Ein Instrument, um die Auswirkungen von Bankenkrisen auf die Steuerzahler zu begrenzen, ist die sog. „Bankenabgabe“. Demnach sollen die Banken in Abhängigkeit ihres Gewinns Geld zur Vorsorge für künftige Krisen in einen Fonds einzahlen. Das scheint aber nicht wie geplant zu laufen. In der Süddeutschen Zeitung steht heute, dass statt der erwarteten 3,6 Mrd. Euro in den ersten drei Jahren gerade einmal 1,8 Mrd. Euro aufgebracht wurden. 81 % der Banken würden nur einen Beitrag von 1.000 Euro zahlen, 38 % gar nichts. Ich hoffe, in dieser Prozentrechnung fehlt ein informatives Mosaikstück und das ist nicht die Art, wie in der Finanzpolitik gerechnet wird. Davon einmal abgesehen, hat mich das zur Frage geführt, ob man ein Schelm ist, wenn man sich bei den ausbleibenden Zahlungen etwas denkt, oder ob nur aller Anfang schwer ist.
Unser Alltag ist voll von spruchförmigen Lebensweisheiten, die mal mehr, mal weniger klug sind. Sie haben eine komplexitätsreduzierende Funktion und helfen so bei der Bewältigung schwer überschaubarer Situationen. „Glaube nicht alles, was Du denkst“, habe ich vor kurzem auf einer Postkarte gelesen. Ein guter Ratschlag. Auch im Alltag der Wissenschaften gibt es neben den methodischen Standards im engeren Sinne solche Heuristiken. „Nimm nach Möglichkeit die einfachste Erklärung“ ist so eine, geadelt als „Ockhams Rasiermesser“ hat sie sogar Eingang in die Wissenschaftsphilosophie gefunden.
Eine Selbstverständlichkeit ist die Hypothesenökonomie Ockhams nicht. Manche Wissenschaftler suchen stattdessen nach „schönen“ Formeln und wieder andere wandeln sogar auf den Spuren der antiken Einheit des Wahren, Schönen und Guten. Wie dem auch sei.
Ein anderes Beispiel für Hypothesenökonomie, aus dem Bereich des Allzumenschlichen, ist “Hanlons’s Razor“: „Nimm niemals Böswilligkeit an, wenn Dummheit ausreicht“. Anwendungsfälle kennt jeder. Wenn ein Behördenbescheid dadaistisch formuliert ist, wenn die Nachbarn schon wieder die Einfahrt zugeparkt haben oder wenn man beim Versuch, den Kundendienst zu erreichen, ewig in der Warteschleife hängen bleibt, wer gerät da nicht in Versuchung zu denken, dass „die das doch extra machen“.
Hanlon’s Razor ist eine Warnung, hier nicht zu schnell zu glauben, was man denkt und nicht zu schnell hinter allem, was schief läuft oder im Handeln anderer Leute Rätsel aufgibt, böse Absicht oder gar eine Verschwörung zu vermuten. Man ist vielleicht nur im Reich der Chaoten und Ahnungslosen angekommen.
Dabei ist es eigentlich zutiefst menschlich, Absichten zu unterstellen: Wir interpretieren das, was andere tun, in der Regel als „Handlungen“, als intentionale Akte. Unsere animistischen Vorfahren haben auch dem Wind oder den Sternen Absichten unterstellt – und wenn man dem Entwicklungspsychologen Jean Piaget glauben darf, machen Kleinkinder dasselbe. Erwachsene durchleben einen Rückfall in dieses Stadium, wenn der PC eigenwillig wird. Es soll manchmal sogar helfen. Die Annahme, dass andere Menschen genauso absichtsvoll und zielorientiert handeln, wie wir selbst, ist jedenfalls eine vernünftige Heuristik, sie macht andere zu Unseresgleichen und unterscheidet sie von Dingen.
Hanlon’s Razor macht demgegenüber geltend, dass nicht nur das überlegte Handeln, sondern auch die Dummheit menschlich ist. Bleibt die Frage, ob das im Zusammenhang mit den fehlenden Einzahlungen bei der Bankenabgabe weiterhilft. Oder versagt hier Hanlon’s Razor, weil man es mit einem Phänomen vorsätzlicher Dummheit bei der Konstruktion der Bankenabgabe zu tun hat?
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