In den Medien gibt es immer wieder Meldungen über die steigende Zahl an Jugendlichen, die so viel Alkohol trinken, bis sie ins Krankenhaus müssen. Diese Meldungen sind auch nicht falsch.

In der Altersgruppe der 15-20-Jährigen beispielsweise wurden im Jahr 2000 in Deutschland 7.254 Jugendliche infolge einer Alkoholvergiftung (ICD F 10.0) ins Krankenhaus eingewiesen, im Jahr 2010 waren es 21.704. Die Frage ist, worauf darf man aus diesen Zahlen wirklich schließen? Trinken alle Jugendlichen mehr? Trinkt eine bestimmte Risikogruppe mehr? Gibt es eine höhere gesellschaftliche Sensibilität für betrunkene Jugendliche, so dass sie häufiger als früher ins Krankenhaus kommen? Ganz klar ist das nicht. Erhebungen über das Trinkverhalten von Jugendlichen, z.B. die Drogenaffinitätsstudien der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, zeigen einen Rückgang des regelmäßigen Trinkens bei Jugendlichen (definiert als mindestens wöchentlicher Konsum im letzten Jahr) und – mit Schwankungen – auch einen Rückgang des „binge drinkings”, wie das etwas heftigere Trinken in Fachkreisen genannt wird (definiert als Konsum von mindestens 5 Getränken bei einer Gelegenheit). Vermutlich führen daher eher die beiden letzten oben angeführten Antwortalternativen weiter.

Interessant ist außerdem, dass die Krankenhauseinweisungen auch in den anderen Altersgruppen zugenommen haben, wobei die Älteren gut mithalten. Auf einen jugendtypischen Sittenverfall sollte man aus den Zahlen daher wohl nicht schließen.

Alkohol_Trend

Eine andere interessante Sache habe ich in einer Veröffentlichung von Alfred Uhl, einem Urgestein der Suchtforschung in Österreich, gefunden. Die Veröffentlichung trägt den vielsagenden Titel „Absurditäten in der Suchtforschung”. Vor ein paar Jahren hat der Konsum von Alkopops, also süßen Alkoholmischgetränken, bei Jugendlichen Schlagzeilen gemacht. Man hat dann die Steuern auf die Alkopops erhöht und der Konsum der Alkopops ist eingebrochen. Das wurde als Erfolg der Suchtprävention gefeiert. Vielleicht war es das auch, aber zu denken gibt, dass der Absatz der Alkopops in Österreich ziemlich parallel zu dem in Deutschland verlief – und in Österreich gab es keine Sondersteuer auf Alkopops. Es könnte natürlich sein, dass der Markt in Österreich zu klein für die Hersteller war und sie die Lust an dem Produkt verloren haben, oder das Ganze war nur eine Mode bei den Jugendlichen, wie Alfred Uhl vermutet.

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Zahlen sind ein exaktes Bild der Wirklichkeit, nur manchmal weiß man nicht genau, welche Wirklichkeit sie abbilden.

Kommentare (14)

  1. #1 BreitSide
    13. Januar 2012

    Sehr schön, dieser Hinweis auf die Absurditäten unseres Umgangs mit Drogen!

    Frage: mW hat der gesamt-Alohol-Umsatz in D ja ziemlich abgenommen. Ist das so korrekt?

  2. #2 cydonia
    13. Januar 2012

    Also, was mir seit ca. 3 Jahren auffällt(Achtung Anekdote!) sind ungelogen hunderte Jugendliche Freitag Abends an der Supermarktkasse, vollgepackt mit Alkoholika. Sie nennen das billige Trinken vor dem Ausgehen Vorglühen.
    Sowas gabs früher nicht! Respektive, diese großen Mengen an Jugendlichen, die große Mengen an Flaschen rausschleppen konnte ich vor ca 5 Jahren nie beobachten.

  3. #3 Joseph Kuhn
    13. Januar 2012

    @ BreitSide:

    Frage: mW hat der gesamt-Alohol-Umsatz in D ja ziemlich abgenommen. Ist das so korrekt?

    Korrekt.

    @ cydonia:

    Ist so.

