Die andere Richtung des Borel-Cantelli-Lemmas wurde erst später von Cantelli bewiesen, hat aber einen sehr elementaren (implizit schon bei Hausdorff vorkommenden) Beweis: wenn die Summe der P(An) gegen einen endlichen Wert konvergiert, dann ist \lim_{n\to\infty}\sum_{m\ge n}P(A_m)=0 und damit erst recht P(\cap_n\cup_{m\ge n} A_m)=0.

Aus Borels starkem Gesetz folgt natürlich auch noch einmal das schon von Bernoulli bewiesene schwache Gesetz der großen Zahlen für Bernoulli-Verteilungen. Für die allgemeine Version des von Tschebyscheff als Folgerung aus dem zentralen Grenzwertsatz – also im Wesentlichen der Tschebyscheff-Ungleichung – bewiesene schwache Gesetz der großen Zahlen, kannte man damals schon verschiedene hinreichende Bedingungen, die aber alle die Unabhängigkeit der Zufallsvariablen An benötigten.

In Rußland war die Frage nach notwendigen Voraussetzungen im Gesetz der großen Zahlen in diesen Jahren ein Thema grundsätzlicher Auseinandersetzungen zwischen Moskauer und Petersburger Mathematikern. Moskauer Mathematiker meinten, dass die Stabilisierung von relativen Häufigkeiten beispielsweise in der Kriminalstatistik beweise, dass die zugrundeliegenden Entscheidungen aus freiem Willen und unabhängig voneinander getroffen wurden. Diesen „freien Willen“, den sie mit der Unabhängigkeit zufälliger Erscheinungen gleichsetzten, sahen sie als als eine conditio sine qua non für statististische Gesetze des Alltagslebens an. Pawel Nekrasow versuchte in zwei Arbeiten die Unabhängigkeit der Zufallsgrößen als notwendige Bedingung für das schwache Gesetz der großen Zahlen zu begründen. Tschebyscheffs ehemaliger Schüler A. A. Markov in St. Petersburg widersprach vehement. Er fand in diesem Zusammenhang die später nach ihm benannten Markov-Ketten: Folgen von Zufallsvariablen, die nicht voneinander unabhängig sind, aber trotzdem dem schwachen Gesetz der großen Zahlen genügen. Damit bewies er, dass Unabhängigkeit der Variablen keine notwendige Bedingung für das Gesetz der großen Zahlen ist. Um dies auch empirisch zu untermauern, zählte Markov in aufwendiger Arbeit die Buchstabensequenzen in Werken der russischen Literatur – das sollte noch einmal zeigen, dass das Gesetz der großen Zahlen auch für abhängige Zufallsvariablen gelten kann.

Bild: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Emile_Borel-1932.jpg

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Kommentare (4)

  1. #1 Dr. Webbaer
    17. Januar 2020

    Er fand in diesem Zusammenhang die später nach ihm benannten Markov-Ketten: Folgen von Zufallsvariablen, die nicht voneinander unabhängig sind, aber trotzdem dem schwachen Gesetz der großen Zahlen genügen. Damit bewies er, dass Unabhängigkeit der Variablen keine notwendige Bedingung für das Gesetz der großen Zahlen ist.

    Deckt sich zumindest mit der Alltagserfahrung des Schreibers dieser Zeilen.
    Vielen Dank für die Mühe, die Sie sich machen, aufzuklären oder zu informieren, lieber Herr Dr. Thilo [Nachnamensnennung wohl nicht erwünscht, Dr. W passt sich gerne an], Ihnen beste Zwanzigerjahre!

    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Webbaer

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    16. Dezember 2020

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