„Politik als Beruf“ ist der Titel eines Vortrags, den Max Weber 1919 in München gehalten hat. Weber beschäftigt sich darin – die Revolutionswirren nach dem ersten Weltkrieg vor Augen – damit, was Politik ist und was einen guten Politiker ausmacht. Dass Politik das Bohren dicker Bretter ist, ist eine der bekanntesten Sentenzen aus diesem Vortrag, dass es in der Politik um „Verantwortungsethik“ geht und dass „drei Qualitäten vornehmlich entscheidend sind für den Politiker: Leidenschaft – Verantwortungsgefühl – Augenmaß“ – auch das ist aus diesem Vortrag. Für Weber hat Politik viel zu tun mit der Mäßigung von Leidenschaften und einem distanzierten Blick auf die Dinge, die es zu entscheiden gilt. Der revolutionäre Überschwang war seine Sache nicht.
Heute haben sich bei den „Markt Schwabener Sonntagsbegegnungen“ Hans-Jochen Vogel und Gerhard Schröder darüber unterhalten, was sie persönlich zur Politik gebracht hat. Die Markt Schwabener Sonntagsbegegnungen, organisiert von Bernhard Winter, dem Altbürgermeister der Gemeinde, waren hier auf Gesundheits-Check vor gut einem Jahr schon einmal Thema. Damals ging es um die Frage, was ein gutes Leben ausmacht, eigentlich gar nicht weit weg von der Frage nach dem Wesen der Politik. Die Markt Schwabener Sonntagsbegegnungen gibt es seit gut 20 Jahren. In dieser Zeit haben sich so unterschiedliche Geister wie z.B. Hildegard Hamm-Brücher, Joschka Fischer, Heiner Geißler, Wolfgang Thierse, Paul Breitner, Rita Süßmuth, Gerhard Polt, Hartmut Mehdorn, Peer Steinbrück, Anselm Grün, Dieter Hildebrandt oder Frank-Walter Steinmeier zum Gespräch bitten lassen. Diese Namen würde man eigentlich eher im Tagungsprogramm einer großen politischen Akademie vermuten. So etwas in einem Ort hinzukriegen, dessen Namen kaum jemand kennt und der nicht etwa in Schwaben liegt, sondern von München aus hinter Feldkirchen und Poing Richtung Osten, da wo Oberbayern sehr katholisch und sehr bäuerlich wird, ist eine Leistung der besonderen Art.
Heute war es die 75. Sonntagsbegegnung, Vogel und Schröder als Gesprächspartner, wie gesagt. Unter den Gästen auch reichlich bayerische Politikprominenz aus allen Parteien. Die Anmoderation übernahm Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung.
Hans-Jochen Vogel, Jahrgang 1926, hat seinen Weg in die Politik an den Erfahrungen mit dem Ende des Krieges und des Nationalsozialismus festgemacht. Er war noch in der Hitlerjugend, dann Soldat und kurz in Kriegsgefangenschaft, danach auf der Suche nach Wegen, aus dem Desaster zu lernen, die Dinge besser zu machen. Auch wenn er erzählt, wer ihn damals beeinflusst hat, Wilhelm Hoegner zum Beispiel, oder Waldemar von Knoeringen, taucht man in eine weitgehend vergessene Zeit ein, deren „Lehren“ hoffentlich nie wiederholt werden müssen. Gerhard Schröder, fast 20 Jahre jünger, ist schon mit der Bundesrepublik aufgewachsen. Er kam über sein Kleine-Leute-Milieu zur SPD und zur Politik, hat erst einen Lehrberuf gelernt, dann auf dem zweiten Bildungsweg Abitur gemacht und studiert. Eine seiner schwierigsten Entscheidungen sei der Kosovoeinsatz der Bundeswehr gewesen, und man hatte den Eindruck, dass er damit bis heute nicht ganz „fertig“ ist. Ihm sei auch klar, dass er dabei „Schuld auf sich geladen“ habe, aber anders zu entscheiden, so Schröder, hätte noch mehr Schuld nach sich gezogen. Das Nein zum Irakkrieg sei dagegen im Prinzip eine einfache Sache gewesen, weil das auf der Linie seiner Grundüberzeugungen gelegen sei. Da hat man sie, die Spannung zwischen Verantwortungs- und Gesinnungsethik.
Einig waren sich Schröder und Vogel, dass Politiker vor der Politik einen Beruf gelernt haben sollten. Ein gängiges Sujet: Der „gelernte Politiker“ gilt als einer, der die Nöte der Bürger nicht so gut kennt. Ich bin nicht sicher, ob das wirklich stimmt und warum jemand, der vorher Schlosser oder Rechtsanwalt war, ein besserer Politiker sein soll. Lebenserfahrung und Bürgernähe können auf vielen Wegen entstehen, eher scheint mir, dass der stromlinienförmige Politikbetrieb heute zu oft auch stromlinienförmige Politiker selektiert.
Leidenschaft – Verantwortungsgefühl – Augenmaß, die drei politischen Tugenden Webers, können wohl Vogel wie auch Schröder für sich in Anspruch nehmen, so unterschiedlich sie vom Charakter her sonst auch sind. Vogel wirkt temperierter, Schröder nach wie vor impulsiver, beide wissen, wie sie ihr Publikum gespannt halten, wie man sich mit einer gutplatzierten Anekdote Beifall holt, Routiniers der öffentlichen Rede eben. Aber der besondere Rahmen der Markt Schwabener Gespräche lässt sie doch etwas persönlicher auftreten als auf der ganz großen Bühne, ein Vorteil dieses Veranstaltungsformats. Besondere Enthüllungen gab es natürlich trotzdem nicht, vermisst habe ich eher, dass weder Vogel noch Schröder etwas zur gegenwärtigen politischen Situation, sei es in der Ukraine, im Nahen Osten oder in Dresden gesagt haben. So viel „Altherrenzurückhaltung“ hätte nicht sein müssen, wenn PEGIDA von manchen Leuten als Repolitisierung des Bürgertums verkauft wird oder Krieg und Terrorismus auch in Europa wieder als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln praktiziert werden. Das sind politische Abwege, zwar mit Leidenschaft, aber ohne Verantwortungsgefühl und ohne Augenmaß.
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