Stuttgart 21 ist ein schönes Lehrstück in Sachen Großprojekte und Glaubwürdigkeit von Planungsdaten. Fast jede Zahl ist umstritten. Bei Stuttgart 21 geht es vor allem um wirtschaftliche Fakten und Umweltfolgen. Bei anderen Projekten spielen aber auch gesundheitliche Fragen eine wichtige Rolle.
Wenn man die gesundheitlichen Effekte von Großprojekten abschätzen will, lassen einen allerdings die üblichen gesundheitswissenschaftlichen Studiendesigns meist in Stich. Beispiel Flughafen München. Dort soll eine dritte Startbahn gebaut werden. Welche gesundheitlichen Folgen hat das? Ein Experiment kann man ja schlecht machen: Mal bauen, schauen und dann auswerten, was passiert ist, nochmal bauen, nochmal schauen, nochmal auswerten, nicht bauen, schauen und dann auswerten, wieder bauen usw. … – das geht einfach nicht. Schauen, was woanders beim Bau einer zusätzlichen Startbahn war und daraus Rückschlüsse auf München ziehen? Schon eher, aber sind die Fälle vergleichbar? Oder sollte man das ganze Vorhaben in kleinere Komponenten zerlegen, deren Folgen besser abzuschätzen sind und am Ende wieder alles zusammenfügen?
So ähnlich läuft es im Idealfall tatsächlich. Das Stichwort ist “Health Impact Assessment”. Manchmal wird das mit Gesundheitsverträglichkeitsprüfung übersetzt, unschönes Bürokratendeutsch, aber von der Sache her nicht falsch. Die konzeptionelle Entwicklung dieses Ansatzes wird seit einigen Jahren stark von der Weltgesundheitsorganisation unterstützt. Einen Wikipedia-Eintrag hat das Health Impact Assessment natürlich auch längst. In Deutschland werden gesundheitliche Aspekte großer umweltrelevanter Planungsvorhaben einer “Umweltverträglichkeitsprüfung” unterzogen. Die ist durch das “Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung” rechtlich in bestimmten Fällen sogar verpflichtend. Das “Schutzgut Mensch” (so heißt das wirklich) ist dabei naheliegenderweise ein wichtiges Thema, d.h. man prüft, welche Auswirkungen das Planungsvorhaben auf die Betroffenen hat, auch in gesundheitlicher Hinsicht. In den Planungsunterlagen zum Bau der dritten Startbahn in München finden sich z.B. ein lärmmedizinisches Gutachten und eine lufthygienische Untersuchung. Die Umweltverträglichkeitsprüfung ist aber bisher recht eng auf Umweltfaktoren eingeschränkt, ein Health Impact Assessment würde darüber hinaus z.B. auch gesundheitliche Effekte veränderter Verkehrsverhältnisse, veränderter Siedlungsstrukturen, veränderter sozialer Verhältnisse usw. miteinbeziehen, also mehr in Richtung einer gesundheitlichen Gesamtbilanz gehen. Dabei würden übrigens auch positive gesundheitliche Effekte betrachtet, so es sie denn gibt.
Ein solches umfassendes Health Impact Assessment gibt es für die dritte Startbahn in München nicht. Wäre es notwendig gewesen? Oder wäre dabei nur noch mehr Papier herausgekommen, und noch mehr Expertisen, die je nach Haltung zum Flughafenausbau als Beweis begrüßt oder als unwissenschaftlich bekämpft würden?
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