  4. #4 Stefan
    13. Januar 2012

    Früher war ausgehen ja auch noch bezahlbarer 😉

  5. #5 MoritzT
    14. Januar 2012

    Spannend, dass “hinge drinking” schon bei 5 Getränken bei einer Gelegenheit beginnt – unter der Definition ist (Achtung Anekdote!) jedes zweite nebensächliche Familienfest meiner Großeltern in ein Saufgelage ausgeartet. Fünf Halbe waren Standard.
    Es gibt ja auch den Begriff des niederbayerischen Normalbefundes (Leber zwei Finger unter Rippenbogen tastbar *g*), und irgendwo muss der ja herkommen.

  6. #6 Joseph Kuhn
    14. Januar 2012

    @ MoritzT: In manchen Gegenden Deutschlands sind die Diskrepanzen zwischen dem, was medizinisch als risikoarmer Alkoholkonsum noch durchgeht, und dem, was gelebter Alltag ist, besonders groß 😉

  7. #7 Christian A.
    14. Januar 2012

    Mir ist das nicht klar, dass Vorglühen neu sein sollte. Ich kenn das seit 15 Jahren, würd ich mal sagen. Kann natürlich sein, dass das da neu war, ich das aber nicht gemerkt hat. Mit 17 kann man Trends noch nicht überschauen.

  8. #8 Joseph Kuhn
    14. Januar 2012

    @ Christian A.: Vielleicht lebt “cydonia” in einer ruhigeren Gegend, wo der Trend später ankam? Jedenfalls habe ich auch den Eindruck, dass in bestimmten Jugendszenen ein anderes Trinkverhalten kultiviert wird als z.B. noch in den 80er Jahren. Die Frage ist, wird insgesamt mehr oder nur an anderen Orten und in anderen Kontexten getrunken? Den BZgA-Daten zufolge wird insgesamt eher weniger Alkohol getrunken.

  9. #9 Statistiker
    14. Januar 2012

    Liebe Cydonia,

    es ist leider nur eine Anekdote, was Dir auffällt. Das “Vorglühen” hab ich schon vor 35 Jahren gemacht und mach es heute noch…… *hicks….*

  10. #10 Andrea N.D.
    16. Januar 2012

    @Statistiker:
    Stimmt; heute ist irgendwie die Wahrnehmung anders. Aber früher war ja sowieso alles bässa ….

    @Joseph Kuhn:
    Toller Artikel. Mit diesen Gedanken trage ich mich schon lange, weil zwar die Zahlen der intensivpflichtigen Alkoholvergiftungen unter 18 Jahren stagnieren, aber die Aktionen in Jugendarbeit (Politik u.a.) hochgefahren werden, da gute Presse.

    Ja und dann würde mich noch interessieren, wie diese Krankenhausstatistik überhaupt zustande kommt? Wer gibt die Daten weiter? Die Krankenkassen?

  11. #11 noch'n Flo
    16. Januar 2012

    Jau, Vorglühen war in meiner Jugend (so vor 20-25 Jahren) auch schon recht verbreitet. Aber meistens mit 2-5 Bier, Hartschluck gab es eher selten. Den versteckte man lieber irgendwo nahe des Eingangs zum Zappelschuppen und ging immer mal wieder raus zum “Nachpacken”.

  12. #12 Joseph Kuhn
    16. Januar 2012

    @ Andrea N.D.:

    weil zwar die Zahlen der intensivpflichtigen Alkoholvergiftungen unter 18 Jahren stagnieren

    Wie kommen Sie darauf? Die oben dargestellten Daten zeigen keine Stagnation, sondern einen starken Anstieg.

    Ja und dann würde mich noch interessieren, wie diese Krankenhausstatistik überhaupt zustande kommt? Wer gibt die Daten weiter? Die Krankenkassen?

    Die Krankenhausstatistik ist eine Bundesstatistik auf der Grundlage der Krankenhausstatistik-Verordnung. Die statistischen Landesämter erheben die Daten bei den Krankenhäusern und leiten sie an das Statistische Bundesamt weiter. Die Krankenkassen können auch bestimmte Daten zu Krankenhausbehandlungen zur Verfügung stellen, aber nur für ihre Versicherten. Mit der amtlichen Krankenhausstatistik haben die Krankenkassen nichts zu tun.

  13. #13 YeRainbow
    17. Januar 2012

    Danke für den informativen Artikel!

  14. #14 Wolfgang
    17. Januar 2012