Am Montag brachte die Saarbrücker Zeitung eine alarmierende Meldung, die auch sofort von vielen anderen Medien aufgegriffen wurde: Die Lebenserwartung von Geringverdienern sei seit 2001 um 2 Jahre gesunken, von 77,5 Jahren auf 75,5 Jahre.
Hintergrund der Meldung ist eine Antwort der Bundesregierung (BT-Drucksache 7966) auf eine Große Anfrage der Fraktion „Die Linke” im Bundestag. Danach ging die durchschnittliche Rentenbezugsdauer von langjährig Versicherten bei Versicherten mit niedrigen Entgeltpunkten zwischen 2001 und 2010 zurück. In einer Pressemitteilung des Abgeordneten Matthias Birkwald von der Fraktion „Die Linke” wurde dann die durchschnittliche Rentenbezugsdauer ab dem 65. Lebensjahr zu den 65 Lebensjahren dazugezählt und die Medien haben aus dem so ermittelten Sterbealter der Versicherten die Lebenserwartung gemacht. Hier ein Auszug aus der Pressemitteilung:
Die Meldung wurde von der Bundesregierung umgehend als falsch zurückgewiesen. Das Erschrecken der Politik über diese Meldung ist verständlich. Bisher ging man davon aus, dass alle Schichten von der Zunahme der Lebenserwartung profitieren, vielleicht nicht gleich stark, aber doch so, dass es keinen Rückgang bei den Geringverdienern gibt.
Was ist dran an der Sache? Bekannt ist, dass soziale Lage und Gesundheit eng zusammen hängen. Etwas zugespitzt: Wer arm ist, ist auch kränker und stirbt früher. Dabei geht es nicht um Petitessen, wie eine Berechnung anhand von Daten des Sozioökonomischen Panels zeigt. Demnach liegen in der Lebenserwartung zwischen dem oberen und dem unteren Einkommensfünftel bei den Männern fast 11 Jahre Unterschiede, bei den Frauen mehr als 8 Jahre.
Ganz unplausibel wäre ein Rückgang der Lebenserwartung von Geringverdienern also nicht, bekanntlich sind die Einkommen der Geringverdiener seit längerem nicht mehr gestiegen und erst vor kurzem hat die OECD darauf hingewiesen, dass die soziale Ungleichheit in Deutschland im OECD-Vergleich am stärksten zugenommen hat.
Die Frage ist nun, was zeigt sich im Trend bei den empirischen Daten wirklich und beruht die Meldung der Saarbrücker Zeitung auf einer korrekten Interpretation der Daten? Ganz lege artis ist der Schluss von der Rentenbezugsdauer auf die Lebenserwartung wohl nicht, weil dabei, wie es scheint, nur die Sterbefälle berücksichtigt wurden. Man bräuchte eigentlich eine Berechnung einer Sterbetafel mit den Sterbewahrscheinlichkeiten für einzelne Altersgruppen bzw. Altersjahre. Eine solche Berechnung, ebenfalls mit Rentenversicherungsdaten, gab es vor einigen Jahren in der Schriftenreihe der Deutschen Rentenversicherung. Damals kam man zu dem Schluss, dass – bis zum Jahr 2006 – die Entwicklung der Lebenserwartung für alle Einkommensgruppen in etwa parallel verlief und jedenfalls keine großen Rückgänge bei Geringverdienern zu verzeichnen waren.
Aber: Neuere Daten sind mir nicht bekannt. Vielleicht hat die Saarbrücker Zeitung ja falsch gedacht und trotzdem recht? Das wäre eine sozialpolitische Hiobsbotschaft. Oder die falsche Dateninterpretation führt auch zu einem falschen Befund, dann wäre das Ganze einfach nur eine Presse-Ente.
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