In der letzten Zeit konnte man viel über die Zunahme von Burnout lesen. Exorbitante Steigerungsraten wurden berichtet, von mehreren hundert Prozent in den letzten 10 Jahren war die Rede. Das scheint gut zu den Forschungsergebnissen über die Zunahme von Stress und anderen psychischen Belastungen in der Arbeitswelt zu passen.
Aber so eng ist der Zusammenhang nicht. Psychische Belastungen können sich auch „nur” auf der körperlichen Ebene auswirken und die Psyche intakt lassen, oder die Beschäftigten zu Anpassungsreaktionen anderer Art bringen. Der Anstieg der Burnout-Fälle relativiert sich zudem etwas, wenn man bedenkt, dass Burnout keine eigenständige ICD-Diagnose ist, sondern von den Ärzten als Zusatzcode zu den eigentlichen Diagnosen angegeben werden kann. Das haben sie in den letzten Jahren häufiger gemacht und in der ärztlichen Diagnostik damit einen Grund für Depressionen und andere Erkrankungen sichtbarer gemacht als früher. Aber von den speziellen Problemen der Burnout-Diagnosen einmal abgesehen: Nehmen psychische Störungen in der Bevölkerung nun zu oder nicht? Im Deutschen Ärzteblatt wurde mit Hinweis auf die steigenden Krankschreibungen infolge von psychischen Störungen schon vor einigen Jahren gefragt, ob es sich bei den psychischen Störungen um die „Epidemie des 21. Jahrhunderts” handelt. Gute Frage.
Schaut man sich Indikatoren wie die Rentenzugänge, die Krankenhausbehandlungen oder die Krankschreibungen infolge von psychischen Störungen an, so zeigen sich in der Tat beeindruckende Steigerungsraten:
Andererseits kam eine Arbeitsgruppe um den Dresdner Psychiater Hans-Ulrich Wittchen vor kurzem auf der Grundlage einer Durchsicht des verfügbaren Studienmaterials in Europa zu der Schlussfolgerung, dass bei den meisten psychischen Störungsbildern kein Anstieg zu beobachten sei (Wittchen HU et al (2011) The size and burden of mental disorders and other disorders of the brain in Europe 2010. European Neuropsychopharmacology 21: 655-679).
Was nun? Nehmen die psychischen Störungen zu oder ist alles nur Einbildung? Oder gibt es nur eine Zunahme der diagnostizierten Fälle durch mehr diagnosenstellende Therapeuten? Oder, wie beim Burnout, vielleicht eine Offenlegung der bereits früher vorhandenen Krankheitslast, begünstigt durch eine schrittweise Enttabuisierung psychischer Störungen? Oder von allem etwas?
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