Eine andere Differentialgleichung, für die unerwartete Lösungen gefunden wurden, waren die Euler-Gleichungen zur Beschreibung der Strömung von reibungsfreien elastischen Fluiden. Vladimir Scheffer bewies die Existenz von schwachen Lösungen der Euler-Gleichung auf dem R2 mit kompaktem Träger in Zeitrichtung, die dem plötzlichen Auftreten turbulenter Strömungen ohne äußere Anregung entsprechen. Das war scheinbar absurd und aller Erfahrung widersprechend, und den 1993 in The Journal of Geometric Analysis veröffentlichten Beweis fanden die Mathematiker völlig unverständlich. Alexander Shnirelman fand (unter Periodizitätsbedingungen, also auf dem Torus) einen einfacheren und völlig anderen, aber immer noch schwerverständlichen Beweis, veröffentlicht 1997 in Communications on Pure and Applied Mathematics unter dem Titel „On the nonuniqueness of weak solutions of the Euler equation“. Im Abstrakt schrieb er

Eine schwache Lösung der Euler-Gleichungen \frac{\partial u}{\partial t} +(u,\nabla)u+\nabla p=0, \nabla u=0 ist definiert als ein L2-Vektorfeld, dass die Masse- und Impulserhaltung ausdrückenden Integralbeziehungen erfüllt. Ihre allgemeine Natur war ziemlich unklar. In dieser Arbeit konstruieren wir ein Beispiel einer schwachen Lösung auf einem zweidimensionalen Torus, die außerhalb eines endlichen Zeitintervalls identisch Null ist. Dieses Beispiel ist einfacher und transparenter als das vorherige Beispiel von V.Scheffer.

In der Physikliteratur sah man das Beispiel zunächst eher als eine Warnung vor unphysikalischem Verhalten bei zu schwachen Lösungsbegriffen. Eine (nicht viskose, inkompressible) Flüssigkeit sollte sich abrupt entscheiden können, sich frenetisch zu rühren, ohne dass irgendeine äußere Kraft auf sie einwirkt – physikalisch schien das völlig abwegig. Das Beispiel konnte später aber in allgemeinere mathematische und physikalische Theorien eingebettet werden.

Einen ganz anderen Ansatz zum Verständnis der Euler-Gleichung popularisierte Wladimir Arnold in seinem 1998 mit Khesin veröffentlichten Buch “Topologische Methoden der Hydrodynamik”. Für das seit dem 19. Jahrhundert bekannte Phänomen, dass sich die Wirbelstärke (Vortizität) mit dem Fluß bewegt, fand er dabei folgende Erklärung: die Lösung der Euker-Gleichung entspricht dem geodätischen Fluß auf der unendlich-dimensionalen Gruppe der volumenerhaltenden Diffeomorphismen, womit man das Phänomen dann aus allgemeinen mathematischen Prinzipien herleiten kann.

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