Vaughan Jones, Entdecker des nach ihm benannten Knotenpolynoms, ist gestern überraschend in Neuseeland verstorben.

Jones war eigentlich kein Knotentheoretiker, sondern arbeitete über von-Neumann-Algebren.
Die Algebra der beschränkten linearen Operatoren auf dem Hilbert-Raum ist eine *-Algebra, wobei der Stern jedem Operator A den adjungierten Operator A* zuordnet. Man interessiert sich für die schwach abgeschlossenen Unteralgebren dieser Algebra (sogenannte von-Neumann-Algebren) und bezeichnet sie als Faktor, wenn sie triviales Zentrum (d.h. nur die Vielfachen der 1) haben. Von Neumann und Murray hatten seinerzeit gezeigt, dass man diese Faktoren in Typen klassifizieren kann. Es gibt die Algebren aller solcher Operatoren auf einem (eventuell endlich-dimensionalen) Hilbert-Raum (das sind die Faktoren vom Typ I), dann Algebren, die keine kommutativen Idempotente haben (Faktoren vom Typ II, wo noch Typ II1 abgegrenzt wird, für die eine Spur existiert) und den als Typ III bezeichneten Rest. Alain Connes hat die Typ III-Faktoren klassifiziert und gezeigt, dass es nur einen Typ II-Faktor gibt, der nicht vom Typ II1 ist.
Unter den Typ II1-Faktoren gibt es wiederum nur einen hyperfiniten und Vaughan Jones hatte versucht, die Unterfaktoren dieses hyperfiniten Faktors zu klassifizieren. Für solche Faktoren kann man eine Dimension definieren und er fragte sich, was die möglichen Verhältnisse der Dimensionen für Unterfaktoren eines gegebenen Faktors sind. Er bewies einen überraschenden Indexsatz, wonach hier neben allen r>4 nur noch die Werte von 4cos2(π/n) für natürliche Zahlen n>2 möglich sind, und diese Möglichkeiten tatsächlich alle realisiert werden. Beim Beweis dieses Indexsatzes stieß er auf eine zopfgruppenartige Struktur.

Zöpfe kamen eigentlich aus der Knotentheorie. Durch Verbinden der gegenüberliegenden Enden eines Zopfes erhält man eine Verschlingung und ein Satz von Alexander besagt, dass jede Verschlingung auf diese Weise erhalten wird. Die Markov-Relationen beschreiben, wann zwei Zöpfe dieselbe Verschlingung ergeben. 
Für die in der Theorie der II1-Faktoren betrachtete Spur sind die Markov-Relationen gerade erfüllt. Man bekam also eine polynomielle Knoteninvariante.
Bis dahin kannte man in der Knotentheorie nur eine polynomielle Invariante, das Alexander-Polynom. Jones ging davon aus, dass seine Knoteninvariante mit diesem übereinstimmen müsse. Er setzte sich mit Joan Birman in Verbindung, die damals mit 55 Jahren als die führende Knotentheoretikerin galt, nachdem sie nach langer Tätigkeit in der Industrie erst im Alter von 40 Jahren promoviert hatte. Die beiden überprüften die Resultate, stellten aber zu ihrer Überraschung fest, dass es sich um ein anderes als das Alexander-Polynom handelte, also eine neue Knoteninvariante, die insbesondere andere Skein-Relationen erfüllte. Topologen hatten diese Invarante bisher nicht gesehen und sie erwies sich als außerordentlich nützlich. (Witten fand eine stringtheoretische Interpretation mittels eines Pfadintegrals.) Aus Jones‘ Arbeit entwickelte sich dann eine ganze Industrie von durch Skein-Relationen definierten Knoteninvarianten.

Kommentare (5)

  1. #3 fherb
    Bautzen
    15. September 2020

    Hallo Thilo,

    Kann man die Leistungen von Herrn Jones zu seinem Tod auch dann angemessen würdigen, wenn mein kein Mathematiker ist?

    Ich selbst habe vor 30 Jahren Elektrotechnik an der Uni studiert. Das Fach ist schon recht Mathe-lastig. Von Physikern weiß ich, dass die in der gleichen Zeit neben ihrem eigentlichen breiten physikalischen Studium noch mehr Mathe hatten. Aber selbst die sagen, dass man nach einiger Zeit der Spezialisierung nach dem Studium nur noch das eigene Arbeitsgebiet mathematisch tiefer durchdringen kann. Dann hört es auf. Und ich als Ingenieur habe vor allem mit Normen, Produkten, Projektmanagement usw. ganz viel „mit ohne“ Mathematik zu tun. … Und verstehe inzwischen eine riesige Menge Wikipedia-Artikel nicht mehr, weil sich dort Fachspezialisten austoben, statt bei der Niederschrift Didaktik in den Vordergrund zu stellen.

    Mein Wunsch bei Scienceblogs wäre es, genau so, wie bei einer allumfassenden Enzyklopädie, dass sich die Autoren an ein breiteres Publikum wenden.

    Sicher muß man ein gewisses Vorwissen parat haben. Aber schon der Extremfall eines Professors in meinem Studium würde manchem Blogpost oder Wikipedia-Artikel gut zu Gesicht stehen (hier im Wortlaut von mir übersetzt auf das Thema Scienceblog, Populärwissenschaftlich interessierte Leserschaft):

    „1/3 des Textes versteht jeder
    1/3 versteht jeder mit sehr guter Vorbildung
    1/3 verstehen nur die, die dediziert so fachkompetent sind, wie der Dozent.„

    Was denkst Du zum Thema der zu erreichenden Lesergruppe im Blog und zum Thema Didaktik?

    Viele Grüße, Frank

  2. #4 Thilo
    15. September 2020

    Über das Jones-Polynom hätte man zweifellos auch einen allgemeinverständlicheren Artikel schreiben können, etwa indem man ein paar Knotendiagramme zeichnet und dann mit elementaren Berechnungen zeigt, wie sich Knoten mittels des Jones-Polynome unterscheiden lassen. Es wundert mich ein wenig, dass das bisher in keinem der Nachrufe gemacht wurde. Ich selbst hatte jetzt bei Jones aber gerade die Geschichte interessant gefunden, dass er eigentlich über etwas ganz anderes arbeitete und zufällig auf das Knotenpolynom stieß ohne dass sein Arbeitsgebiet irgendetwas mit Knoten zu tun hatte. Deshalb hatte ich darüber schreiben wollen und nicht über Knotendiagramme. Die Einzelheiten dieser Geschichte sind zugegebenermaßen für den Nicht-Mathematiker nicht nachvollziehbar. Aber vielleicht kann man die Geschichte als solche ja nachvollziehen, auch wenn die Fachbegriffe nur Worte sind.

  3. #5 Thilo
    1. Oktober 2020