Anfang Dezember stand die Qualität von Bevölkerungsdaten und deren Relevanz für Gesundheitsstatistiken hier auf Gesundheits-Check zur Diskussion. Ein schönes Beispiel ist mir jetzt im neuen Männergesundheitsbericht des Bundes aufgefallen. Der Bericht ist vor kurzem nach mehrjähriger Vorbereitungs- und Analysezeit erschienen, ein dickes Werk mit vielen Zahlen rund um die Männergesundheit.
Ein wichtiges Thema dabei ist natürlich die Lebenserwartung, bekanntlich leben Männer ein paar Jahre weniger als Frauen. Die Berechnung von Sterberaten und darauf aufbauend der Lebenserwartung hängt ganz unmittelbar mit der Bevölkerungsstatistik zusammen. Die (rohe) Sterberate ergibt sich aus dem Quotienten der Gestorbenen und der durchschnittlichen Bevölkerung im Beobachtungszeitraum. Für Vergleiche zwischen Regionen oder im Zeitverlauf werden für viele Zwecke „altersstandardisierte Sterberaten“ berechnet, auch das war hier auf Gesundheits-Check schon Thema. Die Altersstandardisierung soll Vergleiche der Sterberaten unabhängig vom Altersaufbau der jeweiligen Bevölkerungen ermöglichen.
Anschaulicher als die altersstandardisierte Sterberate ist die „Lebenserwartung“. Bei der Berechnung dieser Kennziffer wird ebenfalls vom Altersaufbau der Bezugsbevölkerung abstrahiert, aber nach einem anderen Verfahren, nämlich durch die Erstellung einer Sterbetafel. Ausgangspunkt sind auch hier die Sterberaten. Nimmt man die altersspezifischen Sterberaten einer Beobachtungsperiode, erhält man eine sog. „Periodensterbetafel“, nimmt man die Sterberaten einer Geburtskohorte (auf die man aber lange warten muss, wenn man die altersspezifischen Sterberaten nicht schätzen will), erhält man eine „Generationensterbetafel“. Weil die Lebenserwartung, die sich aus einer Periodensterbetafel ergibt, von den aktuellen Sterberaten in den einzelnen Altersstufen ausgeht und somit die erwartbare weitere Verringerung der Sterblichkeit in der Zukunft nicht berücksichtigt, stellt sie im strengen Sinne keine Prognose dar, sondern nur ein Bild des gegenwärtigen Sterbegeschehens, genau wie die altersstandardisierte Sterberate.
Nach diesem kurzen Ausflug in die Methodik zurück zur Männergesundheit und hier zur Lebenserwartung von Ausländern und Ausländerinnen. Der Männergesundheitsbericht des Bundes stellt zunächst korrekt fest, dass die Beurteilung der Lebenserwartung für die ausländische Bevölkerung schwierig sei und dass die amtliche Statistik bei der Lebenserwartung einen kleinen Vorteil für die Ausländer und Ausländerinnen ausweist. Als Erklärung wird angegeben: „Allerdings wird von einer Unterschätzung der Zahl der in Deutschland lebenden Ausländer und damit auch des aktuellen Sterblichkeitsgeschehens ausgegangen“ (Männergesundheitsbericht, Seite 15). Man stutzt. Wenn die ausländische Bevölkerung unterschätzt wird, also im Nenner der Sterberate zu wenig steht, wird die Sterblichkeit nicht unterschätzt, sondern überschätzt.
Und wie sieht es mit den Zählerdaten aus, der Zahl der Ausländer und Ausländerinnen in Deutschland? Bisher wurde die Bevölkerung in Deutschland auf der Basis der Volkszählung in der Bundesrepublik 1987 (für die alten Länder) und dem Datenstand 1990 in der DDR (für die neuen Länder) „fortgeschrieben“, wie es im Demographen-Deutsch heißt. Mit anderen Worten: Diese Ausgangsdaten wurden anhand der Geburten, Sterbefälle und Migrationszahlen aktualisiert. Demnach lebten nach der bisherigen Bevölkerungsfortschreibung im Jahresdurchschnitt 2012 in Deutschland 7.558.771 Ausländer und Ausländerinnen. Nach der neuen Bevölkerungsfortschreibung auf der Basis des Zensus 2011 sind es 2012 aber nur 6.489.564 gewesen, also mehr als eine Million weniger. Damit sinkt rechnerisch die Lebenserwartung dieser Bevölkerungsgruppe erst einmal. In der Demographie ging man auch von einer Überschätzung der ausländischen Bevölkerung in dieser Größenordnung aus.
Im Auf und Ab der Unter- und Überschätzungen im Zähler und im Nenner und dann bei der Rate sind die Autorinnen und Autoren des Männergesundheitsberichts also ins Schleudern gekommen, ein doppelter Fehler, der durch’s Lektorat geschlüpft ist. Kleine Fehler sind bei so umfangreichen Gesundheitsberichten aber unvermeidlich und das mindert den Wert des Männergesundheitsberichts des Bundes auch nicht. Er enthält eine bisher recht einmalige Bestandsaufnahme zur Gesundheit des eigentlich schwachen Geschlechts. Wer sich für Geschlechterunterschiede bei der Gesundheit interessiert, kommt an diesem Bericht nicht vorbei.
Und wer sich mehr für Gesundheit der ausländischen Bevölkerung oder der größeren Gruppe der Bevölkerung mit Migrationshintergrund interessiert, dem sei der auch im Männergesundheitsbericht als Quelle zitierte Bericht „Morbidität und Mortalität von Migranten in Deutschland“ des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge empfohlen. Der Bericht geht ausführlich auch auf die Probleme der Datenlage bei diesem Thema und interessante Einflussfaktoren auf Krankheits- und Sterberaten wie z.B. den „Healthy Migrant Effect“ ein und ist inhaltlich nach wie vor aktuell – die Zensusproblematik hat man dort vorab schon mitbedacht.
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