Die gesellschaftspolitischen Projekte der Bertelsmann-Stiftung sind zuweilen, wenn dabei das Wettbewerbsdenken zu sehr den Eigensinn der von ihr beglückten Lebensbereiche tangiert, heftiger Kritik ausgesetzt. Manchmal sicher zu Recht. Lobenswert ist dagegen, dass die Bertelsmann-Stiftung seit Jahren mit dem „Gesundheitsmonitor“ die Bevölkerung zu ihren Einstellungen und Erfahrungen mit unserem Gesundheitssystem befragt. Solche Befragungen gibt es zu wenig, zu oft meinen die gesundheitspolitischen Entscheidungsträger, sie wüssten ohnehin am besten, was gut für die Leute ist. Manchmal helfen aber auch Befragungen nicht viel weiter.
Gerade ist eine Gesundheitsmonitor-Befragung zu den Erfahrungen der Barmer-GEK-Versicherten mit der Homöopathie erschienen. Einer der Autoren ist Klaus Linde, der in der Homöopathiediskussion durch eine vieldiskutierte Metaanalyse von Homöopathiestudien bekannt geworden ist.
Die Barmer-GEK ist seit einiger Zeit Kooperationspartner beim Gesundheitsmonitor und möchte verständlicherweise wissen, was ihre Versicherten von ihren Angeboten halten. Wie mittlerweile viele Krankenkassen bietet auch die Barmer-GEK ihren Versicherten homöopathische Leistungen nach § 73 c SGB V an und scheint nicht ganz sicher zu sein, was die Versicherten über dieses Angebot tatsächlich denken. Kein Wunder: Wer eine „homöopathische Leistung“ anbietet, formuliert ja gewissermaßen schon die Fraglichkeit der Sinnhaftigkeit dieses Angebots.
Aber so wörtlich wurde das Angebot in der Befragung von den meisten Befragten nicht genommen. Auch Versicherte, die bisher keine homöopathischen Leistungen in Anspruch genommen haben (genauer: bei denen keine einschlägige Gebührenziffer abgerechnet wurde), beurteilen die Homöopathie recht positiv, z.B. was die Zeit des Arztes für die Patienten angeht, die Berücksichtigung seelischer Ursachen von Erkrankungen, die Rolle der Homöopathie nach erfolglosen schulmedizinischen Behandlungen oder die Gefahr von Nebenwirkungen. Diejenigen, die homöopathische Leistungen in Anspruch genommen haben, beurteilen all das noch positiver. Des Weiteren beurteilen die Befragten homöopathische Ärzte etwas besser als nichthomöopathische Ärzte, eine wesentliche Rolle dabei scheint eine als wertschätzender und zugewandter erlebte Arzt-Patientenkommunikation zu spielen. Auch das ist nicht wirklich neu. In der Darstellung der Ergebnisse dazu im Gesundheitsmonitor fehlt hier allerdings die Differenzierung nach den befragten Vergleichsgruppen, also den Homöopathieerfahrenen und denen ohne Homöopathieerfahrung. Dieser Vergleich wäre eigentlich auch ganz interessant gewesen.
Überhaupt ist der Gruppenvergleich etwas irritierend. Verglichen wurden drei Gruppen:
- Gruppe 1 waren alle 1.980 Versicherte, die zu einem Stichtag in den Homöopathievertrag der Barmer-GEK mit dem Deutschen Zentralverein homöopathischer Ärzte eingeschrieben waren. Für diese Gruppe ist ein homöopathischer Arzt im Krankheitsfall die erste Anlaufstation, er entscheidet in einer Lotsenfunktion über den weiteren Behandlungsverlauf.
- Gruppe 2 waren Versicherte, die durch einen Vertrag mit der Kassenärztlichen Vereinigung homöopathische Leistungen erstattet bekommen, aber nicht zu einem homöopathischen Arzt müssen. Hier hat man ebenfalls 1.980 Versicherte befragt, zufällig ausgewählt aus 18.000 Versicherten, bei denen in den letzten 2 Jahren eine homöopathische Erstanamnese abgerechnet wurde.
- Gruppe 3 waren 2.970 Versicherte, zufällig ausgewählt aus den 7 Mio. Versicherten, bei denen in den letzten 2 Jahren keine homöopathische Gebührenziffer abgerechnet wurde.
Gruppe 1 ist also eine hochselektive und sicher sehr homöopathieaffine Stichprobe, Gruppe 2 ebenfalls. Gruppe 1 ist eine Totalerhebung einer Merkmalsgruppe, die Gruppen 2 und 3 Stichproben. Die Gruppen unterscheiden sich in wichtigen Parametern wie der Geschlechts- und Altersverteilung, was man in der statistischen Analyse zwar berücksichtigt hat, aber hätte man nicht besser ein Fälle-Kontrollen-Matching vorgenommen? Das mögen erfahrene Studiendesigner beurteilen. Die Rücklaufquoten diskutieren die Autoren selbst kritisch: 39 % in Gruppe 1, 27 % in Gruppe 2, 20 % in Gruppe 3 – da dürften auch innerhalb der selektiven Gruppen noch einmal relevante Selektionseffekte aufgetreten sein. Ob vielleicht gerade unzufriedene Homöopathienutzer nicht geantwortet haben, wäre interessant zu wissen, aber es scheint, als ob keine Nonresponder-Befragung stattgefunden hat.
Es gibt noch eine ganze Reihe von Punkten, die man diskutieren könnte – inhaltlicher wie methodischer Art, z.B. inwiefern das Urteil über die Arztgruppen nicht durch die vorherigen Therapieerfahrungen bestimmt ist, also möglicherweise ebenfalls selektionsabhängig. Ich will es zunächst einmal dabei bewenden lassen und stattdessen auf einen kürzlich zum gleichen Thema erschienenen Artikel in der Zeitschrift für Allgemeinmedizin verwiesen (Schmacke et al.: Gehört, gesehen und verstanden werden: Überlegungen zu den Lehren aus der Homöopathieforschung, ZfA 6/2014). Dort hat man die Einstellung von Patienten zur Homöopathie mit qualitativen Interviews untersucht. Das gibt natürlich keinen Aufschluss über die empirische Verteilung von Einstellungsmustern, aber es lässt gut einzelne subjektive Begründungsmuster für die Inanspruchnahme von homöopathischen Leistungen erkennen. Besonders interessant fand ich die Hinweise darauf, dass in der Homöopathie offensichtlich nach einer gewissen Zeit widerspruchslos gemacht wird, was der Arzt sagt – weil er ja eine Vertrauensperson ist, sie sich wirklich Gedanken um einen macht. Da verkehrt sich dann die scheinbar bessere Qualität des Arzt-Patientenverhältnisses in der Homöopathie in eine Art höriger Duldsamkeit.
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