Mal wieder Ordnung ins Ganze bringen.

Was machen wir hier eigentlich noch mal?

Bei “Geometrisierung” (TvF 46) geht es darum, Räume (oder Flächen) in eine besonders regelmäßige Form zu bringen.

Aus Geometrisierung folgt z.B. die Poincare-Vermutung (TvF 21), eine Charakterisierung, wann ein 3-dimensionaler Raum eine Sphäre ist.

Aus Mathematiker-Sicht interessanter ist vielleicht, daß man nicht nur Sphären, sondern auch viel kompliziertere Räume in eine regelmäßige Form bringen kann.

Daß man alle “ausreichend komplizierten” 3-dimensionalen Räume in eine regelmäßige Form (d.h. konstante Krümmung -1) bringen kann ist die Aussage (eines Spezialfalls) von Thurstons Geometrisierungs-Vermutung, die inzwischen von Perelman bewiesen wurde.

Der entsprechende Satz für Flächen (daß man jede Fläche mit mindestens 2 Henkeln in eine Form mit konstanter Krümmung -1) bringen kann, ist seit dem 19. Jahrhundert bekannt, siehe TvF 66, TvF 67.

Im 3-dimensionalen ist hyperbolische Geometrie ein wichtiges Hilfsmittel, um 3-dimensionale Räume zu unterscheiden und zu klassifizieren. Im 2-dimensionalen ist das natürlich weniger interessant, weil man Flächen durch die Euler-Charakteristik (TvF 3) oder auch die Fundamentalgruppe (TvF 31) unterscheiden kann und schon seit dem 19. Jahrhundert die Klassifikation der Flächen kennt, die entweder mit elementaren Methoden (Triangulierungen, erster vollständiger Beweis der Klassifikation für triangulierter Flächen durch Dehn und Heegard 1907) oder eleganter mit Morsetheorie (Henkelzerlegung) bewiesen wird. (Beides ist in dieser Reihe noch nicht vorgekommen – wir stehen noch sehr am Anfang … )

Wozu braucht man also noch hyperbolische Metriken auf Flächen? Mal abgesehen davon, daß man mit hyperbolischer Geometrie viele hochsymmetrische Muster (TvF 59) a la Escher produzieren kann? (Zur Motivation und Geschichte der hyperbolischen Geometrie im Allgemeinen siehe TvF 54.)

Auch wenn die Klassifikation von Flächen lange bekannt ist und sich ohne Geometrisierung beweisen läßt, kommen hyperbolische Flächen in der Mathematik in den verschiedensten Bereichen vor. Einiges davon war in den letzten Wochen hier Thema.
– Aus Topologen-Sicht ist hyperbolisches Volumen eine wichtige Invariante. Das ist allerdings mehr in der 3-dimensionalen Topologie von Interesse. Der Flächeninhalt hyperbolischer Flächen (TvF 70) ist einfach die Eulercharakteristik multipliziert mit -2π, und die kann man natürlich auch rein topologisch berechnen.
Chaos in seiner reinsten Form: der geodätische Fluß einer hyperbolischen Fläche ist ein besonders ‘regelmäßiges’ Beispiel eines chaotischen Flusses. Darüber hatten wir in TvF 74 geschrieben: man hat die typischen Phänomene chaotischer Systeme (‘hyperbolische Dynamik’: Expansion in einer Richtung, Kontraktion in einer anderen), aber alles ist präzise berechenbar durch einfaches Rechnen mit Matrizen (TvF 75).
– Fundamentalgruppen hyperbolischer Flächen sind das ‘Vorbild’ für die Theorie der hyperbolischen Gruppen (TvF 83), ein Zweig der Gruppentheorie, der einserseits ‘fast alle’ Gruppen umfaßt und andererseits Anwendungen in ganz unterschiedliche mathematische Gebiete hat (Novikov-Vermutung, die Baum-Connes-Vermutung, die Farrell-Jones-Vermutung, die Kadison-Kaplansky-Verrmutung). Und, wie in den letzten Wochen (TvF 84, TvF 86, TvF 88) gesehen, bekommt man so auch Gitter, auf denen die Brownsche Bewegung nie zum Ausgangspunkt zurückkehrt.
– Mit arithmetischen Methoden konstruierte hyperbolische Flächen geben Beispiele unterschiedlicher Trommeln mt demselben Klangspektrum, d.h. unterschiedliche Flächen mit denselben Eigenwerten des Laplace-Operators (TvF 76). Dabei benutzt man die Selberg-Spurformel: auf einer hyperbolischen Fläche werden die Eigenwerte des Laplace-Operators determiniert durch die Längen der geschlossenen Geodäten (TvF 78).

Soweit einige Anwendungen, die in den letzten Wochen vorkamen. Es gibt natürlich viele weitere inner-mathematische Anwendungen hyperbolischer Flächen:
– Die verschiedenen hyperbolischen Metriken auf einer Fläche bilden den sogenannten Teichmüller-Raum, dessen Theorie in vielen mathematischen Gebieten eine Rolle spielt, z.B. bei der Untersuchung von Billards.
– Das Längenspektrum hyperbolischer Flächen hat viele Analogien zur Verteilung der Primzahlen. (Auch die Selberg-Spurformel über den Zusammenhang zwischen Klang- und Längenspektrum hat diverse Anwendungen in der Zahlentheorie, auf die ich aber in dieser Reihe nicht eingehen werde.)
– Es gibt auch einfachere Anwendungen der hyperbolischen Geometrie in der Zahlentheorie. Dafür benötigt man allerdings nicht nur ‘richtige’ hyperbolische Flächen sondern auch solche mit Singularitäten, wie z.B. H2/SL(2,Z). Darum soll es in den kommenden Wochen zunächst gehen.
Modulformen, klassisch mittels hyperbolischer Geometrie definiert, sind ein unverzichtbares Hilfsmittel in der Zahlentheorie. Und auch “Quantenchaos” soll mit dem Längenspektrum hyperbolischer Flächen zu tun haben.

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