In den letzten 30 Jahren war die Zahl der Suizide in Deutschland rückläufig. Im Jahr 1980 waren es 18.451 Fälle, im Jahr 2010 „nur” noch 10.021 (das „nur” ist relativ: es gibt mehr als doppelt so viele Suizide wie Verkehrstote).

Männer begehen seit jeher deutlich häufiger Suizid als die Frauen. Etwa drei Viertel aller Suizide entfallen auf die Männer, betroffen sind vor allem ältere Männer. Frauen begehen dagegen häufiger Suizidversuche als Männer.
Der Trend bei den Suizidzahlen war bei beiden Geschlechtern rückläufig. Die niedrigste Zahl war 2007 zu verzeichnen, mit 9.402 Fällen. Seit kurzem nehmen die Suizide wieder zu. Ob das eine Trendwende ist oder eine vorübergehende Erscheinung, bleibt abzuwarten. Eine Erklärung für diese Entwicklung gibt es bisher nicht. Ob die Finanz- und Wirtschaftskrise damit zu tun hat? Das würde immerhin zur alten „Anomiethese” des Suizids von Durkheim passen, also der These, dass es mehr Suizide gibt, wenn die soziale Ordnung an Bindekraft verliert.

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Interessant ist auch die Rangfolge der Länder. In der DDR gab es recht hohe Suizidraten, das hat im Osten der Republik noch eine Weile nachgewirkt, inzwischen haben sich die Raten in Ost und West weitgehend angeglichen.

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Anders als bei der Sterblichkeit insgesamt, die eng mit der sozialen Lage zusammenhängt, scheint die Suizidsterblichkeit nicht von der sozialen Lage eines Landes abzuhängen. Reiche Länder wie Baden-Württemberg und Bayern haben mit die höchsten Suizidraten. Dafür gibt es übrigens auch keine gute Erklärung. Es sei denn, hier hat jemand eine Idee, was die beiden Phänomene angeht?

Kommentare (85)

  1. #1 Dr. Webbaer
    9. Dezember 2011

    Es ist denkbar, dass die Suizidrate mit sehr guter medizinischer Versorgung und hoher Lebenserwartung korreliert, dass also eine weitere Zunahme zu erwarten ist…

    MFG + weiterhin viel Erfolg
    Dr. Webbaer

    PS: Kam der Artikel nicht einen Tag zu früh, Ihr bisheriges Publikationsverhalten berücksichtigend!

  2. #2 Joseph Kuhn
    9. Dezember 2011

    Kam der Artikel nicht einen Tag zu früh, Ihr bisheriges Publikationsverhalten berücksichtigend

    Für Ihre Planung: in der Regel Freitag abend.

  3. #3 Radicchio
    9. Dezember 2011

    erklärung: geld macht nicht glücklich.

  4. #4 rainer
    9. Dezember 2011

    “Es ist denkbar, dass die Suizidrate mit sehr guter medizinischer Versorgung und hoher Lebenserwartung korreliert, dass also eine weitere Zunahme zu erwarten ist…”
    klingt plausibel.
    Gibt es Daten zur Alterverteilung?

  5. #5 Thilo
    9. Dezember 2011

    Wb: denkbar, dass die Suizidrate mit sehr guter medizinischer Versorgung und hoher Lebenserwartung korreliert

    Eine Aufschlüsselung nach Lebensalter der Betroffenen wäre tatsächlich interessant, also ob es sich überwiegend um 18-jährige oder eher um unheilbar kranke 80-jährige handelt.
    Allerdings hat die Suizidrate ja in den letzten 20 Jahren gerade abgenommen und das widerspricht der Korrelation mit der Lebenserwartung eigentlich.

  6. #6 Roland
    9. Dezember 2011

    Wenn in den reicheren Ländern die Sterberate niedriger ist, müssen sich mehr Leute selbst umzubringen. In den ärmeren geht das von alleine.

  7. #7 Muddi & theBlowfish
    9. Dezember 2011

    @rainer und Thilo:
    Bittesehr, allerdings von 2005

  8. #8 Spoing
    10. Dezember 2011

    Man muss bei Suiziden ja auch beachten, dass die Gründe komplett unterschiedlich seien können. Es gibt zum einen Leute welche sich “im affekt” umbringen, weil die Freundin schluss gemacht hat oder ähnliches (diese wollen einfach nur, dass das aktuelle Leid aufhört) und es gibt Leute welche langjährige Depressionen haben und keinen Sinn im Leben an sich sehen. Und ich würde noch als drittes Leute nehmen welche den suizid als letzten Ausweg suchen (Leute die sich verspeckuliert haben und dann völlig überschuldet sind). Natürlich kann man diese Gruppen nicht immer klar von einander trennen und eventuell fehlen in meiner Ausführung noch Gründe, aber man sollte auf jedenfall berücksichtigen, dass die Auslöser Grundverschieden sind.

    Leute welche sich das Leben nehmen, da sie ihr ganzes hab und gut verloren haben, findet man wohl gehäuft in Krisenzeiten. Während dämliche Jugendliche, die keinen Sinn mehr nach einer Trennung sehen wohl von äußeren Faktoren unabhängig sind. Bei leuten mit Depressionen werden die Zahlen wohl rückläufig sein, da selbige ja mitlerweile auch als behandelbare Krankheit wahrgenommen werden und nichtmehr nur als Schwäche gelten.

    Gegen Durkheims These würde ich aber sagen spricht die Tatsache, dass es in den Flächenländern nicht weniger Suizide gibt als in den Großstätten (was mich persönlich sehr überrascht hat)

  9. #9 Joseph Kuhn
    10. Dezember 2011

    @ rainer, @ thilo:

    1. Daten nach Lebensalter sind natürlich verfügbar – unter der schon mehrfach empfohlenen Internetseite der Bundesgesundheitsberichterstattung. Die Suizidraten steigen bei den Männern im Lebensverlauf mehr oder weniger kontinuierlich und deutlich an, beginnend mit dem Jugendalter, also nicht erst bei den unheilbar kranken Hochaltrigen. Bei den Frauen gibt es nur einen leichten Anstieg im Lebensverlauf. Hauptursache von Suiziden sind übrigens schwere Depressionen, auch das ist etwas paradox, weil Frauen häufiger von Depressionen betroffen sind, aber niedrigere Suizidraten haben.

    2. Der Trend der Suizidraten in den letzten Jahren ist durch die Alterung der Gesellschaft nicht zu erklären. Trotz der Zunahme der Zahl der Älteren (mit höherem Suizidrisiko) gingen die Suizide bis 2007 zurück, seitdem steigen sie wie oben beschrieben an, das gilt sowohl für die absoluten Fallzahlen als auch für die altersstandardisierten Raten.

    Sowohl der Trend der Suizide als auch die Unterschiede zwischen den Ländern müssen andere Ursachen haben.

  10. #10 WolfgangK
    10. Dezember 2011

    Meine subjektiven Erfahrungen sind, dass Bayern und Baden-Württemberg eher zu den Ländern gehören, in denen der Zusammenhang zwischen Wohlstand und Ansehen eine höhere Rolle spielt als in anderen Bundesländern. Wer nicht zumindest eines der erwarteten Prestigeobjekte vorzuweisen hat (Haus, teures Auto, usw.) gilt vor allem in solchen Regionen eher als Taugenichts. Insofern könnte ich mir gut vorstellen, dass dieser gesellschaftlicher Erfolgsdruck sich in wirtschaftlich schwierigen Zeiten vor allem in vorwiegend traditionell konservativen Regionen bemerkbar macht und dort eventuell verstärkt zu einer Aufgabe des Lebenswillen führt. Interessant wäre vielleicht auch ein Vergleich der Suizidrate in den beiden Bundesländern mit der Depressionsstatistik. Vielleicht gibt es ja einen Zusammenhang.

  11. #11 WolfgangK
    10. Dezember 2011

    Das hat sich gerade überschnitten. Deshalb ist die Frage nach dem Vegleich mit Depressionen erledigt bzw. überholt…

  12. #12 Joseph Kuhn
    10. Dezember 2011

    @ WolfgangK: Eine gute Statistik zu Depressionen im Zeitverlauf oder nach Ländern gibt es leider nicht. Nimmt man die im Krankenhaus behandelten Fälle: die nehmen seit Jahren zu, siehe auch diesen Blogbeitrag.

  13. #13 Stefan W.
    10. Dezember 2011

    Lassen sich Verkehrstote gegen Suizide denn immer klar abgrenzen?

