Gerade wird die „Schokodiätstudie“ von Bohannon und Kollegen, die im März in den „International Archives of Medicine“, einem open access-Journal veröffentlicht wurde, hin und her diskutiert. Die Geschichte der „Studie“ selbst kann man z.B. bei Geograffitico nebenan und den dort verlinkten Quellen nachlesen. In aller Kürze: Um zu zeigen, wie schnell eine methodisch schlechte Studie eine neue Diät bekannt machen kann, und sei sie noch so kontraintuitiv, haben Journalisten mit Unterstützung kritischer Wissenschaftler eine Studie produziert, die scheinbar einen schlankmachenden Effekt von Schokolade nachweist. Die Nachricht von der Schokodiät wurde weltweit in den bunten Medien aufgegriffen – und vor kurzem auf Spiegel Online als Fake enttarnt. Letzten Freitag kam im Fernsehen auf arte der Film zur Story. Die Botschaft ist klar: Dünn sind bei vielen Diäten nur die zugrundeliegenden Studien, aber das interessiert kaum jemanden, obwohl die Diäten nicht nur oft nutzlos sind, sondern mitunter regelrecht gesundheitsgefährdend.
Bei Geograffitico und bei den Scilogs sind nun die gefakte Studie selbst sowie der arte-Bericht darüber ins Visier der Kritik geraten. So wird beispielsweise bemängelt, dass die Probanden der Kontrollgruppe vor der letzten Gewichtsmessung ein Glas Wasser trinken sollten (was sie schwerer macht, trotz Null Kalorien), die Studie kein peer review passieren musste und dass die Probanden, soweit erkennbar, nicht wahrheitsgemäß über das Ziel der „Studie“ aufgeklärt wurden und keine Ethikkommission beteiligt war.
Während in der Medizin Studien ohne wahrheitsgemäße Aufklärung der Probanden inzwischen verpönt sind – zumindest hierzulande, in der Dritten Welt läuft manches sicher anders – gibt es in anderen Disziplinen nach wie vor Experimente, in denen die Probanden absichtlich getäuscht werden, z.B. in der Psychologie. Hier will man manchmal vermeiden, dass die Probanden wissen, um was es wirklich geht, wenn die Experimente davon beeinflusst werden. Ein berühmter, heute forschungsethisch so nicht mehr durchführbarer Versuch, war das Milgram-Experiment. Dort wurden Versuchspersonen instruiert, anderen Menschen Stromschläge zu versetzen. Man wollte testen, wie autoritätshörig die Probanden sind, in Wirklichkeit erhielt niemand Stromschläge, die „Opfer“ waren eingeweihte Schauspieler.
In psychologischen Experimenten sind die Versuchspersonen häufig Psychologiestudierende, die in der Regel wissen, dass die Story, die man ihnen erzählt, nicht immer die ganze Wahrheit ist. In anderen Fällen wird im Nachhinein darüber aufgeklärt, um was es ging, und es gibt Vorgaben zum Abbruch von Experimenten, wenn die Probanden ungewöhnliche Belastungsreaktionen zeigen. Die Ethikrichtlinien der Deutschen Gesellschaft für Psychologie und des Berufsverbands Deutscher Psychologinnen und Psychologen lassen dabei vergleichsweise große Spielräume, was den möglichen Verzicht auf Aufklärung im Experiment angeht:
“Psychologen können auf eine auf Aufklärung basierende Einwilligung nur dann verzichten (1) wenn vernünftigerweise davon ausgegangen werden kann, dass die Teilnahme an der Forschung keinen Schaden oder kein Unbehagen erzeugt, die über alltägliche Erfahrungen hinausgehen, und wenn die Forschung sich (a) auf gängige Erziehungsmethoden, Curricula oder Unterrichtsmethoden im Bildungsbereich bezieht; (b) auf anonyme Fragen/Fragebögen, freie Beobachtungen oder Archivmaterial bezieht, dessen Enthüllung die teilnehmenden Personen nicht den Risiken einer straf- oder zivilrechtlichen Haftbarkeit, finanzieller Verluste, beruflicher Nachteile oder Rufschädigungen aussetzt und bei denen die Vertraulichkeit gewährleistet ist; (c) auf Faktoren bezieht, welche die Arbeits- und Organisationseffizienz in Organisationen betreffen, deren Untersuchung keine beruflichen Nachteile für die teilnehmenden Personen haben können und bei denen die Vertraulichkeit gewährleistet ist, oder (2) wenn die Forschung anderweitig durch Gesetze und Verordnungen erlaubt ist.“
Die Berufsordnungen für Psychotherapeuten machen dagegen engere Vorgaben, hier die Formulierung aus der Musterberufsordnung der Bundespsychotherapeutenkammer:
§ 28 Psychotherapeuten in der Forschung
(1) Psychotherapeuten haben bei der Planung und Durchführung von Studien und Forschungsobjekten die in der Deklaration von Helsinki 2000 niedergelegten ethischen Grundsätze zu beachten.
(2) Die Teilnehmer sind vor Beginn von Psychotherapiestudien sorgfältig über deren Inhalte, Rahmenbedingungen und mögliche Belastungen sowie Risiken aufzuklären. Diese Information und die Zustimmung zur Teilnahme an der Studie müssen vor Beginn der Durchführung schriftlich niedergelegt sein.
(3) Sofern Behandlungen im Rahmen eines Forschungsvorhabens nicht abgeschlossen werden können, ist dafür Sorge zu tragen, dass Weiterbehandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen oder vermittelt werden können.
(4) Bei der Veröffentlichung von Forschungsergebnissen haben Psychotherapeuten Auftraggeber und Geldgeber der Forschung zu nennen.
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