In der aktuellen SPIEGEL-Ausgabe 29/2014 ist ein Interview mit dem russischen Philosophie-Professor Alexander Dugin abgedruckt, der, so der SPIEGEL, ein Vordenker Putins sei. Der Mann erinnert optisch etwas an Grigori Rasputin und scheint in einer ebenso fremdartigen Gedankenwelt wie dieser russische Wanderprediger der Zarenzeit zu leben.

Dugin vertritt eine Ideologie eines eurasischen Imperiums aus dem Geiste Russlands. Dabei geht es ganz groß zu: „Eurasien – das sind Russland und seine Partner. Die Türkei, Iran, China, Indien.“ Die Türkei, Iran, China, Indien? In diesen Ländern mag es einen von vielen Menschen als schmerzlich empfundenen Verlust traditionaler gesellschaftlicher Ordnung geben, der als „antiwestlich“ codiert wird, aber damit sind die Gemeinsamkeiten dieser Länder vermutlich erschöpft. Dass sich China von Russland führen lässt? Wer’s glauben will. Und dass sich die traditionale Ordnung dort nur durch den morbiden Einfluss des Westens auflöst? Wer’s glauben will.

Hat Dugin ein Problem mit dem Neuen, dem Fortschritt, der ihm fremd und anders erscheint? Keineswegs: „Sie im Westen kommen nicht mit dem Problem des Anderen zurecht. (…) Sie finden einfach nicht den Schlüssel zum Problem des Anderen.“ Hm. Darüber könnte man diskutieren. Aber Dugin kritisiert hier nicht etwa die Übergriffe der NSA. Er kritisiert den – „westlich“ attribuierten – Glauben an universelle Menschenrechte. Universelle Menschenrechte sind für Dugin gerade nicht der Schlüssel zum Problem des Anderen, sondern „rassistisch“. Auf den Dreh muss man erst mal kommen. George Orwell hätte es gefallen, Neusprech.

Den „Atlantikern“, also den USA und Westeuropa, muss nach Dugin eine Besinnung auf die „russischen Wurzeln“ entgegengesetzt werden. Ursprungseschatologie aus Entfremdungsangst, keine gute Mischung. Aber weiter mit Dugin: Putin würde sich auf eben diese russischen Wurzeln besinnen, z.B. den orthodoxen Glauben und das Kollektiv. Die Mehrheit würde das verstehen. Und folgerichtig ist, wer Putin kritisiert, psychisch krank: „Diejenigen, die Putin angreifen, greifen die Mehrheit an. Das ist psychisch anormal, ein Abweichen von der Norm.“ Dass Dugin gleichzeitig leidenschaftliche Verächter der Masse wie Nietzsche oder Heidegger goutiert – Neudenk. Oder Altdenk, wie bei Volk und Führer. Sehr apart ist auch diese Sentenz: „Technischer Fortschritt geht einher mit geistiger Regression“. Hat seine Wohnung keine Zentralheizung? Schreibt er seine Philosophie des Steinkeils mit dem Federkiel? Wer weiß, der Technikkritiker Heidegger dachte ja auch am liebsten in seiner Berghütte ohne Bad und fließend Wasser über das Gestell, das Seyn und das Geviert nach. Darüber, ob das seiner Philosophie gut getan hat, streiten die Geister bis heute.

Es lohnt sich, das SPIEGEL-Interview mit Dugin zu lesen. Es zeigt ein eigentümlich altes Denken, konserviert, die logische Geradlinigkeit gebrochen durch eruptive Ressentiments. So sonderbar Dugins Ideen sind, sie sind ein Reflex auf die gegenwärtige Situation Russlands und er ist kein Einzelfall. Wer mehr über die zeitgenössischen Philosophen des gekränkten Nationalstolzes in Russland lesen will: Auch in der Juni/Juli-Ausgabe des „Philosophie-Magazins“ gibt es dazu einen lesenswerten Artikel.

Kommentare (20)

  1. #1 A_Steroid
    15. Juli 2014

    ganz generell.. Immer wenn ich lese “die Amerikaner”… “die Russen…” oder “der Westen..” dann schalte ich gedanklich ab. In jedem Land gibt es Menschen. Die haben eine Regierung (in welcher Form auch immer bekommen). Und der Regierungschef ist “Der….” – d.h. wenn Putin und Obama nicht können – dann kann das Volk sich untereinander noch so lieben und herzen. Wenn die beiden beschliessen (Handels-)Krieg – dann gilt das. Und wie sich o.a. Philosoph erdreisten kann, für eine Nation zu sprechen – das wird nur er wissen… (was leistet so ein Philosoph eigentlich für das Bruttoinlandsprodukt…?)

