Gestern hat das Robert Koch-Institut Daten einer europäischen Prävalenzstudie zu Krankenhausinfektionen veröffentlicht.
Dieses Thema ist nicht gerade mein Fachgebiet, aber ein paar Punkte finde ich trotzdem ganz interessant. Beispielsweise ist die Datenlage bei diesem Thema bemerkenswert beweglich. Auf der Internetseite des Bundesgesundheitsministeriums kann man zur Häufigkeit von Krankenhausinfektionen lesen:
„In Deutschland erkranken jährlich 400.000 bis 600.000 Menschen an nosokomialen Infektionen – das sind Infektionen, die im Zusammenhang mit einer stationären oder ambulanten Behandlung erworben werden und die umgangssprachlich auch als Krankenhausinfektionen bezeichnet werden. 7.500 bis 15.000 Menschen sterben jährlich daran.”
Diese Zahlen hielten medizinische Fachgesellschaften schon im letzten Jahr für zu gering. Sie sprachen von mindestens 700.000 Krankenhausinfektionen jährlich und bis zu 30.000 Sterbefällen durch diese Infektionen – nachzulesen in einer Stellungnahme der Fachgesellschaften zur Änderung der gesetzlichen Vorschriften zur Krankenhaushygiene. Die Zahlen, die das Robert Koch-Institut nun für Deutschland vorlegt, bestätigen die Einschätzung der Fachgesellschaften. Das RKI weist eine Prävalenzrate (Häufigkeit) von 4,52 % der Patient/innen aus. Geht man einmal davon aus, dass bei diesem Sachverhalt Behandlungsfälle und Patient/innen gleichgesetzt werden dürfen, dann ergibt das bei ca. 18,4 Mio. Behandlungsfällen in deutschen Krankenhäusern im Jahr 2010 ca. 830.000 Krankenhausinfektionen.
Dass die Datenlage hier so divergiert, verwundert wenig. Es gibt nicht viele repräsentative Studien dazu und die Krankenhäuser haben verständlicherweise auch wenig Interesse, ihre Daten dazu an die große Glocke zu hängen. Eine hohe Prävalenz an Krankenhausinfektionen wird in der Öffentlichkeit nämlich schnell als Ausdruck mangelhafter Hygiene wahrgenommen. Ob das wirklich so stimmt, wäre zu diskutieren. So treten die höchsten Raten bei Intensivpatient/innen auf – 18,6 % weist das RKI hier aus. Aber hat das nicht auch damit zu tun, dass wir heute intensivmedizinische Möglichkeiten nutzen, die es früher gar nicht gab, beispielsweise bei Organtransplantationen, in der Unfallchirurgie oder der Versorgung von Frühgeborenen? All das geht mit einem nicht immer vermeidbaren Infektionsrisiko einher. Ist ein Teil der Krankenhausinfektionen also der Preis des medizinischen Fortschritts?
Auf der anderen Seite gibt es aber auch Dinge, die man nicht wirklich verstehen kann. Warum wird bei bis zu 30.000 Sterbefällen infolge von Krankenhausinfektionen jährlich in Deutschland nicht viel mehr in die Krankenhaushygiene investiert? Das unverzichtbare Händewaschen des Personals kostet zwar nicht viel, aber man muss eben auch qualifizierte Hygieniker ausbilden und einstellen. Die sind in Deutschland Mangelware. An den Universitäten ist die Hygiene ein aussterbendes Fach. „Hygiene” klingt ja auch nicht so sexy wie „klinischer Protonenbeschleuniger” – wobei ich das eine nicht gegen das andere ausspielen will, aber Krankenhaushygiene ist eben auch keine Sache von gestern. Vielleicht sollte man etwas von den vielen Millionen aus der High-Tech-Forschung zur individualisierten Medizin in die Ausbildung von Hygienikern umlenken?
Zum Trost taugt vielleicht dieses Ergebnis der zitierten Prävalenzstudie: Im internationalen Vergleich scheint Deutschland gar nicht so schlecht dazustehen, die Rate hierzulande liegt, so das RKI, im internationalen Vergleich eher niedrig. Hoffen wir mal, dass auch dieses Ergebnis nicht demnächst revidiert werden muss.
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