  14. #14 REALM
    10. Dezember 2011

    Ist es möglich sein ganz eigenes Leben auch ganz einfach selbst zu beenden ohne irgendwelche sinnlosen Statistiken oder gar Vergleiche mit anderen Sterbefällen durchzuführen?

    All diese mehr oder weniger sinnlosen Betrachtungen von nicht Beteiligten, Beteiligte geben keine Auskunft mehr, sind damit hinfällig und entbehren nicht einer gewissen Respektlosigkeit denjenigen gegenüber die diesen Weg gehen wollen oder schon gingen.

    Der Katholizismus ist noch immer in vielen Köpfen und ganz besonders im Rechtssystem.

  15. #15 Joseph Kuhn
    10. Dezember 2011

    @ StefanW.:

    Lassen sich Verkehrstote gegen Suizide denn immer klar abgrenzen?

    Sicher nicht. In den Verkehrstoten steckt ein Teil der Dunkelziffer der Suizide. Ebenso übrigens wie in der ICD-Gruppe R95-R99 (ungenau bezeichnete oder unbekannte Todesursachen). Die Statistik über Suizide ist naheliegenderweise keine sehr gute Statistik. Die Frage wäre, ob sich der Anstieg der Suizide über solche statistischen Aspekte erklären ließe. Dazu müsste es eine größere systematische Verschiebung zwischen Dunkelziffer und erkannten Fällen geben (z.B. andere Vorgaben für die Leichenschau, andere Codiervorschriften etc.), dies ist nicht der Fall.

    @ REALM:

    Den sog. “Freitod” gibt es, aber er scheint nach allem, was man über Suizide weiß, die Ausnahme zu sein. Die meisten Suizide haben ihre Ursache in schweren Depressionen (daneben in Schizophrenien, Suchterkrankungen usw.). Suizide mit dem “Freitod” gleichzusetzen, wäre eine gefährliche Romantisierung des Suizids, vor allem in der Medienberichterstattung, weil das den “Werther-Effekt” begünstigt. Aus den gleichen Gründen sollte man auch nicht von “Selbstmord” sprechen, was eher zur katholischen Tradition passt, auch hier wird, um Schuld zu begründen, das Ausmaß der freien Entscheidungsfähigkeit bei den meisten Suiziden überschätzt.

  16. #16 Sven Türpe
    10. Dezember 2011

    Sowohl der Trend der Suizide als auch die Unterschiede zwischen den Ländern müssen andere Ursachen haben.

    Müssen sie? Wir könnten auch auf die latente Entmündigung der Selbstmörder verzichten und ihr Handeln als freie Entscheidung akzeptieren. Die Statistik und ihre Entwicklung über die Zeit hätte dann keine Ursache im engeren Sinne, sondern wäre einfach nur eine informative Statistik über ein komplexes dynamisches System. Vielleicht enthalten Suizidraten einfach einen Modeaspekt.

  17. #17 Joseph Kuhn
    10. Dezember 2011

    @ Sven Türpe:

    Wir könnten auch auf die latente Entmündigung der Selbstmörder verzichten und ihr Handeln als freie Entscheidung akzeptieren

    Im begründeten Ausnahmefall ja, in der Regel nein, siehe den Kommentar zu REALM direkt davor.

  18. #18 Sven Türpe
    10. Dezember 2011

    @Joseph Kuhn:

    Dort wird der Werther-Effekt zum Paradox: wenn man den Freitod als solchen im Wortinn akzeptiere, also als freie Entscheidung von Subjekten, fördere man einen Effekt, der dieselben Subjekte sogleich zu willenlosen Objekten mache (welche man, so die unterschwellige Andeutung, zu retten gedenke). Man könnte analog in die entgegengesetzte Richtung argumentieren und sagen, die Gesellschaft pathologisiere Vorstufen der Selbsttötung, um mit dem Phänomen leichter umgehen zu können.

    In Wirklichkeit haben wir es mit einem Kontinuum zwischen Freiheit und Fremdsteuerung zu tun. Dass wir äußeren Einflüssen unterligen, ist unbestritten, macht und jedoch nicht per se unfrei. Ich schrieb bewusst von Mode: der objektive und statistisch nachweisbare Einfluss der Mode auf die Statistik Kleidung steht der individuellen Entscheidung für oder gegen den blauen Pullover nicht im Weg.

    BTW, im Falle von Fremdtötungen tut sich die Gesellschaft weit schwerer damit, eine pathologische Begründung zu akzeptieren und unterstellt regelmäßig willentliches Handeln und Entscheidungsfreiheit. Sitzen in unseren Gefängnissen lauter Opfer, deren freie Entscheidungsfähigkeit überschätzt wurde?

  19. #19 WolfgangK
    10. Dezember 2011

    @REALM

    Ich denke, Deine Aussage greift da etwas zu kurz. Ergänzend zu den Ausführungen von Joseph Kuhn möchte ich noch etwas anmerken.
    Wenn man jemanden in seinem Umfeld hat, der depressiv und suizidgefährdet ist und man die Ursachen im Großen und Ganzen kennt, die nicht in der Person selbst liegen, dann wäre ein Suizid stets die Folge dieser Ursachen und keine freie Entscheidung. Es ist ein Unterschied, ob jemand sein Leben bspw. wie Gunther Sachs freiwillig beendet oder jemand zum Suizid getrieben wird, sei es aus einer vermeintlichen Schuld oder weil das Leben aus den Ursachen heraus unerträglich geworden ist. Auch darf man nicht vergessen, dass Suizidbemerkungen (ich will nicht einmal von einer Androhung sprechen) zumeist Notrufe solcher Personen sind, auf die man wirklich sensibel reagieren sollte.

    Am schlimmsten jedoch finde ich persönlich, dass auch oft enge Angehörige in dem Umfeld von depressiven Menschen mit Hilflosigkeit reagieren und Suizidbemerkungen zumeist mit dem Satz “es wird schon nichts passieren” verdrängen. Sie sind entweder nicht in der Lage oder einfach nicht bereit, sich mit der entsprechenden Person auseinanderzusetzen. Und die immer wieder zu hörenden Argumente nach einem Suizid wie “da kann man nichts machen, er/sie wollte es so” gelten im Allgemeinen eher der Beruhigung des Gewissens der Hinterbliebenen und haben nichts mit der Realität zu tun. Einen wichtigen Satz von Joseph Kuhn möchte deshalb hier wiederholen: “das Ausmaß der freien Entscheidungsfähigkeit (wird) bei den meisten Suiziden überschätzt.”

  20. #20 Joseph Kuhn
    10. Dezember 2011

    @ Sven Türpe: An diesem Punkt führt kein Weg daran vorbei, die Fachliteratur mit der dort dokumentierten klinischen Erfahrung und empirischen Forschung zur Kenntnis zu nehmen. Die “Pathologisierungshypothese” trägt einfach nicht, sie hat die Empirie gegen sich. Davon abgesehen, hat das nichts mit der Frage nach einer Erklärung des Anstiegs der Suizide in den letzten Jahren zu tun.

  21. #21 Spoing
    10. Dezember 2011

    Wenn wir hier also “nur” den Suizid und nicht den Freitod besprechen, da er den Löwenanteil ausmacht, reden wir hier also nur über kranke Menschen denen man noch hätte helfen können?!
    Also über Leute deren Hormonhaushalt nicht stimmt oder durch Schicksalsschläge in Depressionen versunken sind.

    Eine kleine Überlegung habe ich dann auchnoch, kann es sein das die abwälzung der Verantwortung auf die Gesellschaft dann auch dazu führt, das die Zahl der Suizide rückläufig ist? Wenn die Person denkt ihr leben ist gerade so schlecht, weil die Gesellschaft daran schuld ist werden sich die negativen emotionen ja eher gegen die Gesellschaft richten. Während jemand der an das amerikanische Prinzip glaubt (jeder ist seines Glückes Schmied) ja nur sich selbst an den Zuständen die Schuld geben kann.
    Ist halt nur Spekulation, weiß jemand da zufällig was, ob sich aus Depressionen auch Hass gegen die vermeintlich verantwortlichen entwickelt? Oder werden die Betroffenen weniger von Selbsthass geplagt, als das sie viel mehr “nur” keinen Sinn mehr im Weitermachen sehen?

  22. #22 Sven Türpe
    10. Dezember 2011

    Die “Pathologisierungshypothese” trägt einfach nicht, sie hat die Empirie gegen sich.

    Philosophie lässt sich nicht wissenschafltich widerlegen, da sich jede Wissenschaft ihrerseits auf eine Philosophie stützt. Ich unterstelle Entscheidungsfreiheit. ohne Umgebungseinflüsse zu leugnen. Die Gegenargumente möchte ich sehen.

