Kurioses und bizarre Koinzidenzen: der Spektrum-Verlag und die Einstein-Cranks
Einstein-Bashing als Rezension getarnt. Nächster Akt einer unendlichen Geschichte.
Bekanntlich sind Publikationen des Spektrum-Verlages in den letzten Jahren zu einem der Hauptargumente der “Einstein-Kritiker” geworden, z.B hier, hier, hier oder hier. Die (vorgebliche) Seriosität der dort herausgegebenen Zeitschriften dient gerne als Beleg dafür, daß Einwände gegen die Relativitätstheorie inzwischen auch in der Fachwelt diskutiert würden. (In Wirklichkeit sind die Autoren der RT-kritischen Artikel natürlich meist keine Fachleute, sondern haben so lustige Berufsbezeichnungen wie “Teacher of Creative Writing”.)
Als Rezension getarnt
Inzwischen bringt man die Einstein-Kritik auch in Beiträgen unter, die mit Relativitätstheorie eigentlich nichts zu tun haben. So aktuell im August-Heft in einer Rezension von Egbert Scheunemann zu Unzickers Buch “Vom Urknall zum Durchknall”.
Zur Einordnung: Unzickers Buch ist eine Kritik an der Stringtheorie, auch an anderen Entwicklungen der modernen Physik, aber definitiv keine Kritik an der Relativitätstheorie. Das hält den Rezensenten aber nicht davon ab, mehr als ein Drittel der Rezension der Kritik an Einstein und seiner Relativitätstheorie widmen. Thema verfehlt würde man da wohl sagen. Was hat das Einstein-Bashing in einer Rezension eines Buches zu einem ganz anderen Thema zu suchen?
Wer ist Egbert Scheunemann?
Wer ist der Rezensent und was qualifiziert ihn für eine Rezension in Spektrum der Wissenschaft?
Egbert Scheunemann hat Politikwissenschaft mit Nebenfach Philosophie studiert. Seine Bücher haben Titel wie “Der Jahrhundertfluch. Neoliberalismus, Marktradikalismus und Massenarbeitslosigkeit. Eine allgemeinverständliche Erklärung der Zusammenhänge” oder “Chronik des (nicht nur) neoliberalen Irrsinns und seiner ökonomisch, politisch, sozial und ökologisch verheerenden Folgen”. Er war im Bundesvorstand in der Programmkommission der WASG, beklagt aber deren Rechtsruck seit der Vereinigung mit der PDS.
1995 reichte er seine Habilitationsschrift am Institut für Politische Wissenschaften der Universität Hamburg ein. Offenbar wurde die Arbeit dort gründlich geprüft. Jedenfalls dauerte es 2 Jahre, bis sie 1997 wegen systematischer Mängel abgelehnt wurde. (Scheunemanns Widerspruch gegen die Ablehnung seiner Habilitation findet man hier.)
Seit dem Scheitern seiner politikwissenschaftlichen Habilitation hat sich Scheunemann offenbar dem Kampf gegen die Relativitätstheorie verschrieben. Er ist Autor des Buches “Irrte Einstein? Skeptische Gedanken zur Relativitätstheorie – (fast immer) allgemeinverständlich formuliert” (hier der Cover, das Buch soll bald in 2.Auflage erscheinen) und verschiedener “Veröffentlichungen” zum Thema. Ein typisches Zitat:
Seine [Einsteins] größte Leistung im Physikbetrieb (also nicht in der Physik selbst) ist freilich, dass er es geschafft hat, bislang drei Generationen von Physikern mit seiner SRT und ART an der Nase herumzuführen.
(Wo hab ich das bloß schon mal gehört?)
Vernichtende Kritiken zu Scheunemanns Buch findet man bei Mynona Raiders Twiggs oder ausführlicher bei Meno Hochschild.
Zusammengefaßt: der Autor erfüllt offenbar die drei Grundvoraussetzungen für einen Spektrum-Artikel zur Relativitätstheorie: kein Physik-Studium, deutliche Sprache und schräge politische Ansichten. (Wenn man aus dem Artikel, der sonst einfach die altbekannten Argumente unorthodoxer Kritiker wiederkäut, irgend etwas neues lernen kann, dann allenfalls das: daß es Einstein-Bashing nicht nur am rechten, sondern auch am linken Rand des politischen Spektrums gibt. Das ist aber wohl nicht wirklich überraschend.)
Relativ kritisch
Mynona Raiders Twiggs hat sich letzte Woche auf “relativ kritisch” ausführlich mit dem Beitrag in Spektrum der Wissenschaft auseinandergesetzt.
Wie gesagt ist Unzickers Buch eine Kritik an der Stringtheorie, auch an anderen Entwicklungen der modernen Physik, aber definitiv keine Kritik an der Relativitätstheorie, was Scheunemann als Rezensenten aber nicht davon abgehalten hat, sich in der Rezension ausführlich seiner Kritik (der des Rezensenten, nicht des Buchautors!) an der Relativitätstheorie zu widmen.
Mehr als ein Drittel der Rezension ist der Kritik an Einstein und seiner Relativitätstheorie gewidmet. (Um die es, notabene, in Unzickers Buch überhaupt nicht ging.) Das nennt man wohl: Thema verfehlt. Und man fragt sich, warum diese am Thema vorbeigehende Rezension in Spektrum der Wissenschaft veröffentlicht wird.
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