Eigentlich wollte ich hier einmal das Buch „Die Homöopathie-Lüge“ von Christian Weymayr und Nicole Heißmann besprechen (Piper-Verlag, 16,99 €). Das Buch ist ein Rundumschlag zu diesem eigenartig hartnäckigen Phantom der Medizin. Die Autoren behandeln das Thema Homöopathie sozusagen „ganzheitlich“, angefangen von den unhaltbaren naturwissenschaftlichen Erklärungsversuchen über die negativen Wirksamkeitsstudien bis hin zum industriell-pharmazeutischen Komplex, der hinter dem Geschäft mit der Homöopathie steht. Dieser Teil des Buchs war für mich auch der Interessanteste. Nicht dass man es nicht schon einmal irgendwo gelesen hätte. Aber wenn einem noch einmal so konzentriert (oder hier vielleicht besser „potenziert“) vor Augen geführt wird, dass z.B. der Globuli-Hersteller Heel ein weltweit tätiger Konzern ist, hinter dem als Mehrheitsgesellschafter die DELTON Holding AG steht, die wiederum mit der Quandt-Familie (BMW) verbandelt ist, dass die Homöopathie-Hersteller wie alle Pharmafirmen eine unübersehbare Schar von Pharmavertretern aussenden, Ärzte und Apotheker in ihren Vertrieb einbinden, über Stiftungsprofessuren Wissenschaft beeinflussen und ein höchst effizientes Netzwerk in die Politik aufgebaut haben, bleibt nur noch das Stauen über das gekonnte Marketing, sich gleichzeitig in der öffentlichen Wahrnehmung als „sanfte Alternative“ zur bösen Pharmaindustrie etabliert zu haben. Das war wirklich ein Meisterstück. Christian Weymayr und Nicole Heißmann sind übrigens keine Auftragsschreiber der „normalen Pharmaindustrie“. Beide haben sich als Wissenschaftsjournalisten gerade durch pharmakritische Beiträge einen Namen gemacht – sie setzen ihre Arbeit also nur in einem ganz speziellen Marktsegment dieses Geschäfts mit der Gesundheit fort.
An der Stelle kann man nahtlos mit der Lektüre des neuen Buches „Heillose Zustände“ von Werner Bartens weitermachen (Droemer Verlag, 18 €). Auch hier kennt man vieles schon, auch hier besteht die Wirkung des Buches vor allem in der konzentrierten Darstellung der Missstände. Zielvereinbarungen für mehr als 45 % der Chefärzte über anzustrebende Operationsmengen, hochproblematische Erfolgsmeldungen für nebenwirkungsreiche Krebsmedikamente bei Lebenszeitgewinnen von einem oder zwei Monaten, ein in Deutschland inzwischen höherer Anteil an Krankenhausbetten in Privatkliniken als in den USA, ein Anstieg der Herzkathederuntersuchungen von 1990 bis 2010 um das Viereinhalbfache, das routinemäßige Verordnen von Antibiotika bei banalen Atemwegsinfektionen, die offenkundige Missachtung der Priscus-Liste in der Medikamentenverordnung bei alten Menschen (die Priscus-Liste benennt Medikamente, die für Ältere ungeeignet sind), die unsägliche Geschichte mit den bis Anfang der 2000er Jahre verbreiteten Hormongaben für Wechseljahrsbeschwerden mit damals möglicherweise bis zu 10.000 Brustkrebsfällen jährlich in Deutschland, bis zu 40.000 Sterbefälle jährlich in Deutschland durch Medikamentennebenwirkungen, hunderttausende zumindest teilweise vermeidbare Klinikinfektionen usw. usw.: Werner Bartens hat eine Anklageschrift gegen Geschäftemacherei und Schlamperei in der Medizin verfasst, bei der einem der Atem stockt. Die “heillosen Zustände” im Gesundheitswesen hinterlassen zu viele Menschen in heillosen Zuständen – medizinisch, medizinethisch und gesundheitsökonomisch gleichermaßen skandalös. Da ist es schon egal, ob hier und da vielleicht etwas überzogen wurde – ich kann das auch nicht alles nachprüfen – so kann es jedenfalls nicht weitergehen. Homöopathie und Co. sind, um dieses naheliegende Argument „alternativmedizinischer“ Leser/innen gleich vorwegzunehmen, allerdings nicht die Alternative, siehe das Buch oben. Schließlich ist auch die Komplikationsrate bei der Anwendung von Heftpflastern niedriger als die bei Herzoperationen, trotzdem wird man Herzoperationen nicht durch Heftpflasteranwendungen ersetzen wollen, sondern Herzoperationen sicherer machen. Vielleicht hat ja der Gesundheitsminister Bahr das Buch auch gelesen und längst einen Masterplan in der Schublade. Werner Bartens ist Wissenschaftsredakteur der Süddeutschen Zeitung und ebenfalls durch medizinkritische Beiträge bekannt. Beide Bücher, die „Homöopathie-Lüge“ und die „Heillosen Zustände“, sind höchst empfehlenswerte Immunisierungsmittel gegen falsche Versprechen in der Medizin.
Und jetzt bin ich an dem Punkt, warum ich beide Bücher nicht so ausführlich besprechen konnte, wie ich das ursprünglich vorhatte. Ich habe angefangen, das „Känguru-Manifest“ von Marc-Uwe Kling zu lesen (Ullstein Verlag, 8,99 €). Das Buch trägt die Widmung „Für nichts und wieder nichts“ und beschreibt das Zusammenleben des Ich-Erzählers mit einem kommunistisch veranlagten Känguru. Marc-Uwe Kling ist Kabarettist, schreibt und singt Lieder und hat einen skurrilen subversiv-politischen Humor, der an Karl Valentin erinnert. Er häutet die politischen Plattheiten, die uns im Alltag umgeben und nach der Lektüre ist man reichlich ernüchtert, was man sich jeden Tag so alles anhört und hinnimmt. Dieses Buch ist ein echtes Gesundheitsbuch. Wer es liest, wird auch bei täglichem Genuss der Tagesschau bestimmt nicht den Verstand verlieren. Daher habe ich für Buchbesprechungen gerade nicht viel Zeit.
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