  23. #23 Joseph Kuhn
    10. Dezember 2011

    @ Sven Türpe:

    Philosophie lässt sich nicht wissenschafltich widerlegen

    Darüber kann man erstens streiten, zweitens machen Sie keine philosophische, sondern eine empirische Aussage. Ihre “Pathologisierungsthese” unterstellt einen empirischen Sachverhalt, nämlich dass freie Entscheidungen pathologisiert würden, z.B. indem Menschen als schwer depressiv erklärt werden, ohne dass sie es sind. Ohne empirischen Bezug macht diese These gar keinen Sinn. Sie prüfen diesen Bezug nur nicht nach, er würde Ihre These widerlegen.

    Die Gegenargumente möchte ich sehen

    Dazu müssen Sie auch hinschauen. Basisinformationen gibt es z.B. bei der Deutschen Gesellschaft für Suizidprophylaxe und Studien finden Sie, so viele Sie wollen, bei Pubmed.

  24. #24 WolfgangK
    10. Dezember 2011

    @Joseph Kuhn

    Anscheinend ist die Zuordnung der Suizidkurve zu bestimmten gesellschaftlichen Vorgängen nicht ganz einfach. Der Informationsdienst Wissenschaft (idw) hat übrigens am 27.01.2010 noch von einem reinen Rückgang der Suizidraten gesprochen. Zu den Suizidursachen scheint man sich aber gar nicht so richtig festlegen zu können, wie folgendes Zitat aus dieser Seite zeigt:

    “Die Wahrscheinlichkeit eines Suizids hängt von einer ganzen Reihe von Faktoren ab, zum Beispiel von Geschlecht, Alter, sozialen Kontakten, Depressionen und Suchtkrankheiten”, sagt Prof. Dr. Jürgen Schweikart von der Beuth Hochschule für Technik Berlin; er und seine Kollegin Nicole Ueberschär sind die Autoren des Beitrags zur Suizidhäufigkeit, die das IfL auf der Internetseite “Nationalatlas aktuell” veröffentlicht hat. Besonders auffällig ist die gegenüber Frauen drei Mal höhere Mortalitätsrate bei Männern. Ein deutlicher Zusammenhang besteht außerdem zwischen Familienstand und Suizidwahrscheinlichkeit: Geschiedene nehmen sich häufiger das Leben als Verheiratete, die die niedrigsten Suizid- und Suizidversuchsraten aufweisen. Auch sei ein signifikanter Zusammenhang mit bestehender Arbeitslosigkeit festgestellt worden, so Nicole Ueberschär.”

    Zumindest der “signifikante” Zusammenhang zwischen Suizid und Arbeitslosigkeit ist nach der Statistik 2007 nicht gegeben, wie dieses und dieses Bild im Vergleich zeigt. Eher muss man davon ausgehen, dass in Regionen mit geringer Arbeitslosigkeit die Suizidrate höher ist, was wohl keinen logischen Zusammenhang haben dürfte. Inwieweit erfasste Suizidversuche die Statistik beeinflussen ist auch nicht ganz klar. Aber immerhin gibt man einen Hinweis darauf, dass die Suizidrate auch von der Häufigkeit des Singledaseins in der Gesellschaft abhängen könnte. Vielleicht gibt es ja in BY und BW mehr Singles als vermutet, aber dazu habe ich nichts gefunden.

  25. #25 Philipp
    10. Dezember 2011

    Wenn man die Zahlen des Bundesamtes für 2010 nimmt kommt folgednes raus:

    Wenn man die Suizidrate durch die Bevölkerungsanteile teilt, gibt es einen starken altersabhäniggen Trend. Bei den 85-90 Jährigen gibt es ca. 5-6x soviele Suizide wie bei den 15-20 Jährigen.

    Leider kann ich hier keine Bilder einbinden, aber die Trendlinie (R=0,92) gibt als Gleichung: f(x) = 0,0251*x – 0,138 mit x = alter in Jahren, an.
    Das bedeutet, dass die Warscheinlichkeit einen Suizid zu begehen steigt ungefähr linear mit dem Alter an.
    Dabei gibt es jedoch 3 Lokale Maxima: bei 25-30, bei 50-55 und bei 85-90, wobei ich vermuten würde, dass nur das letzte signifikant ist (interessanterweise fällt die Warscheinlichkeit für die über 90 Jähirgen wieder massiv ab)

  26. #26 Joseph Kuhn
    10. Dezember 2011

    @ WolfgangK: Hinter der von Ihnen zitierten Meldung steht ein Projekt des “Nationalatlas”. Dazu wurden die Suizidraten der Landkreise und kreisfreien Städte kartografisch dargestellt. Die aus dem Begleittext zitierte Feststellung zum Zusammenhang von Suiziden und Arbeitslosigkeit bezieht sich allerdings auf eine Studie, in der es um individuelle Risikofaktoren geht. Wenn auf der Personenebene ein Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Suizidrisiko besteht, muss dieser Zusammenhang nicht unbedingt auf der Ebene eines Landkreisvergleichs sichtbar sein (ebenso wie umgekehrt Korrelationen, die auf Landkreisebene gegeben sind, nicht auf der Personenebene gegeben sein müssen, siehe dazu den Wikibeitrag über den “ökologischen Fehlschluss”).

    @ Philipp: Eine Grafik zum Zusammenhang von Suiziden und Alter ist oben von Muddi & theBlowfish verlinkt. Der Link führt zu einer Grafik, die links die Altersverteilung der Fälle und rechts die der Raten wiedergibt. Die Verteilungen für 2010 sehen praktisch genauso aus. Grafiken zur Altersverteilung der Suizide und zu anderen Aspekten gibt es auch bei der bayerischen Gesundheitsberichterstattung, die dort dargestellten strukturellen Sachverhalte gelten ganz ähnlich auch für Deutschland insgesamt.

  27. #27 Statistiker
    10. Dezember 2011

    Suizid ist doch was feines. In meinem Verwandtenkreis gilt seit jeher: Demenz = Von der Brücke springen. 45 Meter Höhe reichen aus. Damit erspart man sich selbst und seinen Mitmenschen viel Qual.

    Das einzige Problem bei Demenz ist: Man braucht einen, der einem sagt, dass man demenz ist. Alles andere ist trivial.

    Ich geb mir noch maximal 20 Jahre, dann spring ich auch. Solange müsst Ihr mich noch ertragen.

  28. #28 s.s.t.
    10. Dezember 2011

    In diesem Zusammenhang sei auch an die Spice-Problematik erinnert. In Zusammenhang mit JWH-200 wurden schon scheinbare Suizide bekannt. Die üblichen Screenings sprechen nicht auf die JWH’s et al. an und entsprechende Analysen werden aus Kostengründen nicht durchgeführt, wenn überhaupt eine Obduktion erfolgt.

  29. #29 WolfgangK
    10. Dezember 2011

    @Joseph Kuhn

    Ja, leuchtet ein. Schliesslich können ja auch wenige Arbeitslose in einer Region anteilmäßig häufiger Suizid begehen als in anderen Regionen. Nur wirft das dann die Frage auf, wie man mit solchen Statistiken umgehen sollte, wenn dann doch erheblich wichtige Faktoren wie bspw. depressive oder andere psychische Erkrankungen gar nicht so richtig statistisch (außer von den Krankenhäusern) erfasst werden können. Erfahrungsgemäß ist das Krankenhaus zumeist “letzte Möglichkeit”, wenn niemand mehr weiter weiss. Wenn dann noch regional sensible Faktoren wie gesellschaftlicher Gruppendruck dazu kommen – die ja auch nicht wirklich berücksichtigt werden oder erfasst werden können (und deshalb immer Spekulation bleiben) – , dann kann man zwar sagen: “wir wissen, wieviele Suizid begehen, aber eigentlich wissen wir immer noch nicht viel über persönliche Beweggründe”. Heisst also, Suizidvorbeugung bleibt schwierig.

    Mich würde jedoch interessieren, wie es mit den psychischen Erkrankungen aussieht, die von den Krankenhäusern gemeldet werden. Gibt es da Statistiken, die in regionale Bereiche aufgeteilt sind?

  30. #30 Joseph Kuhn
    10. Dezember 2011

    @ WolfgangK: Naja, über Risikofaktoren und Präventionsmöglichkeiten weiß man schon Einiges. Als Datengrundlage stehen ja nicht nur Routinestatistiken zur Verfügung, sondern auch viele Studien einschl. der Untersuchung der individuellen Fälle. Trotzdem ist es richtig, dass die Suizidvorbeugung schwierig bleibt.

