Heute hat der Bayerische Rundfunk das Thema Suizide mit einem Beitrag von Claudia Gürkov und Anne Hinder auf die Agenda gesetzt. Nur nebenbei: Claudia Gürkov wurde 2013 mit dem Journalistenpreis des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin für ihre Recherchen über den klagefreudigen Krebsarzt Nikolaus Klehr ausgezeichnet.
Die Epidemiologie der Suizide war hier auf Gesundheits-Check schon mehrfach Thema, sowohl was den Trend und die Länderunterschiede angeht als auch die Verteilung der Suizide nach Geschlecht. Der Bayerische Rundfunk hat sich naheliegenderweise auf die Situation in Bayern konzentriert und danach gefragt, warum die Suizidrate in Bayern über dem Bundesdurchschnitt liegt und woher die regionalen Unterschiede innerhalb Bayerns kommen. Zwei Fragen, auf die es keine guten Antworten gibt.
Schaut man sich noch einmal den Trend der Suizidraten an, sieht man, dass sie in Deutschland wie in Bayern lange rückläufig waren und dass die Suizidrate in Bayern etwas weniger stark zurückgegangen ist als in Deutschland insgesamt. Früher, man möchte fast sagen, als die Welt noch in Ordnung und der Frühschoppen nach dem Kirchgang Pflicht war, lag sie in Bayern unter dem Bundesdurchschnitt. Ob sich vielleicht der ausgeprägte wirtschaftliche Strukturwandel in Bayern im Verlauf der Suizidrate bemerkbar macht, z.B. als Folge der Auflösung herkömmlicher Sozialbeziehungen? Falls das so ist, müssten sich die Unterschiede zwischen Bayern und Deutschland in den nächsten Jahren wieder verringern, schließlich ist der Strukturwandel vom Agrar- zum Industrie- und Dienstleistungsstaat, der in Bayern vergleichsweise spät stattfand, nun auch hier mehr oder weniger gelaufen. Wer will, mag das aus dem Kurvenverlauf der letzten Jahre schon herauslesen, Kaffeesatzlesen erfreut sich ja großer Beliebtheit.
Interessant ist auch, dass sich die Kaffeesatzleserei aus dem ersten Beitrag zu Suiziden hier auf Gesundheits-Check, nämlich ob die Suizide in Deutschland wieder zunehmen, zu bestätigen scheint. Seit 2007 steigt die Rate in Deutschland leicht an. Man erinnert sich: das war das Jahr der Finanzkrise. Auch in anderen Ländern kann man einen Anstieg der Suizidraten seitdem beobachten, ganz stark im krisengeschüttelten Griechenland.
Und wie sieht es mit den regionalen Unterschieden bei den Suiziden innerhalb Bayerns aus? Hier muss man etwas aufpassen, weil die absoluten Fallzahlen schon auf der Ebene der Landkreise und kreisfreien Städte sehr klein werden und folglich stark durch Zufallsschwankungen geprägt sind. Vor ein paar Jahren hat das einmal dazu geführt, dass Weiden in der Oberpfalz in den Medien zur deutschen Suizidhochburg erklärt wurde – in einer Auswertung der Suizidzahlen für den “Nationalatlas“ wurde ein Ausreißer bei den Daten eines Jahres nicht bereinigt. Die Süddeutsche Zeitung hat dann auch noch eine ganz falsche Erklärung dazu geliefert: Das sei so, weil in Weiden eine psychiatrische Klinik stünde. Die Suizidsterbefälle wurden aber nach Wohnort ausgewertet, nicht nach vorübergehenden Aufenthaltsorten oder Sterbeort. Gründlicher recherchieren hätte sich gelohnt.
Im „Bayerischen Gesundheitsatlas“– ich mache ausnahmsweise mal etwas Werbung für meinen Brötchengeber – werden die Daten über 5 Jahre gemittelt, um Zufallsschwankungen etwas zu glätten. Das geographische Muster, das man bei den Suiziden sieht, ist schwer interpretierbar. Es folgt nicht dem bekannten Nordost-Südgefälle der Gesamtsterblichkeit in Bayern, sondern zeigt Cluster, die sich mehr oder weniger über ganz Bayern verteilen. Über die Jahre recht stabil sind niedrige Raten in Unterfranken und hohe Raten in Niederbayern. Möglicherweise spielt auch hier der oben angesprochene Strukturwandel eine Rolle, aber das ist Spekulation, ebenso wie die Vermutung, dass sich hier Unterschiede beim regionalen Angebot mit Beratungs- und Therapieplätzen auswirken. Dass grundsätzlich mehr Therapieplätze zur Behandlung psychischer Störungen nötig sind, kann man aufgrund der Befunde des Robert Koch-Instituts zu unversorgten psychischen Störungen einigermaßen gut begründet sagen, aber ob das auch Einfluss auf regionale Unterschiede bei den Suiziden hat? Man weiß es nicht.
Was das berühmte „ungarische Muster“, den Anstieg der Suizidraten bei älteren Männern, angeht, gibt es übrigens keinen Unterschied zwischen Bayern und dem Bundesdurchschnitt, die Kurven verlaufen identisch.
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