Herzinfarkte sind – wie Krebserkrankungen – eine typische Alterskrankheit. Die Inzidenz des Herzinfarkts, also das Ereignisrisiko, ist vor allem eine Funktion des Alters. Daher sind heute in den Industrieländern Herzkreislauferkrankungen und Krebs die häufigsten Todesursachen, etwa zwei Drittel der Sterbefälle gehen bei uns auf diese beiden Diagnosegruppen zurück.
Der demografische Wandel ist bekanntlich nach wie vor in vollem Gange, wir werden immer älter. Somit ist eigentlich zu erwarten, dass die Zahl der herzinfarktbedingten Sterbefälle zunimmt. Das wird vermutlich auch so kommen, ist aber bisher nicht der Fall. 1998 starben in Deutschland 81.988 Menschen durch einen Herzinfarkt – oder vorsichtiger formuliert, die Todesursachenstatistik verzeichnete damals so viele Fälle. 2012 waren es nur noch 55.425 herzinfarktbedingte Sterbefälle, ein Drittel weniger. Das haben wir vor allem dem Ausbau des Rettungswesens sowie den Fortschritten der Notfallmedizin und der Kardiologie zu verdanken.
Ein interessantes Bild liefert dabei der Ländervergleich. Dargestellt sind die altersstandardisierten Sterberaten im Zeitverlauf. Man sieht den rückläufigen Trend für Deutschland insgesamt (dicke rote Linie) und für die Länder. Außerdem sieht man die wildherumstreuende Linie für Bremen. In Bremen gibt es jährlich nur ein paar hundert Herzinfarkttote, dementsprechend zufallsgeprägt ist die Herzinfarktrate. Und man sieht, dass die Berliner Linie einen seltsamen Verlauf hat. Erst gibt es einen sehr starken Abfall der Rate Ende der 1990er Jahre (in absoluten Fällen von 1.772 im Jahr 1998 auf 1.052 im Jahr 2000), dann einen ebenso starken Anstieg von 875 Fällen auf 1.942 Fälle 2008 gegenüber 2007. Dass das keine realen Bewegungen der Herzinfarktsterblichkeit sein können, liegt auf der Hand. Dahinter stehen, wie Berliner Versorgungsforscher schon vor einigen Jahren festgestellt haben, Kodierungsprobleme der Todesursachenstatistik, die u.a. durch die Zusammenlegung der Statistischen Ämter von Berlin und Brandenburg auffällig wurden.
Und noch etwas sieht man: die Unterschiede zwischen den Ländern scheinen abzunehmen. Bildet man ein Streuungsmaß, z.B. die Abweichung der Länderraten vom Deutschlandwert, bestätigt sich dieser Eindruck. Die geringere Streuung der Länderraten ist auch nicht durch einzelne Ausreißer bedingt, die sich, vielleicht einem Phänomen wie der Regression zur Mitte folgend, wieder in der Mainstream einreihen würden. Erstens müssten wieder neue Ausreißer auftreten, zweitens kann man einzelne Länder herausnehmen, auch die beiden auffälligen Länder Berlin und Brandenburg zusammen, der Trend bleibt erhalten. Kommt darin also eine – z.B. leitlinienbedingte – Vereinheitlichung der Herzinfarktversorgung zum Ausdruck? Oder nur eine Vereinheitlichung der Kodierverfahren? Oder etwas ganz anderes? Das müssten Fachleute sagen.
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Nachtrag: Die schöne Hypothese von der Angleichung der Herzinfarktversorgung hat leider ein schnelles Ende gefunden, wie mir scheint, siehe Kommentare #2 und #4. Eine statistische Gedankenlosigkeit meinerseits, die Kommentator “Benjamin” aufgefallen ist. Ich lasse die irreführende zweite Grafik und den Text dazu trotzdem stehen – als anschauliches Beispiel für den Nutzen des Variationskoeffizienten.
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