    Krankenhausstatistik: Sie ist nach Wohnort und nach Behandlungsort regionalisierbar, für alle ICD-Diagnosen. Kleinräumige Daten aus der Krankenhausstatistik gibt es aber nicht so komfortabel wie Bundes- und Länderdaten auf der Internetseite der Bundesgesundheitsberichterstattung, sondern nur über die Statistischen Landesämter und die meist bei den Gesundheitsverwaltungen abrufbaren Gesundheitsindikatoren der Länder.

  31. #31 ColonelHeinz
    10. Dezember 2011

    Ich weiß, das ist ein ernstes Thema, aber eines fand ich doch bemerkenswert:
    “Etwa drei Viertel aller Suizide entfallen auf die Männer, betroffen sind vor allem ältere Männer. Frauen begehen dagegen häufiger Suizidversuche als Männer.”

    Also sind Männer doch in allem erfolgreicher als Frauen!

    Und nein, ich bin kein Sexist, ich stehe nur auf schwarzen Humor.

  32. #32 BreitSide
    10. Dezember 2011

    Ich bin anlässlich eines Statistikvortrags über die Suizidverteilung gestolpert (worden):

    1) Suizide sind am häufigsten bei Jugendlichen. Beweis: Dort sind sie die erste Todesursache.
    2) Suizide sind am häufigsten beim mittleren Alter. Beweis: Die aufgefundenen Suizidfälle sind meistens im mittleren Alter.
    3) Suizide sind am häufigsten im Alter. Beweis: Von 100 Menschen gleichen Alters steigt die Zahl derer, die sich im näxten Jahr umbringen werden, mit jedem weiteren Lebensjahr.

    Wobei letzterer Zusammenhang oben etwas verbessert wurde.

    Interessant fand ich in letzter Zeit die Rezeption zweier prominenter Suizide: Enke und Merkle.

    Für Enke gab es riesige Kundgebungen, für Merkle hatten viele nur Spott übrig. Naja, ein Fußballer ist ja auch wichtiger als ein Unternehmer, der Arbeitsplätze schafft.

  33. #33 Spoing
    10. Dezember 2011

    @Bretside: Viel krasser war das damals noch um den FDP Politiker Möllemann.
    Hier haben viele Satiriker sämtlichen Anstand verloren und niveaulose witze gerissen.

    Auch wenn ich eingestehen muss, dass abgrundtief schwarz zwar meinen Humor trifft, hat mich doch die Heuchelei angewiedert mit der Leute, welche sich selbst als moralisch besser ansehen, auf einmal jegliche Moral vermissen lassen wenn es den vermeintlichen Feind trifft.

  34. #34 WolfgangK
    11. Dezember 2011

    @Joseph Kuhn

    Sicher weiss man einiges über den Suizid, nur kann es den/die Gefährdete(n) erst dann helfen, wenn diese(r) bereit ist, sich entsprechend behandeln zu lassen. Dazu kommt noch, dass der/die Hilfesuchende oft auf unprofessionelle Hilfe trifft (ich hatte mich in einem anderen Thread schon einmal darüber ausgelassen) und in Verbindung mit eigener Unlust schnell abgestoßen wird. Wenn man wirklich präventiv Erfolg haben möchte, dann müsste “der erste Kontakt” anders geregelt sein. Bspw. nur mit einem studierten Psychologen, der dann entsprechende Therapeuten empfiehlt. Zumindest wäre dann der Patient erfasst und man könnte entsprechend von professioneller Seite agieren und nachhaken. Aber ich denke, dass wäre ein anderes Thema.

    Zu den Krankenhausstatistiken: wie sieht dort der Vergleich zwischen der regional aufgeschlüsselten Suizidrate und den Erkrankungen aus? Gibt es da repräsentative Erkenntnisse oder kann ich da selbst Einblick nehmen (ich gestehe, ich habe noch nicht danach gesucht…)?

  35. #35 Joseph Kuhn
    11. Dezember 2011

    @ WolfgangK

    Aber ich denke, dass wäre ein anderes Thema

    In der Tat. Hier geht es zudem um ganz unterschiedliche Ebenen, vom rechtzeitigen Erkennen einer Depression über die Sicherung von sog. “hot spots” (z.B. Brücken) bis hin zum richtigen Umgang mit Suizidgefährdeten im Behandlungsverlauf selbst – ich bin da auch kein Fachmann.

    Zu den Krankenhausstatistiken: wie sieht dort der Vergleich zwischen der regional aufgeschlüsselten Suizidrate und den Erkrankungen aus

    Wieviele Suizide im Krankenhaus behandelt wurden, wird in der Krankenhausstatistik nicht ausgewiesen. Für einen Regionalvergleich könnte man nur z.B. auf Landkreisebene die Rate der psychischen Störungen oder der Depressionen aus der Krankenhausstatistik mit der Suizidrate aus der Todesursachenstatistik korrelieren. Das kann man rechnerisch machen, aber wie soll man das Ergebnis interpretieren? So spiegelt z.B. die Krankenhausstatistik nicht die ganze Krankheitslast wieder, man müsste die ambulant behandelten Fälle miteinbeziehen, des Weiteren sind die weitaus meisten psychisch Kranken zum Glück nicht suizidgefährdet, das bedeutet aber auch, dass ein eventueller Zusammenhang von regionalen Behandlungsraten und regionalen Suizidraten aus dem statistischen Rauschen der regionalen Behandlungsraten herausgefiltert werden müsste, wie gesagt, falls es hier überhaupt einen Zusammenhang gibt, was ich nicht annehme, usw. usw., da gibt es jede Menge Probleme – also, die Arbeit würde ich mir sparen.

  36. #36 WolfgangK
    11. Dezember 2011

    @Joseph Kuhn

    Ok, ich erspare mir die Arbeit, zumal ich wohl keinen ausreichenden Durchblick für eine richtige Interpretation hätte. In jedem Falle aber vielen Dank für die ausführlichen Antworten.

  37. #37 Sven Türpe
    11. Dezember 2011

    @Joseph Kuhn:

    Noch mal langsam, vielleicht habe ich den entstehenden Gedanken nicht klar genug ausgedrückt.

    Angenommen, wir kennen Krankheiten, deren Auftreten mit einer auffällig erhöhten Suizidrate der Betroffenen einhergeht, sagen wir: Haarausfall, Alkoholvergiftung und Depression. Nach welchen Kriterien grenzt man

    1. die freie, wenn auch vielleicht situationsbeeinflusste Entscheidung (Haarausfall),
    2. Wirkungen des Suizidversuchs (Alkoholvergiftung) und
    3. von einer Krankheit verursachte unfreiwillige Suizide

    voneinander ab? Oder kürzer, wie unterscheiden wir Freiheit von Krankheit und auf welche Axiome oder Annahmen stützen wir uns dabei?

    Als Antwort bitte keine vagen Gesten auf unbestimmte Fachliteratur. Ich nehme meine Gesprächspartner ernst und erwarte von ihnen dasselbe.

  38. #38 BreitSide
    11. Dezember 2011

    Muahaha, der war gut!

    TürpelTölpelTroll nimmt Gesprächspartner ernst! Ymmd! Super! Du hast Dich selbst übertroffen in Selbstironie.

    Hehe, so fängt ein Tag richtig lustig an.

  39. #39 MoritzT
    11. Dezember 2011

    @ST: Selbstverständlich überlappen sich die Ursachen – aber davon auszugehen, dass psychische Erkrankungen die freie Entscheidungsfähigkeit nicht beeinflussen und ein Suizidversuch eines Depressiven eher als freie Lebensentscheidung denn als Folge der Erkrankung zu sehen ist, halte ich für wenig tragfähig. Bei manifest psychisch kranken Menschen spart man sich ärztlicherseits zunächst diese Unterscheidung und behandelt erst einmal die psychische Störung. Ist der Suizidwunsch davon unabhängig, sollte er ja auch nach Behandlung noch weiterbestehen. Tut er aber aller Regel nach nicht.
    Ich weiß, dass sie die individuelle Freiheit des Menschen sehr hoch einschätzen, aber echte “Bilanzsuizide”, die bei psychisch völlig Gesunden aus perfekter freier Entscheidung auftreten, sind wirklich richtig selten.

    In Bezug auf Ihre Bitte nach spezifischer Fachliteratur: http://www.pubmed.org ist mittlerweile wirklich schlau und findet fast immer, was man so sucht. Einfach mal die Schlagwörter, die Ihnen in diesem Zusammenhang einfallen, eingeben. Ein bisserl muss jeder rumprobieren. Des weiteren darf man sich durchaus auch auf die Expertise z.B. von Herrn Kuhn verlassen.

