Die Differentialgeometrie hatte in den zwanzig Jahren zuvor, nicht zuletzt motiviert durch die geometrische Beschreibung der Raum-Zeit in der speziellen Relativitätstheorie, einen großen Aufschwung erlebt; allerdings ging es da meist nur um lokale Untersuchungen und es gab kaum Beispiele interessanter Mannigfaltigkeiten, deren globale Differentialgeometrie man verstehen würde. Gut verstandene Beispiele waren nur die Geometrie der orthogonalen Gruppe und des projektiven Raums und auch die hyperbolischen Flächen.

Cartan hatte in den 20er Jahren ein Lehrbuch über die Differentialgeometrie von Mannigfaltigkeiten geschrieben, das für die nächsten 40 Jahre das einzige bleiben sollte. “Der allgemeine Begriff der Mannigfaltigkeit ist ziemlich schwierig präzise zu definieren” hieß es dort, aber er verwendete jedenfalls schon das Mannigfaltigkeits-Konzept, wie es Weyl definiert hatte. Viele andere Mathematiker arbeiteten damals noch mit Koordinaten und Matrizen, selbst wenn sie mit abstrakten Vektorräumen und linearen Abbildungen durchaus vertraut waren.

Um eine größere Klasse handhabbarer Beispiele zu schaffen, entwickelte Cartan das Konzept der symmetrischen Räume. Diese sollten die klassischen Räume konstanter Krümmung, also Sphären, euklidische Räume und hyperbolische Räume, umfassen. Er definierte symmetrische Räume als Mannigfaltigkeiten, die in jedem Punkt x eine Spiegelung haben, also eine global definierte Isometrie, die für jede Geodäte γ durch den Punkt x=γ(0) entlang der gesamten Geodäte γ(t) auf γ(-t) abbildet. Aufbauend auf der Klassifikation halbeinfacher Lie-Gruppen gelang ihm die Klassifikation dieser symmetrischen Räume.

Er erkannte als erster den Zusammenhang zwischen der Exponentialabbildung und der Variation von Geodäten und konnte so beweisen, dass für Räume nichtpositiver Schnittkrümmung die Exponentialabbildung ein Diffeomorphismus ist. Für Flächen war das schon 1898 von Hadamard, dessen Seminar inzwischen den Mittelpunkt des Pariser mathematischen Lebens darstellte, und unabhängig auch von Mangoldt, dem späteren Gründungsrektor der Technischen Hochschule Danzig, bewiesen worden; das Resultat heißt heute Satz von Cartan-Hadamard. Mit demselben Ansatz konnte er auch die geometrische Charakterisierung beweisen, dass lokal symmetrische Räume – also die, deren universelle Überlagerung ein symmetrischer Raum ist – gerade die mit parallelem Krümmungstensor, also ∇R=0 sind.

Cartan arbeitete weitgehend alleine über die Grundlagen der Differentialgeometrie, er war damals im Ausland viel anerkannter als in Frankreich; vor allem lag das wohl an Weyl, der seine Arbeiten über alle Maßen lobte, und dabei auch Killings ursprüngliche Beiträge geringschätzte. Weyl konnte mit seinen globalen Methoden dann die Darstellungstheorie kompakter Lie-Gruppen auch auf kompakte Gruppen, die keine Lie-Gruppen sein müssen, ausdehnen. Auch dort benutzte er das auf Killing zurückgehende Konzept der Wurzelsysteme und zugehörigen Spiegelungsgruppen, welches er fälschlich Cartan zuschrieb. Zentral für seine Verallgemeinerung wurde der Satz von Peter-Weyl. Anders als bei Cartans Darstellungstheorie halbeinfacher Lie-Gruppen war bei Weyl die Kompaktheit allerdings wesentlich.

Cartan hielt Hauptvorträge auf den internationalen Mathematikerkongressen 1924 (La théorie des groupes et les recherches récentes de géométrie différentielle), 1932 (Sur les espaces riemanniens symétriques) und 1936 (Quelques aperçus sur le rôle de la théorie des groupes de Sophus Lie dans le développement de la géométrie moderne). Seit den 30er Jahren galt Cartan auch in Frankreich als führender Mathematiker. Sein Sohn Henri Cartan, nach dem Krieg ein einflußreicher Mathematiker, kolportierte später die Geschichte, Helmut Hasse, im dritten Reich der administrativ wie auch fachlich einflußreichste deutsche Mathematiker, habe nach der Besetzung Frankreichs bei seinem Vater vorgesprochen um die Möglichkeiten einer neuen deutsch-französischen Zusammenarbeit zu sondieren. Cartan habe dies an die Bedingung geknüpft, dass auch polnische Mathematiker an der Zusammenarbeit beteiligt werden, wozu Hasse aber nicht bereit gewesen sei.

Cartan starb 1951 in Paris.

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