Seit mehr als einem Jahr laufen die Verhandlungen zwischen der EU und den USA über TTIP, die Transatlantic Trade and Investment Partnership. Ziel ist der Abbau von Handelshemmnissen – was immer alles darunter gefasst werden wird: von ungleichen Produktnormen bis zu ungleichen Verbraucherschutzstandards. In der Kritik steht dabei vor allem der sog. „Investorenschutz“. Der sieht vor, dass Unternehmen Staaten jenseits der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Schiedsverfahren verklagen können, wenn sie z.B. durch Verbraucherschutzvorschriften ihre Gewinne oder ihre Gewinnerwartungen ungerechtfertigt eingeschränkt sehen.
Heute ist in der Süddeutschen Zeitung dazu ein Kommentar “Zuhören statt abnicken“ von Nikolaus Piper. Piper ist Leitender Redakteur für Wirtschaftsthemen bei der Süddeutschen. Er plädiert dafür, das Ergebnis eines Konsultationsverfahrens, das die EU veranlasst hat und das sehr TTIP-kritisch ausgefallen ist, nicht zu ignorieren. Aber es geht ihm dabei nur darum, dass das Abkommen nicht über den Widerstand der Bürger ins Stolpern kommt, also um ein taktisches Zuhören. Gut, die Leute diskutieren kontrovers über TTIP, die Wirtschaft will es und Piper ist nicht erst seit seiner New Yorker Wirtschaftskorrespondentenzeit Amerikafan, aber bei einem Passus seines Kommentars glaubt man seinen Augen nicht zu trauen:
“Schließlich bekäme die EU international ein massives Glaubwürdigkeitsproblem, würde sie den Investorenschutz einfach aus dem Verhandlungsprogramm streichen. Die Mitgliedsstaaten, allen voran die Bundesrepublik Deutschland, haben Hunderte bilaterale Investorenabkommen abgeschlossen, viele mit Ländern, die nicht im Geringsten demokratisch regiert sind. Und jetzt, wo es darum geht, Unternehmen aus einem Staat zu schützen, der für die Mehrzahl der EU-Mitglieder der wichtigste Verbündete auf der Welt ist, soll das nicht mehr möglich sein? Kein Wunder, dass sich die Regierung in Washington darauf nicht einlässt.“
Schiedsverfahren mögen vielleicht im Handel mit Staaten ohne funktionierenden Rechtsstaat („die nicht im Geringsten demokratisch legitimiert sind“) ihren guten Sinn haben, obwohl ich mich frage, ob das in Russland wirklich helfen würde. Aber weil sie dort vielleicht angebracht sind, sollen sie auch das Modell des Umgangs der USA mit den europäischen Staaten sein? Meint er das wirklich? Und weiter, daher sollen amerikanische Unternehmen vor europäischen Rechtsstaaten geschützt werden? Genau in dieser Anordnung, nicht etwa europäische Unternehmen vor dem amerikanischen Rechtsstaat? Darin seien natürlich „kaum Gefahren für den Spielraum demokratischer Regierungen zu erkennen“, so Piper, wenn man sich die bisherige Klagepraxis ansehe. Wenn das so ist, könnte man dann die Sache nicht einfach sein lassen? Nein, das kann man nicht, sagt Piper, dann hätte die EU ja ein „massives Glaubwürdigkeitsproblem“, weil es, siehe oben, den Investorenschutz ja in den Abkommen mit Staaten ohne Rechtsschutz schon gibt. „Kein Wunder, dass sich die Regierung in Washington darauf nicht einlässt.“ Ich wusste gar nicht, dass sich die Regierung in Washington derart um die Glaubwürdigkeit der EU sorgt. Ein anderes Argument führt Piper nämlich nicht an. Pipers asymmetrische Rechtfertigungsrhetorik weitergeführt, muss dann eben die EU nachgeben. Bei solchen Gedankengängen frage ich mich, ob Wirtschaftsjournalismus manchmal von einer zerebralen Baisse befallen ist.
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