  2. #2 Dr. Webbaer
    15. Juli 2014

    Vorsichtshalber zum Verhältnis Putin-Dugin diese Nachricht eingebracht:
    -> https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/europa/europastaaten/645010_Kriegsfraktion-in-Russland-verliert-an-Einfluss.html

    Das Neef-Dugin-Interview steht (noch) nicht im Web zV, korrekt?

    MFG
    Dr. W

  3. #3 Hobbes
    15. Juli 2014

    Ich finde es auch erstaunlich wie von vielen in der Krise argumentiert wird. Da wird in öffentlichen Foren wirklich “Verständnis” für russisches Handeln gefordert, weil es ja der “russischen Seele” entspricht und man diese ja doch bitteschön generell verstehen sollte. Immerhin seien sie ja eine ehemalige Großmacht und überhaupt dürfen Gebiete in denen Russen leben sich ja wohl mal eben selbst unter russische Herrschaft stellen.
    Außerdem sollte ja gerade Deutschland ruhig sein.

    Das sind doch eins zu eins die Argumente und Stimmungen die in Deutschland nach der Kapitulation im ersten Weltkrieg herrschten.

    Natürlich muss man teilweise versuchen die Leute zu verstehen. Aber verstehen bedeutet doch noch lange nicht “Verständnis” für eine Sache aufbringen. Der Umgang des Westens, mit seiner Arroganz, dem biegen der Menschenrechte, dem schnellen Wandel und dem zerstören von Traditionen erklärt viele russische Handlungen. Aber Entschuldigen tut sie keine. Erst recht kein Landraub auf Grund einer Blut und Bodenideologie.

    Mir ging in meiner Schulzeit und auch heute noch “die kollektive Schuld” die einem als deutscher eingetrichtert wurde gehörig auf den Zeiger. Aber wenn man sich anschaut wie gerne Gesellschaften ihre eigenen Verbrechen dann doch relativieren und zu was für geistige “Vordenker” das dann führt dann sind wir hier klar den besseren Weg gefahren. Lieber 20 Augsteins die einem eine WM vermiesen wollen, als so jemanden.

    Ich werde mir das Interview auf jeden Fall bei Gelegenheit mal durchlesen.

  4. #4 Cornelius Courts
    15. Juli 2014

    In Hirnen/Ländern solcher Sobeschaffenheit gedeihen dann demnächst womöglich auch (zeitgenössische) Entsprechungen des Lyssenkoismus. Schlimm.

  5. #5 Uli
    15. Juli 2014

    Ach ja, die alten Philosophen…
    Ich habe mich schon zu Schulzeiten bei meinem Deutschlehrer unbeliebt gemacht, weil ich mich erdreistete zu sagen: “Wenn wir heute immer noch versuchen (müssen), Hegel oder Feuerbach zu interpretieren (anstatt sie einfach zu verstehen), dann konnten die sich offenbar nicht wirklich klar ausdrücken.” 😉

  6. #6 hubert taber
    15. Juli 2014

    Dugin wäre gerne Grigori Rasputin.
    dieser hatte nämlich einen riesigen zebedäus.
    Dugin auch.
    aber im kopf.

    mir ist noch ein “wurzelsepp” grigori bekannt.
    der mathematiker Grigori Perelman.
    der wohnt in moskau bei seiner mutter in einem plattenbau und rechnet blöde daher.
    z.b. die 4D-kugel mit 3D.oberfläche (poincare-vermutung).
    DIE ABER NICHT EXISTIERT !
    siehe z.b. :
    https://science.orf.at/stories/1723535

    und für diesen scheinbeweis der poincare-vermutung erhielt er die fields-medaille !
    deren stellenwert sich damit in frage stellt.

    mfg.

  7. #7 Thilo
    15. Juli 2014

    @ hubert taber:
    Perelman wohnt nicht in Moskau und hat dort m.W. auch nie gewohnt. Zum Rest ihres Textes äußere ich mich lieber nicht.

  8. #8 hubert taber
    15. Juli 2014

    @ # 7 :
    du kannst dich deshalb nicht “äussern”, da du ein betriebsblinder betroffener bist !

    lese noch :
    https://cdvolko.blogspot.co.at/2013/10/einstein-widerlegt.html

    dort findest du unter anderem die division 0 / 0 und deren korrektes ergebnis !
    die angeblich “unmöglich”ist.
    daran ändern auch deine unkenrufe nichts !

    und sollten hochbegabungen diesen blog lesen, dann ordnen diese sicher jeden poster richtig ein.

    • #9 Joseph Kuhn
      15. Juli 2014

      “und sollten hochbegabungen diesen blog lesen, dann ordnen diese sicher jeden poster richtig ein”

      Dazu braucht es keine Hochbegabung. Ich setze Sie mal zum Abkühlen auf die Spamliste. Gute Erholung.