  40. #40 Joseph Kuhn
    11. Dezember 2011

    @ Sven Türpe: Einen Antwortversuch finden Sie im Kommentar von MoritzT. Suizidalität gehört zu den Symptomen einer schweren Depression, sie gehört nicht zu den Symptomen des Haarausfalls. Eine Diskussion über Suizide infolge von Haarausfall möchte ich, auch angesichts der Ernsthaftigkeit des Themas, wirklich nicht führen, sie ist schlicht an den (ausgefallenen) Haaren herbeigezogen. Letztlich werden Sie sich entscheiden müssen: Entweder das Thema interessiert Sie und Sie wollen sich intensiver mit Fragen der Ursachenforschung bei Suiziden beschäftigen, dann führt, wie bereits oben gesagt, kein Weg an der Fachliteratur und an Fallbeschreibungen vorbei. Wenn Sie aber gegen alle empirischen Befunde über die Ursachen von Suizidalität bei der Meinung bleiben wollen, dass Suizide immer aus einer freien Entscheidung resultieren und die empirischen Befunde auch nicht zur Kenntnis nehmen wollen, was kann ich dazu noch sagen? Zumal, um auch das zu wiederholen, die Frage des freien Willens bei einer suizidalen Handlung nicht Thema des Blogs war.

  41. #41 Dr. Webbaer
    12. Dezember 2011

    @Türpe

    Philosophie lässt sich nicht wissenschafltich widerlegen, da sich jede Wissenschaft ihrerseits auf eine Philosophie stützt.

    Nach welchen Kriterien grenzt man X, Y, Z voneinander ab?

    Solide Denkanregungen, aber Sie müssen verstehen, dass Dr. Kuhn im Rahmen seiner Möglichkeiten im Rahmen des wissenschaftlich Erfassten bleibt und sich an einem ‘Hauptursache von Suiziden sind übrigens schwere Depressionen’ festhält. – Wie es nun wirklich ist, jo mei!, kriegt man schlecht raus; sind’s die Depressionen, will der Alte nur seine Ruhe haben, werden die Schmerzen zu stark, das Leben “unrentabel”?, Dr. W stimmt Ihnen gerne zu in dem Gedanken, dass die Pathologisierung modisch und vermutlich falsch ist. Menschen sind weitgehend frei, überraschenderweise. – Hier hat man es dann natürlich auch mit anderen Menschenbildern zu tun…

    MFG + schöne Weihnachten schon einmal!
    Dr. Webbaer

  42. #42 Dr. Webbaer
    12. Dezember 2011

    (…) dass Suizide immer aus einer freien Entscheidung resultieren (…)

    War nicht die Gegenposition!

    Auch Ihnen schon einmal schöne Weihnachtstage!,
    MFG
    Dr. Webbaer

  43. #43 Wolfgang
    13. Dezember 2011

    Durch sensationelle mediale Berichterstattung können Folgesuizide getriggert werden sog Werther Effekt. Andererseits gibt es bei medial korrekter Berichterstattung (da gibts eine Empfehlung für Medien wie berichtet werden soll) auch einen protektiven Effekt- der nennt sich Papageno Effekt. Siehe

    https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/20959304

    Und im übrigen kann sich eine sinkende Autopsierate in gleicher Weise auf diagnostizierte Suizide auswirken- man findet weit weniger.

  44. #44 MoritzT
    13. Dezember 2011

    Das Anstrengende an Diskussionen mit Gesunden ist, dass sie meistens keine so wirklich belastbare Vorstellung davon haben, was eine Krankheit so alles mit einem anzustellen vermag – und grad die psychiatrischen Krankheiten haben es da doch in sich.

    Pathologisierung menschlicher Wünsche möchte ich auch nicht, aber hier ist meiner Einschätzung nach durchaus in den meisten Fällen klar, was Ursache und was Folge ist. WB und ST sind hier natürlich nun auf die Expertise von Ärzten angewiesen … sorry dafür!

  45. #45 Dr. Webbaer
    13. Dezember 2011

    Pathologisierung menschlicher Wünsche möchte ich auch nicht, aber hier ist meiner Einschätzung nach durchaus in den meisten Fällen klar, was Ursache und was Folge ist.

    Was denn?, lassen Sie’s raus?

    MFG + schöne Weihnachtstage schon einmal!
    Dr. Webbaer

  46. #46 Roland Tluk
    14. Dezember 2011

    Es könnte auch ein Zusammenhang mit Bayern und BaWü geben, dass viele psychisch Erkrankten aus ganz Deutschland in die dortigen stationären therapeutischen Behandlungszentren überweisen werden.

    Eine Behandlung von Depressionen schweren Grades, Traumatologie und BurnOut, die von außen her gestört werden, können die Situation für die Patienten erheblich gefährden.

    Das wäre meine Vermutung.

    Zudem scheinen mir die BaWü und Bayern wesentlich ehrlicher mit der Thematik umzugehen als andere Länder.

  47. #47 MoritzT
    14. Dezember 2011

    Also, es gibt das so eine Erkrankung, die nennt sich endogene Depression. Die ist keine Erfindung der Pharmaindustrie. Den Patienten geht’s wirklich dreckig. So dreckig, dass sie an nichts und niemandem mehr Freude haben und in tiefer Verzweiflung versinken. Eine zweite Gruppe, die ein hohes Suizidrisiko hat, sind Patienten mit Psychosen aus dem Formenkreis der Schizophrenien. Auch keine Erfindung der Pharmaindustrie, und auch nicht wirklich selten.

    Beide Personenkreise haben erhebliche Schwierigkeiten, sich der Welt mit normaler Urteilskraft zu stellen. Weil beiden ihr Hirn stoffwechseltechnisch (und bei den Schizophrenen wahrscheinlich auch strukturell) bei der Erkennung der Welt und ihrer eigenen Rolle im Weg steht.
    Wenn Sie nun postulieren, diese Menschen (die ich für sehr bedauernswert und hilfsbedürftig halte – das sind keine Wohlstandsneurosen!) könnten und sollten ihr Schicksal weiterhin frei bestimmen, dann folgen Sie der “Stellen-Sie-sich-nicht-so-an!”-Attitüde. Hoffentlich tun Sie das nicht.

    Es gibt – aber das wissen Sie ja sicherlich – eine sehr ausführliche Diskussion über die medizinische Entscheidungsfindung bei schwer psychisch Erkrankten. Normalerweise entscheidet ja der Patient durchaus maßgeblich mit, was genau passiert. Geht aber mit psychisch Kranken nicht so ganz (schwer persönlichkeitsgestörte Pädophile mit nicht vorhandener Selbstkontrolle – will die jemand fragen, wo sie sich aufhalten dürfen? Ich geb zu, das ist eine provokante Illustration … )

    Interessanterweise geht das Suizidrisiko bei praktisch allen Patienten (nicht nur den psychiatrischen) zurück, wenn ihre zugrundeliegende Erkrankung behandelt wird. O, ach ja, es gibt da noch ein dickes, interessantes und sehr zynisches Detail: eine bestimmte Gruppe Antidepressiva steigert erst den Antrieb und dann erst die Stimmung. In diesem Intervall ist das Suizidrisiko sogar noch höher als unbehandelt – erst, wenn die Stimmung sich aufhellt, sinkt auch die Suizidalität wieder. Scheint also doch eher an der Stimmung zu hängen, die Suizidalität, oder? Post hoc ergo proper hoc gilt hier nicht; man kann bei Auslassversuchen haargenau nachvollziehen, wie die Patienten wieder suizidal werden. Korreliert schon brutal eng.

    Wir können uns jetzt noch über den großen Kreis der reaktiven Depressionen auslassen, und über die verschiedenen Persönlichkeitsstörungen, oder über die Borderline-Patienten (die sich brutal verletzen können, bei denen Todesfälle aber selten echte, gewollte Suizide sind, sondern viel öfter “versehentliche” Selbsttötungen durch massive Selbstverletzung), über die Suchterkrankungen (auch hier oft ungewolltes Ableben durch Überdosen oder unkontrollierten Entzug (v.a. Alkohol)) … aber dazu fehlt mir die Zeit, es kommt nämlich aufs gleiche raus: geht man die zugrundeliegende Störung(en) an, schickt man den Pankreaskrebs-Patienten zum Beispiel mal zum Psychoonkologen, oder bekämpft man den Schmerz von Schmerzpatienten, oder stellt man Depressive gescheit ein, dann sinkt die Suizidalität fast immer deutlich.

