist Chaos, Solitons amd Fractals. Siehe die El Naschie-Affäre, z.B. hier: https://www.math.columbia.edu/~woit/wordpress/?p=4851

  6. #6 Thilo
    26. Juli 2018

    Ja, sicher, nur wird das im Sinne der aktuellen Diskussion gar nicht als Raubjournal gesehen.

  7. #7 shader
    27. Juli 2018

    Was ich nicht so ganz verstehe, wenn Elsevier ihre Zeitschriften zu überteuerten Preisen anbieten und die Wissenschaftsgemeinschaft das auch weiß, warum entschließt man sich nicht gemeinschaftlich dazu, die Paper aus diesen Zeitschriften nicht mehr zu zitieren? Damit würde der Impact-Factor dieser Zeitschriften sinken, angesagte Wissenschaftler würden dort weniger veröffentlichen und Uni-Bibliotheken sehen keine große Notwendigkeit mehr, diese Zeitschriften zu kaufen.

    Kann es vielleicht sein, dass vielen Wissenschaftlern das Problem gar nicht bewusst sind?

  8. #8 Lercherl
    27. Juli 2018

    @shader

    ‘”… warum entschließt man sich nicht gemeinschaftlich dazu…”

    “Gemeinschaftlich” ist hier das Schlüsselwort, warum das so schwierig ist. Sobald eine kritische Masse mitmacht, profitieren alle davon. Einzelkämpfer zahlen aber drauf. Ein klassischer Fall des “Prisoner’s dilemma”.

  9. #10 Frank Hill
    Jena
    8. August 2018

    (REM: Schon in einer ähnlichen Diskussion in “Astrodictum simplex” als Kommentar veröffentlicht- aber weil es hier genau so gut passt…. Wenn als redundant betrachtet- bitte keine falsche Scham: Das hier ist keine Kunst, das kann notfalls auch weg 😉 )
    – – – – –
    Mir (als selbst publizierender Naturwissenschaftler und als Gutachter für mehrere -durchaus namhafte und honorige- Journale) stößt die Diskussion um die sog. “Raubjournale” recht unangenehm auf.

    Das fängt bei der Begriffswahl an: “Raubjournal” assoziiert den Begriff “Raubdruck”, also die unautorisierte (und in der Regel unhonorierte) Verbreitung fremden geistigen Eigentums. Das ist allerdings bei den sog. “Raubjournalen” nicht gegeben, sie veröffentlichen –wie die „seriösen“ Journale- originäres geistiges Eigentum ihrer Autoren. Die tatsächliche Qualität, d.h. wie viel “Geist” tatsächlich im “geistigen Eigentum” steckt, ist eine andere Baustelle, hat aber mit “Raub” (bekanntlich definiert als „Eigentumsdelikt mit Gewaltanwendung“) nichts zu tun.
    Angemessener wäre daher wohl der neutrale Ausdruck “Druckkostenjournale”- wie es ja auch “Druckkostenverlage” gibt, in denen jeder seine Weltbeglückungs- oder -untergangsphantasien, seine Forschungen zur prähistorischen Alieninvasion oder seine tief empfunden Liebesgedichte gegen gutes Bares auf Papier (wahlweise: in bits und bytes) ergießen und der Menschheit zur Kenntnis geben kann. (Ob die Menschheit davon jedoch groß Kenntnis nehmen möchte, sei dahingestellt. Zum Glück gibt es keine Lesepflicht….)

    Zudem sind Druckkostenjournale eine –wie ich finde- durchaus adäquate Antwort auf ostasiatische Publikationspraktiken einer- und Wildwuchs beim „peer reviewing“ andererseits. Es ist bekannt, dass sich (auch und besonders im naturwissenschaftlich- technischem Bereich) in den letzten Jahren speziell in China Journale etabliert haben, die von chinesischen Autoren auch (IMHO: vorwiegend) paper recht geringer Qualität, was Neuheitsgrad und Substanz anbetrifft, veröffentlichen. Ob und wie diese Journale peer-reviewed werden entzieht sich meiner Kenntnis. Es ist jedoch bemerkenswert, dass chinesische Autoren vermehrt auch bei Publikationen in „seriösen“ Journalen diese Quellen zitieren, die dadurch peu a peu zu einer Reputation (impact factor) gelangen, die ihnen auf Grund der Qualität der in ihnen publizierten paper eigentlich nicht zusteht. Einerseits.

    Andererseits ist man als reviewer auch bei etablierten und renommierten Journalen immer öfter damit konfrontiert, dass man sehr schlechte paper (auch hier meist von rein asiatischen Autoren) zur Begutachtung vorgelegt bekommt. Man kann sie ablehnen, klar, aber das muss man begründen. Das macht Arbeit, manchmal viel Arbeit. Dann werden von den Autoren genau die beanstandeten Stellen formal geändert und das paper wieder eingesandt. Es ist zwar nicht besser geworden, aber anders schlecht. The next way round…. Kommen sie damit bei einem Journal nicht durch, versuchen sie es beim nächsten- bis sie irgendwann einen Gutachter finden, der aus Gefälligkeit oder Überdruss sein placet gibt. Es ist sehr frustrierend, wenn man ein paper, in das man ein Wochenende Arbeit gesteckt hat und das man dann doch ablehnen musste (weil die Autoren nicht begriffen haben oder begreifen wollen, warum ihr paper in der Form bullshit ist) genau so ein paar Monate später in einem anderen Journal lesen muss.

    Es scheint auch, dass die bekannten Probleme des peer review- Prozesses (Publikationskartelle, Verzögerung der Veröffentlichung, wenn der Gutachter selbst an ähnlichen Projekten arbeitet, bis hin zum blanken Ideendiebstahl), die es auch und gerade für den seriös arbeitenden und publizierenden Wissenschaftler immer schon gab, nicht unbedingt abnehmen, wenn zunehmend asiatische Kollegen in diesen Prozess eingebunden werden. Da sind Druckkostenjournale von Vorteil, sie veröffentlich alles und so schnell, dass Prioritätsprobleme und Ideenklau kaum auftreten können.

    Also: Bitte den Ball flach halten. So lange die derzeitigen Mißstände im Publikationswesen (von „publish or perish“ über den impact-Wahn bis hin zur Preispolitik der großen Verlage) nicht beseitigt sind, haben Druckkostenjournale ihre Berechtigung. Übrigens: Einsteins Relativitätstheorie* wäre auch nicht dadurch falsch oder diskussionsunwürdig geworden, hätte er sie Xenien Verlag und nicht im Johann Ambrosius Barth Verlag (beide Leipzig) veröffentlicht….

    *(A. Einstein,”Über die Elektrodynamik bewegter Körper”, Ann. d. Phys., Bd. 17, p 891-921)

  10. #11 Thilo
    8. August 2018

    Danke für diesen Beitrag. In der Mathematik habe ich eigentlich nicht den Eindruck, dass sich „bullshit“ leicht veröffentlichen läßt. Aber vielleicht hängt das vom Fach ab.