– jedenfalls keine von höherem Grad.

Im November starb Alexander Grothendieck – wir hatten hier berichtet. Auch die führende naturwissenschaftliche Fachzeitschrift “Nature” wollte einen Nachruf drucken und fragte dafür mit Mumford und Tate zwei sehr bekannte Algebraiker als Autoren an. Die beiden gaben sich offensichtlich große Mühe, einen auch für Naturwissenschaftler (und nicht nur Mathematiker) verständlichen Nachruf zu verfassen und, wie ich finde, ist ihnen das hervorragend gelungen: man kann ihren Artikelentwurf hier anschauen.

Wie Mumford vor 2 Wochen auf seinem Blog berichtete, wurde der Artikel von “Nature” aber nicht angenommen. Begründung: mindestens die Hälfte der Leser habe noch nie mit Begriffen wie “Polynome höheren Grades”, “infinitesimale Vektoren” oder “komplexe Zahlen” zu tun gehabt.

Notabene: es geht nicht um einen Artikel in einer Tageszeitung. Es geht um eine Zeitschrift, deren Publikum in der Forschung aktive Naturwissenschaftler sind. Es gab im Entwurf sicher einige am Rande vorkommende Begriffe (z.B. algebraische Zahlkörper), die ein Naturwissenschaftler tatsächlich nicht benötigt und nicht kennen wird, aber Polynome??

Inzwischen (vorgestern) wurde jetzt ein stark gekürzter und geänderter Nachruf zur Veröffentlichung angenommen. Polynome kommen dort immer noch vor, aber keine “von höherem Grad”. Überhaupt gibt es jetzt nur noch 3 Beispiele im Artikel, nämlich Polynome, Dualzahlen und endliche Körper.

Mehr auf Mumfords Blog.

Bildquelle: maths is fun

Kommentare (26)

  1. #1 Polygon
    31. Dezember 2014

    Ich hänge noch an “komplexe Zahlen”. Wie kann das einem Naturwissenschaftler nicht bekannt sein? Und dann noch Polynome…. Andererseits denke ich auch während meines Informatikstudiums, dass ein paar mehr Mathevorlesungen nicht verkehrt wären. Leider passt in 6 Semester Bachelor nicht genug…

  2. #2 rolak
    31. Dezember 2014

    wir hatten hier berichtet

    Wir? Ist Thilo der neue Bourbaki?

    komplexe Zahlen

    Als dies Thema äußerst kürzlich nebenan zur Sprache kam, war ich doch mindestens ebenso äußerst überrascht, daß die im GymnasialProgramm nicht einmal mehr zur Pflicht, nur noch zur Kür gehören…

  3. #3 ulfi
    31. Dezember 2014

    Polynome höheren Grads müssen raus, aber endliche Körper dürfen bleiben? Schräg. Polynome sind doch Schulstoff.

    Meinten sie mit der hälfte der Leserschaft die ganzen Wissenschaftsjournalisten die gefühlt nur aus nature berichten?

  4. #4 hukyl
    31. Dezember 2014

    Vielleicht ist die Begründung des Nature-Menschen nicht ganz so aussagekräftig, aber ich finde den Artikel auch super unverständlich.

    Hier mal ein paar Begriffe des Textes, die als “Erklärung” herangezogen werden, also als bekannt vorrausgesetzt werden: algebraische Eigenschaften, geometrische Eigenschaften, geometrische Struktur, Körper, algebraische Zahlen. Damit können Mathematiker und mit Abstrichen noch Physiker und Informatiker was anfangen, aber das ist weit davon entfernt, allgemeinverständlich für technik-/naturwissenschaftlichaffine Leute zu sein.

    Ich selbst habe ein Diplom in Physik und überdurchschnittlich viele Mathescheine im Studium gemacht und ich habe nach dem Lesen von dem Artikel keine Ahnung, um was es geht.

    Klar, abstrakte Algebra ist abstrakt, aber wenn man nicht mal den Versuch macht, das ganze in die intuitive Bilderwelt von nicht-Mathematikern zu bringen, kann man es auch gleich bei Anekdoten zur Person belassen.

