Vorwürfe esoterischer Betätigungen am „Institut für transkulturelle Gesundheitswissenschaften” der Viadrina, Frankfurt/Oder, gehen seit einiger Zeit durch die Medien. Durch Debatten hier auf scienceblogs und auf esowatch ist jetzt noch einmal eine Masterarbeit an jenem Institut ins Visier der Kritik geraten. Titel: „Der Kozyrev-Spiegel in der Praxis”.
Diese Arbeit eines Berliner Orthopäden ist ein Beispiel für die völlige Entgleisung akademischer Qualitätsstandards. Da werden in einer Aluminiumhülle geheimnisvolle telepathische Erfahrungen gemacht, da werden Raum-Zeit-Löcher generiert, da ist von „Zeitwellen”, von „abzuschirmender Zeitenergie” und einer Menge anderer Merkwürdigkeiten die Rede, die auf den ersten Blick als absurder Unsinn zu erkennen sind. Dazu nur zwei Beispiele:
„Ausgangspunkt der Zeitwellen-Theorie ist die Entdeckung (Vision von) einer physikalischen Strahlung, welche alle Lebewesen und Himmelskörper aussenden. Diese Strahlung dient dem Informationsaustausch, ist eng mit der Raum-Zeit verbunden und beeinflußt alle materiellen Körper in der physikalischen Raum-Zeit”.
Und über die Zeitwellen:
„Sie sind mit bestimmten Materialien spiegelbar, dabei kehrt sich das Vorzeichen um. Das bedeutet, daß im Zeitwellenmuster auch immer Informationen aus der Vergangenheit und aus der Zukunft enthalten sind”.
Behauptungen wie die erste kann man sonst nur in astrologischen Werken lesen, die zweite vielleicht in Science Fiction-Romanen. Die ganze Arbeit ist eine akademische Ungeheuerlichkeit. Dennoch wurde sie vom amtierenden Institutsdirektor Prof. Dr. Dr. Harald Walach und seinem Juniorprofessor Prof. Dr. Stefan Schmidt angenommen und sogar als „hervorragende” Arbeit gewürdigt. Guttenbergs Dissertation konnte man immerhin noch zugutehalten, dass sie – wenn auch weitgehend abgeschrieben – einen sinnvollen und wissenschaftlich gehaltvollen Text darstellt. Die Frankfurter Masterarbeit ist einfach nur Nonsens. Wie kann so etwas geschehen?
Walach sagt, und jetzt wird es ganz krude, die „Kozyrev-Theorie” sei zwar „abgedreht”, aber die Masterarbeit beschreibe „ein relativ pfiffiges Experiment”. Daher würde die Arbeit demnächst auch einem peer-reviewten Journal vorgelegt. Das „einzige Kriterium von Wissenschaft” sei „gute Methodik”. Das sei bei dieser Arbeit der Fall, sie sei „mit einer dreifach verblindeten, randomisierten Methodik durchgeführt.” Dass man auch „abgedrehte Theorien” methodisch korrekt untersuchen kann, ist zwar richtig. In diesem Fall wurde untersucht, ob sich mit einem „Kozyrev-Spiegel”, also der wunderlichen Aluminium-Vorrichtung, intuitive Fähigkeiten von Versuchspersonen verbessern lassen. Der Autor der Arbeit kommt zu einem positiven Ergebnis. Es sei einmal dahingestellt, ob nicht schon das affirmative Aufgreifen der Kozyrev-Theorie die Arbeit hätte disqualifizieren müssen, es sei auch dahingestellt, ob die Methode wirklich „pfiffig” und der Fragestellung angemessen war, aber spätestens bei der Ergebnisdiskussion gibt es keinen Spielraum mehr: Wenn man die Befunde nicht vernünftig, z.B. psychologisch deutet, sondern im Rückgriff auf die physikalisch nicht haltbare, selbst nach Walach „abgedrehte” Kozyrev-Theorie, muss Schluss sein. Was aller Vernunft widerspricht, ist keine Wissenschaft.
