Beide Themen, die Praxisgebühr und die Ökonomie, hatten wir gerade erst diskutiert. Eigentlich also abgehakt. Jetzt gibt es aber doch einen Anlass, beides noch einmal aufzugreifen.
Die Deutsche Gesellschaft für Gesundheitsökonomie (dggö) hat sich vor zwei Tagen dafür ausgesprochen, die Praxisgebühr zu reformieren. Die Praxisgebühr sind die 10 Euro, die gesetzlich Versicherte beim Arztbesuch einmal im Quartal bezahlen müssen. Mit ihrer Einführung hatte man sich versprochen, dass die Zahl unnötiger Arztbesuche zurückgeht. Inzwischen besteht Einigkeit darüber, dass die Praxisgebühr zumindest in ihrer gegenwärtigen Form keine sinnvolle Steuerungswirkung entfaltet.
Die Deutsche Gesellschaft für Gesundheitsökonomie schlägt nun vor, nicht im Quartal einmal 10 Euro zu erheben, sondern bei jedem Arztbesuch 5 Euro. Damit soll die im internationalen Vergleich hohe Zahl der Arztbesuche in Deutschland – pro Kopf 17 im Jahr – gesenkt werden. Zuzahlungen bei Krankenhausbehandlungen sollen dagegen abgeschafft werden, weil hier in der Regel der Arzt über die Einweisung entscheide, also die Patient/innen keine Steuerungsmöglichkeiten hätten.
Der Vorsitzende der DGGÖ, Prof. Friedrich Breyer, wird in der „WELT” mit den Worten zitiert: „Sinnvoll ausgestaltete Zuzahlungen können das Kostenbewusstsein der Patienten stärken und geben ihnen einen Anreiz, auf unnötige und weniger wirksame Leistungen zu verzichten”. Hier kommt die Unterstellung eines moral hazard-Verhaltens bei den Versicherten zum Tragen, kombiniert mit der angeblich längst ausrangierten Denkfigur des homo oeconomicus. Ob Menschen tatsächlich öfter unnötig zum Arzt gehen, wenn es nichts kostet? Viel Freude wird der Arztbesuch den meisten jedenfalls nicht machen. Und warum ausgerechnet die Patient/innen wissen sollen, welche Leistungen „weniger wirksam” sind, erschließt sich ebenfalls nicht auf Anhieb.
Prof. Klaus Jacobs, Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der Ortskrankenkassen und selbst Mitglied des erweiterten Vorstands der DGGÖ, sieht auch sonst keine sachliche Grundlage für den Vorschlag. Wenn man unnötige Behandlungen vermeiden wolle, sei es kein sinnvoller Ansatz, pauschal die Zahl der Arztkontakte zu verringern. Das hat etwas für sich. Eine unnötige Röntgenaufnahme beispielsweise dürfte in der Tat kaum durch die Praxisgebühr zu vermeiden sein. Klaus Jacobs verweist zudem darauf, dass sich das Leistungsgeschehen auf vergleichsweise wenige Versicherte konzentriert: 72 % der Krankenhausausgaben, 52 % der Arzneimittelausgaben und 31 % der ambulanten Ausgaben bei der AOK würden auf nur 5 % der Versicherten entfallen, diese seien offenkundig „richtig krank”. Über die Praxisgebühr können diese Ausgabenbündel nicht gesteuert werden und sie sollen es auch nicht.
Andere Kritiker verweisen darauf, dass man die Zuzahlungen bei Krankenhausbehandlungen sogar eher rechtfertigen könne, weil die Betroffenen hier während des Krankenhausaufenthalts immerhin Lebenshaltungskosten sparen. Auch dass die DGGÖ so einfach die Zahl der Arztbesuche in einen internationalen Vergleich setzt, wird kritisiert. So würde der Zugang zum Versorgungssystem in anderen Ländern teilweise ganz anders geregelt, während in Deutschland die Arztpraxis oft die erste Anlaufstelle ist – vom Rezeptabholen bis zur Krankschreibung. Hartmut Reiners, Ökonom mit langjähriger Erfahrung in allen Seitenwinkeln der Krankenversicherung, kann dem Vorschlag daher ebenfalls wenig abgewinnen.
Die Frage, was das Ziel der Stellungnahme der DGGÖ ist und wie solide die dahinter stehende Analyse der Situation ist, scheint also nicht ganz unberechtigt.
Auf die politische Entscheidungslage hatte die DGGÖ-Stellungnahme bisher keinen erkennbaren Einfluss. Die FDP will die Praxisgebühr inzwischen am liebsten abschaffen (vielleicht auch im Sinne der DGGÖ ändern), SPD und Grüne würden sie ebenfalls gerne los, aber die Bundeskanzlerin hat heute noch einmal gesagt, die Praxisgebühr bleibe. Sie hat allerdings nicht gesagt, wie lange und in welcher Form.
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