  5. #5 Nele
    31. Dezember 2014

    Vielleicht bin ich ja ein bisschen doof, aber ich sehe mich durchaus in der Lage, ab und an auch mal mit Begriffen konfrontiert zu werden, die ich nicht kenne…

  6. #6 strahlenbiologe
    31. Dezember 2014

    Ob sie sich große Mühe gaben kann man sehen wie man will, wie schreiben sie in ihrem Artikelentwurf:
    “In the case of our obit, I had hoped that the inclusion of the unit 3-sphere in C2−(0,0) would be fairly clear to most scientists and so could be used to explain the Mike Artin’s breakthrough that H3e`tale(A2−(0,0))≠(0).”
    Wie kommt man drauf dass die meisten Wissenschaftler damit “klarkommen” (would be fairly clear)?
    Leider merke ich es immer wieder, dass sich Mathematiker sehr selten die Mühe machen etwas allgemeinverständlich auszudrücken, wenn sie es mit Laien zu tun haben.

  7. #7 Lercherl
    31. Dezember 2014

    Die beiden gaben sich offensichtlich große Mühe, einen auch für Naturwissenschaftler (und nicht nur Mathematiker) verständlichen Nachruf zu verfassen und, wie ich finde, ist ihnen das hervorragend gelungen: man kann ihren Artikelentwurf hier anschauen.

    Nun ja, ich finde sie sind kläglich gescheitert und Nature hatte vollkommen recht, diesen Nachruf abzulehnen, auch wenn die Begründung seltsam klingt, zumindest aus zweiter Hand.

    Abstrakte Mathematik, wie sie Grothendieck betrieben hat, lässt sich schlicht und einfach nicht allgemeinverständlich formulieren. Entweder man weiß worum es geht und kennt die Definitionen, oder man kennt sie nicht, dann fängt man mit halbgaren Analogien — mehr bringt man in ein paar Zeilen nicht unter — auch nichts an:

    To connect schemes to number theory, one takes the ring of integers. The corresponding Spec has one point for each prime, at which functions have values in the finite field of integers mod p and one classical point where functions have rational number values and that is ‘fatter’, having all the others in its closure.

    Der durchschnittliche Naturwissenschaftler, auch mit guten Mathematikkenntnissen, hat noch nie was von Spec gehört, kann sich daher nichts darunter vorstellen, was ein klassischer Punkt sein soll, noch dazu ein fetter. Dazu bräuchte man eine Einführungsvorlesung oder ein Lehrbuch, aber nicht vier Zeilen in einem Nachruf.

    Und ich sehe hier auch kein Problem und keinen Missstand: Mathematik auf hohem Niveau (und was ich so mitbekommen habe, ist das Niveau von Grothendieck so ziemlich das allerhöchste) ist eben nur für diejenigen zugänglich, die sich intensiv damit beschäftigen.

    The real problem is that such a huge and painful gap has opened up between mathematicians and the rest of the world.

    Warum soll das ein Problem sein — dass Fachleute mehr von ihrem Fach verstehen als alle anderen, ist doch zu hoffen!

  8. #8 ulfi
    1. Januar 2015

    @Lercherl
    “Warum soll das ein Problem sein — dass Fachleute mehr von ihrem Fach verstehen als alle anderen, ist doch zu hoffen!”
    Der Unterschied ist, dass man in den meisten Fachdisziplinen einem Aussenseiter zumindest noch grob -im notfall mit Analogien – erklären kann, was man macht. Das funktioniert in der Mathematik fast gar nicht mehr, weil die Kluft zwischen Mathematik und Alltag wesentlich ausgeprägter ist als die Kluft zwischen Physik und Alltag.

  9. #10 strahlenbiologe
    4. Januar 2015

    Danke für den Link, sehr interessant.
    Hast du auch den darin verlinkten Artikel gelesen?
    https://liorpachter.wordpress.com/2014/12/30/the-two-cultures-of-mathematics-and-biology/

  10. #11 thaniell
    10. Januar 2015

    Ich find die Annahme ja schon sehr gewagt, dass die Leserschaft von Nature aus Wissenschaftlern besteht. Wissenschaftsinteressierte vielleicht, aber das können fachlich genausogut Juristen oder Müllabfuhrwagenfahrer sein. Statistisch letztere vielleicht weniger, aber womöglich genug dass die Hälfte der Leser nicht wirklich in der Wissenschaft tätig ist… oder hat hier wer eine wirkliche statistische Auswertung der Leserschaft zur Hand?

  11. #12 Freudenmax
    10. Januar 2015

    Was sind “infinitesimale Vektoren”? Vektorrechnung in nicht-standard Analysis?

