Volkskrankheit Psychische Störungen
Der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1) zufolge leidet – bezogen auf einen 12-Monatszeitraum – mehr als ein Drittel der Bevölkerung an irgendeiner psychischen Störung – einer Belastungsreaktion, einer Suchterkrankung, einer Depression oder dergleichen. Im Laufe des gesamten Lebens ist es mehr als die Hälfte. Das ist sehr viel, psychische Störungen sind eine „Volkskrankheit“. Im Versorgungssystem nehmen die Fälle seit Jahren zu, das war hier auf Gesundheits-Check schon mehrfach Thema. Dagegen scheint die Erkrankungshäufigkeit an sich eher stabil zu bleiben, wie Vergleichsdaten aus dem Bundesgesundheitssurvey 1998 und der genannten DEGS1-Studie (2008-2011) nahelegen.
Unter den krankheitsbedingten Frühberentungen nehmen psychischen Störungen mit einem Anteil von mehr als 40 % der Fälle inzwischen den ersten Platz ein, etwa 75.000 waren es im Jahr 2013. Auch bei der vorzeitigen Dienstunfähigkeit der Beamten steht diese Diagnosegruppe ganz vorn. Vorzeitige Dienstunfähigkeit soll aufgrund der damit verbundenen Versorgungslasten möglichst vermieden werden. Wer verbeamtet werden will, wird daher vorher vom Amtsarzt auf seine Dienstfähigkeit untersucht. Und so häufig wie in der Allgemeinbevölkerung, so häufig sind psychische Störungen natürlich auch unter den Beamtenanwärtern.
Verbeamtung und amtsärztliche Untersuchung
Was folgt daraus für die Untersuchung beim Amtsarzt? Wird man, wenn man an einer psychischen Störung leidet oder früher einmal eine hatte, oder eine Psychotherapie in Anspruch nahm, dann automatisch nicht mehr verbeamtet? Viele befürchten das und geben die Erkrankung nicht an oder vermeiden gar eine Psychotherapie, damit „nichts in den Akten ist“.
Früher war das in der Tat ein Problem, weil die amtsärztliche Untersuchung darauf ausgerichtet war, die Möglichkeit einer vorzeitigen Dienstunfähigkeit mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit auszuschließen. Das ist aufgrund der prognostischen Unsicherheiten kaum möglich gewesen und daher wurden Beamtenanwärter oft auch mit „bevölkerungsüblichen“ Gesundheitsrisiken abgelehnt. Besonders berüchtigt war die Ablehnung von übergewichtigen Bewerbern mit einem Body Mass Index von 30 und mehr.
Das Bundesverwaltungsgericht kippt die alte Praxis
Im Jahr 2013 haben mehrere Urteile des Bundesverwaltungsgerichts diese Sachlage grundlegend verändert (BVerwG 2 C 12/11 vom 25.07.2013, BVerwG 2 C 18/12 vom 25.07.2013, BVerwG 2 B 37/13 vom 13.12.2013). Seitdem dürfen Beamtenanwärter nur noch abgelehnt werden, wenn es tatsächliche Anhaltspunkte dafür gibt, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine vorzeitige Dienstunfähigkeit eintreten wird. Die Beweislast ist sozusagen umgedreht worden.
Eine psychische Erkrankung ist also nicht mehr automatisch ein Ausschlussgrund bei der Verbeamtung, erst recht nicht eine frühere Psychotherapie. Im Gegenteil: Das kann sogar positiv gewertet werden, weil im Rahmen einer Psychotherapie auch Lebensbewältigungskompetenzen entwickelt und gefördert werden. Ganz zu schweigen davon, dass viele Psychotherapien im Kindes- und Jugendalter ohnehin aufgrund von „Entwicklungsproblemen“ im weitesten Sinne erfolgen und für die Frage einer vorzeitigen Dienstunfähigkeit belanglos sind. Es gibt also keinen Grund, hier mit Blick auf die Verbeamtungschancen eine Psychotherapie zu vermeiden oder mit seinen Beschwerden nur zum Heilpraktiker zu gehen. Nicht behandelte Störungen verringern ja eher die Verbeamtungschancen. Schwere psychotische Erkrankungen mit schlechter Prognose verhindern dagegen nach wie vor die Verbeamtung, sie sind aber vergleichsweise selten.
Diese Entwicklung trägt sowohl dem wissenschaftlichen Sachstand Rechnung, was die prognostischen Möglichkeiten der Vorhersage einer vorzeitigen Dienstunfähigkeit angeht – da ist die Studienlage nämlich bei vielen Störungsbildern recht dürftig -, sie berücksichtigt auch, dass Dienstunfähigkeitsgründe zumeist erst im Laufe des Berufslebens entstehen und sie folgt der gesellschaftlichen Entstigmatisierung psychischer Störungen, auch wenn hier auf vielen Gebieten noch viel zu tun ist. Wer mehr dazu lesen will, dem sei ein aktueller und sehr lesenswerter Artikel von Elke Richartz-Salzburger vom Referat für Umwelt und Gesundheit der Stadt München in der Zeitschrift „Gesundheitswesen“ empfohlen.
Und die Versicherungen?
Während die Sachlage bei der Verbeamtung somit einigermaßen klar ist, sind die Folgen einer früheren psychischen Erkrankung bzw. einer Psychotherapie für den Vertragsabschluss bei privaten Versicherungen, vor allem Kranken- und Berufsunfähigkeitsversicherungen, komplizierter. Die Versicherungen verfahren hier nicht einheitlich und man tut gut daran, sich zu diesem Punkt vorab kundig zu machen und sich ggf. auch juristisch beraten zu lassen.
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