    Lieber WB, lieber ST, wir hatten diese Situation hier schon öfter, das ist immer ein bisserl zwanghaft, weil Ihnen (meine Unterstellung) da erstens Wissen und Erfahrung im Umgang mit Kranken und den pathophysiologischen Prinzipien fehlen (keine Schande, ich weiß auch unglaublich viel nicht) und Sie zweitens einen erheblichen Vorbehalt gegenüber Expertenmeinungen haben (nachvollziehbar, aber nicht hilfreich, man könnte es auch kindisch nennen): Man kann freie Entscheidung und von Krankheit beeinflusste Entscheidung trennen. Das geht sehr gut, aber es ist und bleibt eine heuristische Entscheidung. Es geht um das Gesamtbild aus Erscheinungsbild, Äußerungen und Verhalten des Patienten, in Korrelation mit den klinischen Befunden.

    tl;dr: Es gibt Krankheiten, die einem das Hirn und das Denken so verbiegen, dass man die Wünsche der Patienten nicht als Ausdruck einer freien und bewussten Willensbildung ansehen darf.

  48. #48 Dr. Webbaer
    14. Dezember 2011

    @MoritzT
    Vorab erst einmal dieser Wunsch: Schöne Weihnachtstage schon einmal!

    Ansonsten, Sie navigieren hier ein wenig in eigenen Projektionen; festhalten kann man sich sicherlich daran, dass Humankapital genau dann dazu tendiert aus dem Leben auszuscheiden, wenn die augenblickliche oder zu erwartende Lage sehr ungünstig ist und das Weiterleben somit unattraktiv erscheint und die Kraft zur suizidalen Entscheidungsfindung vorhanden ist. D.h. einerseits, dass die Entscheidung individuell [1] bleibt, dass sie aber andererseits sicherlich mit Krankheit und allgemeinem Zustand korreliert. Zwischen den beiden Extrempositionen der grundsätzlichen Pathologisierung und der absoluten Freiheit, gilt es also in jedem Fall eine Mittelposition einzunehmen – bei Unterschiedlichkeit des Menschenbilds neigt der eine dann eben mehr in diese, der andere mehr in jene Richtung. Was dann auch die unterschiedlichen Sichten erklärt.

    MFG
    Dr. Webbaer (der auch und gerade in der Weihnachtszeit weder Projektionen noch Psychogramme evozieren will)

    [1] hier ist man ja schnell mit der Aberkennung der freien Willensbildung zur Hand

  49. #49 Dr. Webbaer
    14. Dezember 2011

    kleiner Nachtrag noch:
    Zu den Ursachen des Suizids kann sich auch der Laie an Hand von Berichten über das selbstvollzogene Ableben Prominenter ein Bild machen, hier steht viel Material bereit.

  50. #50 Joseph Kuhn
    14. Dezember 2011

    @ Roland Tluk: Der Behandlungsort von Erkrankten spielt bei der Berechnung der Suizidraten keine Rolle. Die Auswertungen beruhen auf dem Wohnortprinzip.

  51. #51 MoritzT
    14. Dezember 2011

    Zwischen den beiden Extrempositionen der grundsätzlichen Pathologisierung und der absoluten Freiheit, gilt es also in jedem Fall eine Mittelposition einzunehmen

    Eben gerade dieser Ausdruck ist unpräzise: der Arzt/die Ärztin hat vor allem eine professionelle Position einzunehmen; die Diagnosenstellung ist zwar heuristisch, aber deswegen noch lange nicht uneindeutig oder beliebig uminterpretierbar, und es ist gerade Aufgabe der Ärztin/des Arztes, herauszufinden, wieviel freie Entscheidung und wie viel Krankheitseffekt drinsteckt. Auf ihre/seine Meinung kommt es da nicht an, er/sie muss sich an die Befunde, an die Anamnese und das klinische Bild halten. Sowas ist nicht verhandelbar, eine Diagnose ist auch nur eine Beschreibung eines Zustandes.

  52. #52 MoritzT
    14. Dezember 2011

    Zum Nachtrag: Das kann man vor allem super beurteilen, ohne die entsprechenden ärztlichen Dokumenten zu kennen. Möglicherweise haben Sie ja das Material (weil Sie in irgendeinem psychiatrischen Archiv arbeiten) – aber den Medienberichten zu glauben ist bei dem Thema schon etwas unterkomplex.

  53. #53 Dr. Webbaer
    14. Dezember 2011

    @MoritzT
    Auch wenn die Medizin eine Erfahrungswissenschaft ist, gibt es Grenzen der Erkenntnis – die sicherlich bei der Bewertung der Suizidfälle erreicht sind, also wenn die Selbsttötungshandlung auf psychische Krankheit oder freien Entschluss zurückzuführen ist. [1]
    Leidensdruck und Suizid sind nicht einfach und kausal zusammenzubringen; eigentlich keine neue Erkenntnis, aber anscheinend doch erwähnenswert, wenn szientistische Kontrapositionen aufgebaut werden. Aber das tut ja sicherlich auch niemand hier…

    [1] hier und in anderen Bereichen, bspw. Syndrome, die der Lebensbewältigung zuzurechnen sind, gibt es Moden und unterschiedliche politische Sichten, was ganz normal ist – vielleicht nehmen Sie auch diesen kleinen Text zur Kenntnis, der jene pol. Positionen zu vertreten scheint

  54. #54 Wolfgang
    14. Dezember 2011

    Ursache für Schizophrenie und damit erhöhter Suizidalität scheinen Infektionen in der Schwangerschaft zu sein: Toxoplasmose, Röteln, und (vor allem) Influenza- weil am häufigste,
    Die Kinder von Schwangeren die im 1.Trimenon eine Influenza haben, haben ein ca 8 fach höheres Risiko eine Schizophrenie zu entwickeln – wobei natürlich auch die Genetik eine Rolle spielt.

    Zum Einlesen zB

    https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/22131978

    Daher langfristig denken, bei Kinderwunsch beide Partner Influenza impfen, damit zig Jhr später nicht ein Unglück passiert, wobei für Schwangere eine Influenza Infektion natürlich auch direkt ein vermeidbares Risiko darstellt.

  55. #55 noch'n Flo
    14. Dezember 2011

    @ Wolfgang:

    Bestimmte Infektionen mögen einen Anteil an einem erhöhten Krankheitsrisiko haben, sind aber gewiss nicht hauptverantwortlich.

    Vor gut 10 Jahren glaubten einige Wissenschaftler auch, ein Virus gefunden zu haben, das Depressionen auslöst (das sog. “Borna-Virus”) – diese Idee hat sich ja inzwischen auch zerschlagen.

    Wir verstehen leider immer noch viel zu wenig von den komplexen Vorgängen im Zentralnervensystem, um da wirklich ernsthafte Aussagen zu machen (aber es wird ja langsam besser).

  56. #56 noch'n Flo
    14. Dezember 2011

    Ach ja, und eine Toxoplasma-Infektion einer Schwangeren hat für das Ungeborene im Regelfall sehr viel drastischere Konsequenzen als eine Depression im späteren Leben.

  57. #57 Muddi & theBlowfish
    14. Dezember 2011

    @Wolfgang:
    Tja, bei multifaktoriellen Genesen wird es eben unübersichtlich, mal gucken, was aus der Studie wird.
    Aehm, eine Frage hätte ich noch, wie biddeschön, erkennen Wissenschaftler bei einer Maus, das sie schizophren ist?
    Also, ich meine, wenn sie nicht gerade rote Hosen mit grossen goldenen Knöpfen anzieht….
    Aber ich muss nicht zum “Mausflüsterer” werden, um zu wissen, dass Rötelnimpfungen und Grippeimpfung und ein Mann, der das Kistchen von Mieze saubermacht, wenn ich schwanger bin (Danke Schatz) mehr Vor-als Nachteile bringen….oder ist das ein Honeypot für Impfgegner? (Der Wolfgang ist ein Scherge von der pöhsen, pöhsen Pharmaindustrie, schnell, setzt Eure Aluhüte auf!
    ;0)

  58. #58 Wolfgang
    14. Dezember 2011

    @noch´n flo und muddi

    also wenn man in medline influenza und Schizophrenia eingibt, gabs früher wenig jetzt seit 2 Jhr schon mehr.
    Und das war ja schon lange so, dass auf Pandemien die Häufigkeit von Schizophrenie viele Jahre später anzog.
    Es gibt sogar eine Studie die das serologisch bestätigt- aber wer hebt sich Seren schon 40 Jhr mit den entsprechenden Infos auf? Es gibt ein Tiermodell, es gibt epidemiologische Studien etc.