  12. #13 hnch
    10. Januar 2015

    Wenn ich ehrlich bin, habe ich die erste Fassung auch nicht verstanden, trotz eines Doktortitels in Nachrichtentechnik. Die Erklärung von Eric Zaslow hingegen fand ich ziemlich gut. Ich habe in meinen bisher 13 Jahren an der Uni die Erfahrung gemacht, dass Mathematiker in der Regel ein obskures Vokabular für eigentlich ganz einfache Dinge benutzen und nicht in der Lage sind, Sachverhalte für Wissenschaftler abseits ihrer Spezialdisziplin verständlich darzustellen. Vielleicht auch aus der Angst heraus, man könnte Ihnen dann mangelnde Exaktheit vorwerfen. 🙂

  13. #14 Thilo
    10. Januar 2015

    Nur mal interessehalber, war dieser Artikel irgendwo verlinkt?

    (Ich wundere mich nur, weil die Zugriffszahlen heute um einen Faktor 10 höher sind als an anderen Tagen.)

  14. #15 Thilo
    10. Januar 2015

    Mumford hat seinen Blogeintrag inzwischen übrigens um einige interessante Anhänge (Erklärungsversuche anderer Mathematiker) ergänzt: https://www.dam.brown.edu/people/mumford/blog/2014/Grothendieck.html

  15. #16 hnch
    10. Januar 2015

    Ja, bei Fefe. So bin ich auch hergekommen.

  16. #17 Lutz Donnerhacke
    Jena
    10. Januar 2015

    Ja, sorry ich habe fefe hergelenkt. Der Traffik ist aber nur zwei Stunden hoch und fällt dann mut kleiner Halbwertszeit (nur Stunden) ab

  17. #18 Student
    10. Januar 2015

    @13 zumindest meine Erfahrung als Mathestudent ist, dass Mathematiker weniger Angst davor haben, sich ungenau auszudrücken, als das Exaktheit vielmehr elementarer Bestandteil der Mathematik ist.
    Wenn es nicht zu 100% korrekt ist, ist es schlicht und ergreifend falsch, ohne großes wenn und aber.
    Dazu kommt verschärfend, das viele Sachen die in dem Artikel beschrieben werden, garantiert jedem Naturwissenschaftler bekannt sind, nur in anderer Schreibweise.
    Ich weiß nicht, wie das in anderen Disziplinen ist, aber innerhalb der Mathematik gibt es oft verschiedene Schreibweisen für ein und die selbe Sache, je nach gusto des Profs oder Autors, und wer sich nicht im ersten Semester damit abfindet, dass das was da steht erstmal unverständlich erscheint und man nachlesen muss, hat es zumindest sehr schwer, das ist weder für uns noch andere schön, aber Mathematiker mit viel Erfahrung haben sich vermutlich so daran gewöhnt, dass es ihnen garnicht groß auffällt, bzw sie davon ausgehen, dass das jeder kann/muss.

  18. #19 Tristan
    10. Januar 2015

    Ich sag nur: Peak Intelligence.

  19. #20 ArschAufGrundeis
    10. Januar 2015

    ich hab schon von “infinitesimale Vektoren” und “komplexe Zahlen” gehört und damit gerechnet. Beim Abi und 1. Semester, und bekomme Harzt4. F*** Y** schöne Wissenschaften.

  20. #21 Autolykos
    10. Januar 2015

    Naja, Nature wird auch von Biologen und Medizinern gelesen. Die müssen nicht unbedingt mit Algebra (das was an der Uni so heißt, nicht das was man in der Schule so nennt) oder komplexen Zahlen in Berührung gekommen sein. Was ein Polynom ist, sollten sie allerdings auch wissen…

  21. #22 yoshee
    11. Januar 2015

    Der Link zu mumfords Blog ist kaputt

  22. #23 Thilo
    11. Januar 2015

    Sollte jetzt wieder gehen. Der Artikel selbst war ja schon im Absatz zuvor verlinkt, insofern ist dieser zweite Link eigentlich auch überflüssig.

  23. #24 Erklärung
    11. Januar 2015

    Fefe hatte verlinkt. https://blog.fefe.de/?ts=aa4ed396

  24. #26 Thilo
    18. Februar 2016

    Ein Versuch, Grothendiecks Arbeit zu erklären, in den Notices of the AMS: https://www.ams.org/publications/journals/notices/201603/rnoti-p256.pdf

    Und für den etwas erfahrereneren Mathematiker ist vielleicht auch John Milnes Vorlesungsskript ganz brauchbar: https://www.jmilne.org/math/CourseNotes/LEC.pdf