Im Moment wird in den Medien und im Internet, z.B. bei der Skeptikerbewegung oder in Norbert Austs Blog „Beweisaufnahme in Sachen Homöopathie“, Christian Weymayrs Konzept der „Scientabilität“ diskutiert. Christian Weymayr geht es dabei darum, dass man naturwissenschaftlich unhaltbare Theorien nicht mit den Methoden der klinischen Forschung, z.B. RCTs, prüfen kann. Man könne ja auch nicht die Lichtgeschwindigkeit mit einer Stoppuhr messen, sagt er. Das sehe ich zwar genauso, aber:
1. Dass klinische Forschung und hier idealerweise das RCT in der EBM alles entscheiden würde, ist eine These, die Christian Weymayr mit manchen Verfechtern alternativmedizinischer Verfahren teilt. Sie ist aber in dieser Absolutheit falsch. In dem berühmten Grundlagenartikel zur EBM von David Sackett et al. (“Was ist EBM und was nicht?”) schreiben die Autoren: “Mit best verfügbarer externer Evidenz meinen wir klinisch relevante Forschung, oft medizinische Grundlagenforschung, aber insbesondere patientenorientierte Forschung (…).” Es geht also nicht nur um RCTs und dergleichen, sondern natürlich auch um das Heranziehen von Grundlagenforschung. Dass die Autoren von “medizinischer Grundlagenforschung” sprechen, sollte man nicht zu wörtlich nehmen, sie konnten sich vermutlich nicht vorstellen, dass physikalisch absurde Theorien überhaupt klinisch relevant sein könnten.
2. In der EBM wird die Sinnlosigkeit der Anwendung von RCTs auf offenkundig damit nicht prüfbare Sachverhalte gelegentlich mit einem einfachen Beispiel veranschaulicht: Man brauche kein RCT, um die Gefährlichkeit eines Sprungs aus dem Fenster eines Hochhauses nachzuweisen. Genauso sollte man mit einem RCT nicht physikalisch unsinnige Thesen testen. Methoden müssen gegenstandsadäquat sein, physikalische Theorien müssen mit angemessenen physikalischen Methoden beforscht werden.
3. In der Sache hat Christian Weymayr daher also völlig recht: RCTs sind nicht geeignet, um physikalische Theorien zu prüfen (oder medizinische Grundlagenforschung zu betreiben). Aber das war eigentlich auch nicht das Anliegen der EBM. Das Bewusstsein von der Notwendigkeit gegenstandsadäquater Methoden gilt es wieder zu schärfen, darin sehe ich den Wert von Christian Weymayrs Debattenbeitrag. Dass nach einem Black-Box-Modell alles mit RCTs zu untersuchen sei, egal was in der Black Box ist, ist eine Gedankenlosigkeit.
4. Das in der Medizin oft getrübte Bewusstsein dieses wissenschaftstheoretisch trivialen Sachverhalts ist ein Einfallstor für manche Vertreter alternativmedizinischer Verfahren, z.B. hat Harald Walach seinerzeit in der Auseinandersetzung um die Masterarbeit zum Kozyrev-Spiegel genau darauf abgehoben, indem er betonte, das einzige Kriterium von Wissenschaft sei “gute Methodik” und nicht auch das, was man bereits wisse. Mit solchen Formulierungen wird die Notwendigkeit der Gegenstandsadäquatheit von Methoden regelrecht negiert. Christian Weymayr wendet sich mit seinem Konzept zu Recht gegen diese Bewusstseinstrübung, wie gesagt, in einer aus meiner Sicht nicht ganz gerechtfertigten Frontstellung gegenüber dem eigentlichen Ansatz der EBM.
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