    Und klar bei Borna -oder wie gefährlich ist reiten- da war das anders- das hat sich bald verflüchtigt. Hier nicht.

    Und wenn man Frauen und deren Partner mit Kinderwusch impft bzw Schwangere dann hat das ja für Schwangere einen unmittelbaren Benefit- das recht doch auch.
    Wenn sich dann die Hypothese- noch ist es glaub icheine solche- dass Influenza Infektion ein bedeutender Risikofaktor für Schizophrenie als nicht zutreffend herausstellt macht es ja auch nichts, stellt sich das aber als richtig heraus, haben wir alle zu lange zugewartet.

    @muddi

    Moren JL et al J Neurosci 2011;31:1863-72
    Here, we investigated the level of expression and behavioral function of 5-HT(2A) and mGlu(2) receptors in a mouse model of maternal influenza viral infection.

    Die haben sich biochemische Parameter für ihr mouse model hergenommen.

  59. #59 Muddi & theBlowfish
    6. Januar 2012

    Ich habe mal eine Bitte, habe Daten zum Thema Suizidalität bei Schizophrenie gesucht.
    Ein Drittel der männlichen Schizophreniepatienten unternehmen einen (oder mehrere) Suizidversuche- ich bräuchte aber Daten über die WEIBLICHEN Schizophrenieerrkrankten- weiss da wer eine Quelle?
    PS:
    Mal ein paar harte Fakten:
    Suizid -häufigste Todesursache bei 15-40 Jährigen in der Schweiz
    Grund für Selbstmord: in 70% der Fälle Depressionen, in 10% Schizophrenie- so viel zum Thema “freiwillig seinem Leben ein Ende setzen”.
    Die depressive Phase geht in 80-90% der Fälle vorbei und diese Menschen hätten noch das ganze Leben vor sich.
    Hat sich was mit “Freitod”…..

  60. #60 roel
    6. Januar 2012

    @Muddi & the Blowfisch habe gerade nicht ganz soviel Zeit, vielleicht geht hier https://ediss.sub.uni-hamburg.de/volltexte/2011/5328/pdf/Dissertation.pdf einiges raus hervor. Du kannst ja kurz antworten, sonst recherchiere ich das morgen nachmittag.

  61. #61 Muddi & theBlowfish
    7. Januar 2012

    @roel
    Danke, ein klein wenig hat es weitergeholfen, also es geht daraus hervor, dass Frauen mit schizophrenie sich weniger oft versuchen umzubringen, aber absolute Zahlen habe ich auch nicht gefunden.

    Ach und nochwas, ich Schussel, habe meine Queklenangabe vergessen, wo kommen wir denn da bei SB hin ;0)
    http://www.bag.admin.ch, dann Suizidalitätin der Schweiz ins Suchkästli,
    PDF Datei: Bericht gemäss Postulat Widmer
    sorry, geht nicht dirket zu verlinken.

  62. #62 Joseph Kuhn
    7. Januar 2012
  63. #63 roel
    7. Januar 2012

    @Muddi and the Blowfish Ich hoffe der link https://www.gbe-bund.de/oowa921-install/servlet/oowa/aw92/dboowasys921.xwdevkit/xwd_init?gbe.isgbetol/xs_start_neu/&p_aid=i&p_aid=67406207&nummer=670&p_sprache=D&p_indsp=-&p_aid=76943602 funktioniert. Dort findest du unter Todesursache: F20-F29 Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen

    für die Jahre: 1998 1999 2000 2005 2006 2007 2008 2009 2010
    gesamt 109 94 71 83 80 75 82 99 137
    Männer 33 40 26 38 44 33 34 39 61
    Frauen 76 54 45 45 36 42 48 60 76

    Habe leider keine Ahnung, wie man das schöner darstellen kann. Hoffe das hilft trotzdem weiter.

  64. #64 Muddi & theBlowfish
    8. Januar 2012

    @roel und JK: thx!!
    Uff, nach den Zahlen stimmt das mit 1/3 der Männer, aber bei den Frauen sind es ja noch mehr, also ist die Schizophrenie für Frauen sogar NOCH gefährlicher, wer hätte das gedacht.

  65. #65 Joseph Kuhn
    8. Januar 2012

    @ roel, @ Muddi & theBlowfish: Bitte bei den Sterbefällen infolge F20-F29 bedenken, dass hier auch andere Todesursachen als Suizide erfasst sind. Das Geschlechterverhältnis bei schizophrenieassoziierten Suiziden lässt sich daraus nicht entnehmen. Je nachdem, worum es konkret geht, wäre vielleicht eine Anfrage beim Kompetenznetz Schizophrenie oder bei der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention sinnvoll.

  66. #66 Muddi & theBlowfish
    9. Januar 2012

    @Joseph Kuhn: Naja, ich brauche die Zahlen nicht für eine wissenschaftliche Arbeit, nur um mir ein Bild über die ungefähre Mortalität zu machen.

  67. #67 Katinka Itzig
    18. Januar 2012

    Meine Idee zu den hohen Suizidraten in den reichen Bundesländern: Statusverlust wiegt schwerer! …(als in einem ohnehin armen Bundesland, wo es einfach gefühlt mehr Menschen genauso geht und man sich somit nicht ganz so allein vorkommt) Auch die Angst vor sozialer Ausgrenzung nach sozialem “Absturz” kann da eine Rolle spielen.

  68. #68 Joseph Kuhn
    20. Januar 2012

    @ Katinka Itzig: Das wird vermutlich bei dem einen oder anderen Fall zutreffen, aber es erklärt weder den lange rückläufigen Trend der Suizide (bei steigendem Wohlstand und gleichzeitig zunehmender sozialer Ungleichheit) noch die Länderdifferenzen, national wie international. Zudem ist zu bedenken, dass hinter vielen Suizide eine ernste psychische Erkrankung steckt, daher ist die Erklärung wohl woanders zu suchen.

  69. #69 DragMeToHell
    22. November 2012

    Für mich sind Auseinanderetzungen mit dem eigenen Tod und – das dürfte die “Experten” hier schocken – Todesfantasien so normal wie bsw. sich nackt im Spiegel zu betrachten. Der Psychoanalytiker hatte im Gegensatz zu seinen blauäugigen heutigen Kollegen erkannt dass der Mensch analog zu seinem Überlebenstrieb auch einen Todestrieb hat. Und gerade wenn man so morbide veranlagt ist wie ich, ergeht man sich in Todesfantasien unabhängig davon, ob es einem “gut” oder “schlecht” geht. An meiner Wenigkeit würdet ihr “Experten” euch schön die Zähne ausbeißen. *totlach*

  70. #70 DragMeToHell
    22. November 2012

    Kleiner Nachtrag: Ich rede von dem Psychoanalytiker Sigmund Freud.

  71. #71 Adent
    22. November 2012

    @DmtH
    Ach! Erst totlachen und dann einen unnötigen Nachtrag? Tststststs!

  72. #72 emreee
    31. Januar 2013

    oh man ich muss irgendwie mein Adrenalin loswerden.
    Ich konnte nicht schlafen deswegen wollte mich mal so gucken was so in mein Forum wo ich Moderator und Teilhaber bin los ist.Da sah ich in mega aufschrift ein Thread erstellt , also Minimum 80 Schriftgröße . Im ersten Moment ( bis ich mich nach unten durchkämpfte ) dachte ich der will mich verarschen . Es war der verzweifelte Aufruf ob jemand Benford jakob ( Name geändert ) kennt weil er über Face verlauten ließ das er sein leben ein ende setzt .
    Wummss ich guckte so den Thread an und war entsetzt da ich den jungen kannte und mich das zu tief geschockt hat.
    2 stunden lang haben wir versucht ich und paar Dutzend User ihn über Face , msn , die besten freunde, Polizei zu erreichen .
    Zum glück hat ihn dann einer erreicht und die Polizei nahm in dann mit .
    Ich muss sagen das es ein furchtbares Gefühl war so Ohnmächtig da zu stehen .

    Sry für Rechtschreibfehler , bin eigentlich todmüde aber der Adrenalin hält mich wach.

  73. #73 Joseph Kuhn
    31. Januar 2013

    Schön, dass er gerettet werden konnte.