Davon abgesehen ist auch Walachs These, das einzige Kriterium von Wissenschaft sei gute Methodik, nicht unproblematisch. Demnach könnte man auch die Unterdruckexperimente des SS-Arztes Rascher im KZ Dachau als gute Wissenschaft durchgehen lassen. Irgendetwas fehlt offensichtlich in Walachs Bestimmung des Wissenschaftlichen. Gute Methodik ist nicht unabhängig davon, um welchen Untersuchungsgegenstand es geht und was dabei als Erkenntnisstand bereits gewonnen wurde. In der Physik stecken vorgängige physikalische Erkenntnisse in jedem Versuchsaufbau, in jedem Messinstrument, auch in der Messtheorie. In der Psychologie bestimmt das Gegenstandsverständnis, wo man mit dem Experiment und wo man mit anderen Methoden arbeitet. Methodik und Gegenstand, Methodik und Resultate – sie stützen sich gegenseitig. Was wäre das für eine Wissenschaft, wenn mit guten Methoden gewonnene Resultate keine wissenschaftliche Relevanz hätten? Wer die Physik des letzten Jahrhunderts infrage stellt, der stellt höchst relevante Resultate infrage, die sich in tausenden von Experimenten bestätigt haben und sich alltäglich millionenfach in technischen Anwendungen bewähren. Zwar sind auch die Fundamente der Physik nicht sakrosankt, aber ihre Revision wird sich sicher nicht über eine Masterarbeit an Walachs Institut vollziehen.
Am „Institut für transkulturelle Gesundheitswissenschaften” ist die Wissenschaft als Handwerk der Vernunft unter die Räder gekommen. Die Viadrina wäre gut beraten, hier wieder die notwendigen Qualitätstandards wissenschaftlichen Arbeitens durchzusetzen, bevor Masterabschlüsse der Viadrina insgesamt in Misskredit geraten.
Der Ombudsmann der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der bei Fragen wissenschaftlichen Fehlverhaltens vermitteln soll, erklärte sich auf Anfrage für nicht zuständig. Man greife konkrete Hinweise auf wissenschaftliches Fehlverhalten entsprechend der DFG-Denkschrift zur „Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis” auf, zu Streitigkeiten über die „Qualität wissenschaftlicher Arbeiten” könne man sich nicht äußern. Aber geht es hier überhaupt um die Qualität einer „wissenschaftlichen” Arbeit?
Das Brandenburgische Wissenschaftsministerium, ebenfalls angeschrieben, hat sich bisher nicht geäußert. Ob es den Konflikt mit dem in der SPD prominenten Präsidenten der Viadrina scheut oder keine Meinung zu den Vorgängen hat – man weiß es nicht. Angesichts der in der Masterarbeit erwähnten „aurachirurgischen” Behandlungen wäre außerdem auch die zuständige Ärztekammer gut beraten, sich die Sache einmal näher anzusehen.
In diesem ganzen Fall bestehen deutliche Parallelen zur Guttenberg-Affäre. Offenkundig ist den Beteiligten das Gefühl dafür abhandengekommen, was Wissenschaft ist und was nicht. Es fehlt so etwas wie die Radbruchsche Formel in den Rechtswissenschaften. Als sich nach dem Krieg immer wieder Nazi-Verbrecher darauf beriefen, ihre Taten seien durch das damals geltende Recht gedeckt gewesen, hat Gustav Radbruch eine Unterscheidung vorgeschlagen, derzufolge manche gesetzliche Vorschriften aufgrund ihres offenkundigen Unrechts kein Recht sein könnten. Im Institut des Herrn Walach scheint man für diese Differenzierung kein Gespür zu haben; hier bezeichnen Professoren Arbeiten als hervorragende Leistungen, die zwar als Wissenschaft auftreten, aber keine Wissenschaft sind.
Für den Frankfurter Studiengang geht es auch um die Akkreditierung bei der AHPGS, der Akkreditierungsagentur für Studiengänge im Bereich Gesundheit und Soziales. Werden solche Studiengänge akkreditiert, ist der Fortschritt der Gesundheitswissenschaften unübersehbar – in Richtung junk science.
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