  9. #10 Dr. Webbaer
    16. Juli 2014

    @ Hobbes :
    Pugin reflektiert nicht die Meinung der russischen Regierung, er wird nur derart zur Schau gestellt von interessierter Seite.
    Der “Westen” [1] mit seinem (mäßig erfolgreichen bis schädlichen) Interventionismus hätte den militärischen Eingriff (“Krim”) womöglich als humanitär dargestellt, der Begriff des Nation-Building wäre womöglich gefallen und das Selbstbestimmungsrecht der Völker wäre womöglich herausgestellt worden.
    Der “Westen” [1] könnte sich insofern ein wenig zurückhalten in Regionen, die er [2] nicht versteht.
    MFG
    Dr. W

    [1] gemeint immer mit dem “Westen” sind die Systeme, die den Ideen und Werten der Aufklärung folgend gesellschaftlich implementiert haben – Russland wäre hier nur teilweise hinzuzurechnen, leider
    [2] ‘er’ ist hier natürlich ein wenig blöd formuliert, es geht primär um politische Entscheidungsträger, die sich unter Druck gesetzt fühlen zu handeln, um bspw. Kompetenz zu zeigen, die aber regionale Verhältnisse unzureichend feststellen und beurteilen können

  10. #11 Hobbes
    16. Juli 2014

    An den Bären:
    Natürlich würde der Westen bei umgekehrten Vorzeichen auch irgendwie agieren. Aber es hätte niemals ein Land eine Erweiterung der Staatsgrenzen vorgenommen. Selbst wenn der Westen alles, sogar bis hin zu den absurdesten Anschuldigungen, so getan hätte wie die russische Propaganda es verbreitet, so hätte der Westen immer noch größtenteils an die geltenden Spielregeln gehalten. Moskau hat dies definitiv nicht getan.
    Und eben hier sehe ich das Hauptproblem. Russland ist bereit alle als sicher geglaubten Regeln internationalen Zusammenspiels über Bord zu werfen für innenpolitische Interessen. So ein “Partner” ist gelinde gesagt unzuverlässig. Man muss hier gar nicht groß moralisch diskutieren um zu erkennen was das bedeutet.
    Hätte man irgendjemanden mit Ahnung von Internationalen Beziehungen bei Ausbruch der Ukrainekrise gesagt; “Russland wird sich mit militärischer Macht einen Teil der Ukraine einverleiben” man wäre ausgelacht worden. Jeder hätte einem geantwortet: “So blöd sind die Russen schon nicht”

    Aber hier geht es ja nicht um Außenpolitik, sondern um Volksstimmung. Und hier sehe ich großes Gefahrenpotential. (Und in der deutschen Bevölkerung mal wieder die witzige Situation das Linksextreme wie Rechtsextreme der gleichen Meinung sind.)
    In Deutschland sehe ich zudem noch das Problem, das viele denken die Wahrheit zwischen Russischer und Deutscher Berichterstattung läge irgendwo in der Mitte. Und auch der glaube das es mit der deutschen Presse ja nicht viel besser steht als mit der russischen. Das sind realitätsferne Ansichten die wirklich schaden anrichten können, wenn sie verbreitet auftreten.

  11. #12 Dr. Webbaer
    16. Juli 2014

    @ Hobbes :
    Der “Westen” führt eher Segregation herbei.

    Hätte man irgendjemanden mit Ahnung von Internationalen Beziehungen bei Ausbruch der Ukrainekrise gesagt; “Russland wird sich mit militärischer Macht einen Teil der Ukraine einverleiben” man wäre ausgelacht worden.

    Ihr Kommentatorenfreund hat dies bei Ali Arbia ein paar Tage vor dem endgültigem Ausbruch des Konflikts vorhergesagt, es gab wohl auch andere mit ähnlicher Ahnung.
    Bei besonderem Bedarf wird die Prognose herausgesucht.
    MFG
    Dr. W

  12. #13 weyoun
    16. Juli 2014

    einen eifernden einstein-wiederleger habe ich schon ewig(gut 5 jahre) nicht mehr gelesen. wo kommt der denn her?oder ists ein gut programmierter bot

  13. #14 Sulu
    22. Juli 2014

    so hätte der Westen immer noch größtenteils an die geltenden Spielregeln gehalten

    Der war gut!
    Wer die Spielregeln macht, kann sich auch “größtenteils” daran halten, easy…

    der Westen […] hätte niemals ein Land eine Erweiterung der Staatsgrenzen vorgenommen

    Auch wenn sich so was immer schlecht vergleichen lässt, aber was ist mit BRD / DDR?
    Macht es einen Unterschied, ob Staaten die Grenzen erweitern oder umgekehrt sich Staaten abspalten?

