Bekanntlich ist Gauß’ Vermessung des Königsreich Hannover auch Thema in Daniel Kehlmanns “Vermessung der Welt”. Kehlmanns Beschreibung von Gauß’ Tätigkeit als Landvermesser ist dabei (zunächst) stark an Franz Kafkas “Das Schloß” angelehnt bzw. über einen längeren Abschnitt sogar direkt aus diesem übernommen. Während Kafkas Hauptfigur K. es aber letztlich nicht schafft, seine Arbeit als Landvermesser tatsächlich aufzunehmen, gelingt es Gauß trotz oder wegen seiner fehlenden sozialen Intelligenz, sein Projekt zum Erfolg zu führen:
“Er sei Leiter der staatlichen Meßkomission, und wenn man ihn von der Schwelle weise, kehre er in Begleitung wieder. Ob man ihn verstehe?
Der Diener trat einen Schritt zurück.
Ob man ihn verstehe?
Jawohl sagte der Diener.
Jawohl, Herr Professor!
Herr Professor, wiederholte der Diener.
Und jetzt wünsche er den Grafen zu sehen.”

Rechts unten schließlich sieht man das von Gauß in der Zahlentheorie eingeführte Symbol für die „Kongruenz“ von Zahlen. Natürlich hatten auch frühere Zahlentheoretiker schon mit Restklassen gerechnet, aber erst Gauß betrachtete Restklassen als Äquivalenzklassen und führte das bis heute gebräuchliche Symbol a\equiv b\ mod \ p für die Äquivalenzrelation „a-b ist durch p teilbar“ ein.
Sein schon im Alter von 21 Jahren verfaßtes Hauptwerk „Disquisitiones Arithmeticae“ begründete die Zahlentheorie, wie man sie heute in Vorlesungen zur Elementaren Zahlentheorie lehrt, mit den bis heute gebräuchlichen Bezeichnungen und Methoden. Als herausragendes Ergebnis des Buches gilt das quadratische Reziprozitätsgesetz (über die Frage, welche Restklassen von Quadratzahlen realisiert werden können), das im 20. Jahrhundert zahlreiche Verallgemeinerungen bis hin zum Langlands-Programm (Abelpreis 2018) erfuhr.
Im Hauptteil der „Disquisitiones Arithmeticae“ geht es aber um die Verallgemeinerung von Quadratzahlen auf ganzzahlige quadratische Formen in zwei Variablen, also um die Frage, welche ganzen Zahlen man als Werte einer gegebenen ganzzahligen quadratischen Funktion darstellen kann. Der aus heutiger Sicht interessanteste Punkt ist, dass Gauß in diesem Zusammenhang einen Fundamentalbereich für die Wirkung von SL(2,Z) auf SL(2,R)/SO(2) konstruiert. Der Raum SL(2,R)/SO(2) ist der Raum der (reellen) quadratischen Formen in zwei Variablen, und zwei Formen im selben SL(2,Z)-Orbit nehmen dieselben Werte auf ganzen Zahlen an. Da es im Fundmanetalbereich nur endlich viele ganzzahlige quadratische Formen gibt, hat Gauß das Problem auf die Untersuchung dieser endlich vielen Formen reduziert, die er dann in seinem Buch der Reihe nach abarbeitet.
Bemerkenswerterweise ist der Raum SL(2,R)/SO(2) die hyperbolische Ebene aus der nichteuklidischen Geometrie, mit der sich Gauß ja ebenfalls schon beschäftigt hatte. Es ist aber wohl nicht anzunehmen, dass Gauß dieser Zusammenhang von Zahlentheorie und hyperbolischer Geometrie schon bewußt war, er wurde erst 1881 von Poincaré entdeckt. Aus heutiger Sicht hat Gauß mit seiner Konstruktion des Fundamentalbereichs die Theorie der lokal symmetrischen Räume begründet, für die die „Modulkurve“ SL(2,Z)\SL(2,R)/SO(2) das einfachste Beispiel ist.

1 / 2

Kommentare (3)

  1. #1 Joachim
    30. April 2018

    Googlewerbung- igitt!

  2. #2 Braunschweiger
    1. Mai 2018

    Nein @Joachim, nur allenfalls Werbung für Google-Doodle, und hier im Wesentlichen eine Besprechung von Gauß’ Werken, wenn man den Schwerpunkt dieses Blogs verstanden hat.

    Ich kann ohne Probleme und mit großem Vergnügen Thilo Kuessners Ausführungen lesen und ich kann mir sogar den Doodle ohne Weiteres anschauen — und trotzdem Bing benutzen. Man muss nur ausreichendes Selbstbewusstsein haben.

  3. #3 Frank
    bellem
    2. Mai 2018

    Gauß war der Newton und Einstein der Mathematik, dem ist nichts hinzuzufügen…
    He was simply the best…
    Gruß an alle Freunde dieses Blogs.
    Frank