Wie berichten Journalisten über den neuen Barmer-GEK-Arztreport, das war Thema meines letzten Blogbeitrags vor ein paar Tagen. Dabei war ich unter anderem auf den Artikel „Nicht jedes Kind ist gleich“ von Harry Nutt in der Frankfurter Rundschau vom 31.1.2013 gestoßen. Die Frankfurter Rundschau ist eine altehrwürdige Tageszeitung mit kritischer Tradition, oder sollte man besser sagen, sie war es? Die Zeitung ist seit geraumer Zeit in der Krise und kämpft um das Überleben. Ende 2012 hat der Verlag Insolvenzantrag gestellt. Im Moment ist unklar, wie es mit der Zeitung weitergehen wird. Vielleicht erklärt das manchen hyperaktiven Beitrag mit Aufmerksamkeitsstörungen.
Harry Nutt schrieb in seinem Artikel erst ein wenig darüber, was zum Barmer-GEK-Report in der Süddeutschen Zeitung stand, dann zitiert er einen ADHS-Betroffenen aus FOCUS online und am Ende seines Artikels steht dieser Absatz:
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„Aber was tun? Die Internetseite Ritalin-kritik.de versucht es auf natürliche Art. „Die Ernährung spielt eine große Rolle. Vitamine (vor allem C, B-Gruppe und Vitamin E), bestimmte Aminosäuren (zum Beispiel Tryptophan, L-Theanin, Ariginin, Tyrosin), Fette (vor allem diejenigen Fette, mit ungesättigten Fettsäuren) und Mineralstoffe (vor allem Magnesium) können zur Beruhigung Ihres Kindes beitragen.“ Helfen könne auch das Weglassen von Süßigkeiten und Konservierungsstoffen. ‚Manchmal können auch Kuhmilch, Getreide oder Hühnereier Auslöser von Überdrehtheit, Nervosität und Unkonzentriertheit sein. Die Überspanntheit ist hier sozusagen eine allergische Reaktion auf diese Nahrungsmittel. Bitte beachten Sie hierbei: Nicht jedes Kind ist gleich.‘“
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Die Internetseite ritalin-kritik.de, die hier so sympathisch nett mit Ernährungsempfehlungen vorgestellt wird, ist aber alles andere als eine seriöse Informationsquelle. Sie wird im Internet mehrfach mit Scientology in Verbindung gebracht, wer will, kann das schnell ergoogeln.
Ich habe daher bei der Frankfurter Rundschau nachgefragt:
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Sehr geehrte Damen und Herren, im Zusammenhang mit Recherchen zu Medienberichten über die aktuelle ADHS-Debatte bin ich auf den Beitrag von Herrn Nutt in der FR vom 31.1.2013 gestoßen. Dort wird die Internetseite ritalin-kritik.de als seriöse Ratgeberseite eingeführt. Es gibt im Internet mehrere Hinweise darauf, dass es sich um eine Seite mit Verbindungen zu Scientology handelt. Wurde das nicht nachrecherchiert? Oder sieht die FR das gar als unproblematisch an? Für eine zitierbare Antwort wäre ich dankbar.
Mit freundlichen Grüßen, Joseph Kuhn
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Auf die Anfrage über das Kontaktformular an die Politikredaktion kam erst einmal gar keine Antwort und auf nochmalige Nachfrage, dann über die Leserbriefredaktion, wurde meine Anfrage einfach an den Autor weitergereicht und seine Antwort wieder zurück an mich. Für die Redaktion selbst war das Ganze offensichtlich keines Kommentars würdig. Hier ist die Antwort der Frankfurter Rundschau, verbunden mit dem völlig richtigen Werbespot, dass Demokratie guten Journalismus braucht:
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Sehr geehrter Herr Kuhn,
ich leite Ihnen untenstehend die Antwort von Harry Nutt weiter.
Freundliche Grüße
Ihr Bronski
FR-Leserbriefredaktion
Lassen Sie uns Geschichte weiterschreiben! Demokratie braucht guten Journalismus.
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Lieber Bronski,
bei der Rubrik Auslese handelt es sich um eine kommentierte Presseschau. Es ist keineswegs so, dass Ritalin-Kritik.de darin als seriöse Ratgeberseite dargestellt wird. Eher taucht die Seite darin als Kuriosum auf.
Beste Grüße
Harry
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Lesen Sie jetzt bitte noch einmal, was „Harry“ in seinem Artikel geschrieben hat. Finden Sie, er präsentiert die Seite als „Kuriosum“? Und selbst wenn er das getan hätte, wäre nicht trotzdem so etwas wie ein Verbraucherschutzhinweis nötig gewesen: „Vorsicht, diese Seite hat möglicherweise/offensichtlich/nach unseren Recherchen mit Scientology zu tun“? Wenn die Frankfurter Rundschau so „Geschichte weiterschreiben“ will, wird wohl auch die Redaktion bald Insolvenzantrag stellen müssen. Ja, Demokratie braucht guten Journalismus, aber liebe Frankfurter Rundschau, guter Journalismus sieht anders aus. Zur Nachhilfe bei Medizinthemen sei zum Beispiel der “Medien-Doktor“ empfohlen.
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