Vor ein paar Wochen schon ging der DAK-Gesundheitsreport 2015 für Deutschland durch die Medien. Heute wurde in München der Regionalreport Bayern vorgestellt. Dass der Krankenstand in Bayern 2014 auch bei den DAK-Versicherten mit 3,4 % niedriger lag als im Bundesdurchschnitt mit 3,9 %, ist inzwischen fast schon ein Erwartungswert. Das ist bei den anderen Krankenkassen genauso und auch sonst steht Bayern bekanntlich gesundheitlich ganz gut da.
Ein Dauerthema der Krankenkassen-Reporte ist seit Jahren der Anstieg der Krankschreibungen infolge psychischer Störungen, wir hatten hier bereits darüber diskutiert. Dieser Trend ist auch bei den DAK-Versicherten in Bayern ungebrochen: Die Arbeitsunfähigkeitstage infolge psychischer Störungen haben sich in den letzten 15 Jahren fast verdoppelt und verursachen inzwischen 15,5 % aller Arbeitsunfähigkeitstage. Nur die Muskel-Skeletterkrankungen haben mit 22,5 % einen noch höheren Anteil. Dabei konzentrieren sich die Krankschreibungen infolge psychischer Störungen auf einen kleinen Teil der Beschäftigten, etwa 4 % der DAK-versicherten Arbeitnehmer waren 2014 betroffen. Aufgrund der weit überdurchschnittlichen Dauer der Krankschreibungen bei diesen Diagnosen summieren sich die Ausfallzeiten dann auf den hohen Anteil am Krankenstand auf.
Der interessanteste Teil des DAK-Gesundheitsreports 2015 sind Daten zum „pharmakologischen Neuroenhancement“, kurz Hirndoping. Das Berliner IGES-Institut, das für die fachliche Erstellung des Reports verantwortlich zeichnet, hat dazu u.a. eine (deutschlandweite) Befragung von 5.000 Erwerbstätigen im Alter von 20 bis 50 Jahren ausgewertet. Gefragt wurde nach der Einnahme bestimmter verschreibungspflichtiger Medikamente ohne therapeutische Indikation. Zugrunde lag ein weiter Begriff des Neuroenhancements, der neben dem Missbrauch von Stimulanzien auch die Einnahme von Antidementiva zur Verbesserung der Gedächtnisleistung, von Antidepressiva zur Stimmungsaufhellung und die Einnahme von Beta-Blockern zum Abbau von Stress und Lampenfieber einschloss – wie gesagt, jeweils ohne dass eine medizinische Indikation vorlag. Demnach haben in Deutschland 6,7 % der Befragten im Laufe ihres Lebens schon einmal Neuroenhancement versucht (sog. „Lebenszeitprävalenz“), 3,2 % haben es in den letzten 12 Monaten getan und 1,9 % tun es regelmäßig. Die IGES-Forscher haben dabei auch die Dunkelziffer abgeschätzt und gehen davon aus, dass insgesamt sogar 12 % schon einmal Neuroenhancement versucht haben. Hirndoping scheint in den letzten Jahren zugenommen zu haben: In einer früheren Befragung im Jahr 2008 lag die Lebenszeitprävalenz noch bei 4,7 %, also zwei Prozentpunkte niedriger als heute, wobei man für eine belastbare Trendaussage sicher mehr Zeitpunkte bräuchte.
In Bayern kam man bei der Lebenszeitprävalenz auf 7,2 % (mit Dunkelziffer 12,9 %), bei der 12-Monatsprävalenz auf 3,2 % und beim regelmäßigen Missbrauch auf 1,6 %. Aufgrund der vergleichsweise kleinen Fallzahlen unterscheidet sich das aber nicht statistisch signifikant von den Bundeswerten.
Nach den Gründen gefragt, warum sie Psychopharmaka ohne medizinischen Grund eingenommen haben, gaben zwei Fünftel der „User“ an, auf diese Weise bestimmte Anlässe (Verhandlungen, Prüfungen etc.) besser durchzustehen, mehr als zwei Drittel sagten, ihnen ginge die Arbeit damit leichter von der Hand. Ein Viertel sagt, sie seien sonst gefühlsmäßig nicht in der Lage, ihre Arbeit zu machen und bei den Männern sagt fast ein Fünftel, sie könnten sonst beruflich nicht mithalten (Frauen: 6 %). Wie so oft, gibt es einen Unterschied nach Sozialstatus: je geringer das Qualifikationsniveau, desto häufiger der Missbrauch von Psychopharmaka. Nun gut, vielleicht reicht den Bessersituierten der Alkohol – dessen Missbrauch ist bekanntlich aber auch alles andere als gesund.
Hirndoping betrifft – zumindest was den regelmäßigen Psychopharmakakonsum angeht – nur einen sehr kleinen Anteil der Beschäftigten, möglicherweise etwas mehr als früher. Wenn man den genannten Zahlen trauen darf, würden aber immerhin ca. 120.000 Menschen in Bayern regelmäßig Hirndoping betreiben (bzw. sogar doppelt so viele, wenn auch hier die gleiche Dunkelziffer wie bei der Lebenszeitprävalenz gilt).
Die Frage ist, wozu das Ganze? Bei der DAK-Pressekonferenz in München war auch Prof. Hans Förstl dabei, Leiter der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der TU München. Er wies darauf hin, dass nach heutigem Kenntnisstand eine pharmakologische Verbesserung von Hirnleistungen auf Dauer nicht erfolgreich sei. Das Hirn sei in der Evolution in seinem Leistungsvermögen und dem Zusammenspiel seiner Funktionen schon optimiert. Mehr Leistung an der einen Stelle führt also irgendwann zu Leistungseinbußen an anderer Stelle. Eigentlich schade. Bei dem Unsinn, den manche Leute anrichten, möchte man fast schon etwas Hirndoping zwangsverordnen.
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