  74. #74 Dr.Maria Hobl
    München
    17. April 2013

    Ein Vergleich von “Rohdaten” führt leicht in die Irre. Um die verschiedenenen Bundesländer in der Suizidalität ihrer Bewohner zu vergleichen, muß zumindest eine Altersstandardisierung gemacht werden. Dies würde den eventuell möglichen Einfluß einer nach Süden wandernden Rentnergeneration aufheben.

    • #75 Joseph Kuhn
      18. April 2013

      Die Tabelle mit den Suizidraten nach Ländern oben im Blogbeitrag weist altersstandardisierte Raten aus. Die Idee mit der “nach Süden wandernden Rentnergeneration” führt hier also nicht weiter.

  75. #76 Anna
    Darmstadt
    7. April 2014

    also was die hohen Suizidraten in den beiden südlichen Bundesländern angeht, habe ich eine Vermutung. Ich denke, es hängt mit dem dortigen Leistungsdenken zusammen. (Ich stamme übrigens selber aus Bayern)

    Zum Beispiel schneiden die Schüler in Bayern und Baden-Württemberg in den PISA-Tests am Besten von allen Bundesländern ab. Andere Untersuchungen über die Gestresstheit von Schülern zeigen in diesen beiden Bundesländern aber auch die schul-gestresstesten Kinder und Jugendlichen. Ist es das wert?
    Im restlichen Leben geht das Leistungsdenken und der Leistungsdruck dann so weiter.

    Bayern und Baden-Württemberg sind auch in vielen Regionen tatsächlich noch sehr konservativ und auch intolerant. Vielleicht trägt das auch mit bei.

  76. #77 NiLaterne
    14. Februar 2015

    Es gibt Untersuchungen dazu: Depressive Mütter gebären depressive Kinder.
    Toxoplasmose soll nicht die Depressionsrate erhöhen, sondern die Risikobereitschaft.
    Jugendliche die sich nach dem Scheitern einer großen Liebe umbringen sind nicht dämlich, sondern sehen für sich keine Perspektive mehr, leider.
    Es gibt ja Anlaufstellen die mittels Telefonnummer auf sich aufmerksam machen, an die sich Menschen mit Todeswunsch richten können.
    Aber da können sich “nur” die Menschen hinwenden, die noch nach einem Ausweg suchen.
    Die anderen denken in solch einem Moment NICHT an Auswege sonder an die Ausweglosigkeit.
    Ich weiß genau wovon ich rede, denn ich suchte den Ausweg.
    Habe aber genügend inzwischen kennengelernt, die zufällig gerettet wurden und sich nicht sicher sind, ob sie es noch mal versuchen.
    Je fester eine Gesellschaft gefügt ist , je höher der Leistungsdruck ist, um so höher scheint auch die Selbsttötungsrate zu sein, in Japan ist es eine der höchsten der Welt .
    Und Scham, für das eigene Versagen, dass sich jemand nicht mehr in die eigenen Augen sehen kann, oder nicht vor den eigenen Eltern besteht, ist ein Grund. (im Alter umgekehrt, die Rente reicht nicht und wer möchte bei den eigenen Kindern betteln?)

  77. #78 Joseph Kuhn
    14. Februar 2015

    @ NiLaterne: Was Sie über Suizidrisiken sagen, ist – soweit ich es beurteilen kann – völlig korrekt. Ich denke, dass Ihre Erfahrungen damals für Andere in vergleichbaren Situationen eine gute Unterstützung sein können.

  78. #79 Armin Schumm
    Großerlach
    28. April 2015

    Es könnte am Trinkwasser mit einem niedrigen Lithiumgehalt liegen. Baden-Württemberg erhält Trinkwasser großteils aus der Bodenseewasser-Versorgung und da ist der Lithiumgehalt extrem niedrig.

    • #80 Joseph Kuhn
      28. April 2015

      @ Armin Schumm: Eine interessante These. Mir fehlt allerdings der pharmakologische Hintergrund, um ad hoc beurteilen zu können, welcher Stellenwert dem Lithium im Trinkwasser als Teilerklärung regionaler Unterschiede bei der Suizidhäufigkeit zukommen könnte. Beim Googeln findet man einiges dazu, aber wenn ich es recht sehe, hat von den Psychiatern, die sich zu regionalen Unterschieden auf Kreisebene oder Länderebene äußern, bisher niemand Lithium im Trinkwasser angesprochen.

  79. #81 Heiko
    15. September 2015

    Kann man auch schon bestimmen, wie sich Psychopharmaka – insbesondere SSRI, die bei Depressionen verschrieben werden – auf die Suizidalität auswirken? Nach neueren Forschungen erhöhen SSRI die Suizidalität um bis zu 46%.

  80. #82 Joseph Kuhn
    16. September 2015

    @ Heiko: Bei jeder antidepressiven Therapie muss das Suizidalitätsrisiko überwacht werden. Das Thema SSRI müsste man ausführlicher diskutieren, der Wiederanstieg der Suizide in Deutschland hat damit nichts zu tun. Zudem sollte man mit Zahlen zu relativen Risiken (“um bis zu 46%”) vorsichtig sein, sie wirken sehr hoch, sagen aber ohne Angabe des absoluten Risikos als Bezugsbasis nicht viel.

  81. #83 Heiko
    16. September 2015

    @ Joseph Kuhn
    Die 46% habe ich aus Veröffentlichungen von Metastudien von PLOS One und dem Cochrane Institute. Daß man mit Metastudien vorsichtig sein muß, weiß ich. Auch darin wird gewarnt, daß die untersuchten Studien uneinheitliche Rahmenbedinungen und Bewertungen haben – was die Seriösität der Forscher unterstreicht.

    Der Wiederanstieg von Suiziden ist meiner Meinung nach auch eher gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Umständen geschuldet und nicht den Medikamenten. Mir ging es nur darum, ob sich in der kleinen Teilmenge der Patienten auf SSRI tatsächlich ein Anstieg feststellen lässt, oder ob ich da einer Ente aufsitze. Ich kam über diese Liste darauf:
    https://ssristories.wpengine.com/old/index1.php

    … und habe dann weiter recherchiert. Den Behauptungen einzelner Kritiker mag ich genau so wenig vertrauen, wie den Behauptungen der Pharma-Konzerne. Aber für einen interessierten Laien ist es sehr schwierig, die Daten, die einen interessieren, zu bekommen und dann auch noch selbst zu prüfen.

    BTW: Bei ambulanter Therapie wird das Suizidalitätsrisiko leider oft nur sehr unzureichend überwacht. Ist das Medikament mal eingestellt, dann sinkt das Risiko, aber jede Dosisänderung erhöht sie wieder signifikant. Zumindest das findet sich sowohl in den aktuellen Handlungsanweisungen für die Therapeuten, als auch bei den kritischen Untersuchungen zum Thema.

    • #84 NiLaterne
      16. September 2015

      Ja, Heiko,so ist es. Mir wurden in der ambulanten Therapie als auch in der Reha Fragen gestellt, die jemand sehr rasch umgehen könnte. Außerdem, es mag in dem Moment so sein,dass kein Suizidgedanke da ist,aber es kann bei manchen am selben Tag schon wieder anders sein. Ich war zBs. in der Reha zum ersten mal seit über 30 Jahren von meiner Familie und dann sogar noch über Weihnachten getrennt. Das löst viel aus.
      Früher waren die Reha-Häuser über Weihnachten geschlossen,jetzt mussten viele sich die Erlaubnis holen,um für drei Tage nach Hause fahren zu dürfen.
      Das mal dazu.
      Ich habe selten so traurige Menschen gesehen,obwohl sich viel Mühe gegeben wurde und und…
      Menschen sind keine Maschinen, mit dem Knopf(Pille) jetzt geht es wieder gut. Das Medikament macht es ja nur möglich für eine Therapie offen zu sein.
      Viele Depressive warten aber mehr als ein Halbes Jahr auf einen Therapieplatz. Ich finde das heftig.
      Übrigens wird es immer auf die Therapeuten geschoben, dass sie nicht Vollzeit arbeiten. Dabei dürfen sie nur eine bestimmte Anzahl an Patienten aufnehmen. Das muss man ja auch erst wissen.

    • #85 Joseph Kuhn
      16. September 2015

      @ Heiko:

      Mein Cave bezog sich zwar auf die relative Risikoerhöhung (weil bei einem kleinen absoluten Risiko eine Erhöhung um 50% je nach therapeutischem Nutzen akzeptabel sein kann), aber bei Metastudien muss man natürlich auch vorsichtig sein, weil hier die Einschlusskriterien vieles vorentscheiden. Das Thema SSRI und Suizide ist so oder so auf jeden Fall eines, das ernstzunehmen ist.