  14. #15 Sulu
    22. Juli 2014

    Russland ist bereit alle als sicher geglaubten Regeln internationalen Zusammenspiels über Bord zu werfen

    Ist das denn so sicher?
    Und was bedeutet “internationale Regeln”? Wie sehen die aus, wenn man nicht von einer eurozentristischen Perspektive betrachtet?

  15. #16 Arnd
    24. Juli 2014

    Die Annexion der Krim ist nicht so einfach. Hier wurde nicht gewalttätig Krieg gegen die Bevölkerung geführt, nein, die Einwohner waren (und sind) mit großer Mehrheit für einen Anschluss an Russland. Trotzdem ist das ganze natürlich sehr problematisch. Was würden die Russen etwa dazu sagen wenn jetzt jemand in Tadschikistan eine Volksabstimmung für eine Abspaltung von Russland machen würde und dabei gewinnen würde? Würden die Russen diesen Teil ziehen lassen? Wohl kaum.

    Aber man kann diese “Annexion” nicht vergleichen mit sagen wir mal der Eroberung Polens im zweiten Weltkrieg. Eher schon mit der Annexion Österreichs… da hat sich auch nicht wirklich jemand gewehrt.

    Was würde jetzt wohl passieren wenn (unrealistischerweise) Russland zur Ukraine sagen würde “Sorry, war nur ein Versehen, hier habt ihr die Krim zurück”? Es würde Aufstände geben und die Situation in der Krim wäre noch weitaus schlimmer als derzeit in der Ostukraine. Das ist also nicht wirklich eine Option.

  16. #17 A_Steroid
    24. Juli 2014

    Arnd, das ist das Dilemma von “Volksbegehren” – aus welchen Gründen auch immer liegt der Landstrich X in den UN-anerkannten Grenzen von Y (x + y beliebig…leider). In Land Y gibt es Recht und Ordnung (wie auch immer) und es geht allen gut. Über Nacht ändern sich die Bedingungen. In Y herrscht Durcheinander, Z dagegen bietet irgendwie Recht und Ordnung (wie auch immer). Nun finden viele Bürger aus Y, das sie lieber im “ruhigen” Z leben wollen (nachvollziehbar). Gefördert wird das von Ultra-wasauchimmer.
    Fazit: Es bedarf nur einer Hand voll Demagogen – und der Stein rollt – und wird nicht mehr aufgehalten. Da muss nur noch jemand etwas Schmiere in die Bahn werfen – dann gehts schneller.
    Erinnert an Russland? Mag sein. Aber man stelle sich mal Schleswig-Holstein und DDänemark vor… Sorben und Polen…. tja…

  17. #18 mienkisch
    essen
    12. August 2014

    In einem bin ich mit Herr Dugin einer Meinung.
    Wenn man hört ,was der russische Philosoph Alexander Dugin sagt und zwar Europa sei rassistisch , blicke man in erstem Moment verdutzt und fragt sich: Europa rassistisch? Europa ist ja alles andere als rassistisch. Ja! Könnte man meinen. Aber nur auf den ersten Blick. Warum? Weil wir heutzutage so tolerant sind ,dass wir keine andere Meinung akzeptieren . Wir sprechen alle eine einzige Sprache und wer was anderes behauptet ist entweder ein Nazi oder ein Rassist! Hatten wir schon nicht einmal dieses Phänomen ? Und zwar in den Neunzehnhundertdreißigern während der Herschafft der Nationalsozialisten! Klar ,die Werte waren damals anders und die Überzeugungen und auch die Feindbilder aber das Prinzip blieb das gleiche. Wer nicht denkt wie wir ist Böse!!!Damals musste man sagen um dazuzugehören Juden sind Abschaum und heute muss man sagen Schwul ist cool! Und ich frag mich wie viele von den heutigen Jasagern würden damals Hitler wählen? Ich bin sicher ,ganz viele! Schließlich will ja keiner aus der Reihe tanzen:)

  18. #19 Dr. Webbaer
    12. August 2014

    @ mienkisch :

    Weil wir heutzutage so tolerant sind ,dass wir keine andere Meinung akzeptieren . Wir sprechen alle eine einzige Sprache und wer was anderes behauptet ist entweder ein Nazi oder ein Rassist!

    Es geht ein wenig in diese Richtung.

    Damals musste man sagen um dazuzugehören Juden sind Abschaum und heute muss man sagen Schwul ist cool!

    Aber mit diesem unpassenden Vergleich verkaufen Sie keinen einzigen Blumentopf.

    MFG
    Dr. W

  19. #20 Joseph Kuhn
    6. Januar 2023