Gerade geht der Entwurf des „Vierten Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften“ durch die Medien. Ein interessanter Kritikpunkt betrifft das Registrierungsverfahren für Ethik-Kommissionen, darauf will ich hier aber nicht eingehen, sondern vielmehr die Kritik an der geplanten Regelung zu Arzneimittelprüfungen an Nichteinwilligungsfähigen aufgreifen. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass künftig unter bestimmten Voraussetzungen beispielsweise Demenzkranke in Studien einbezogen werden können, auch wenn sie den Sinn des Ganzen nicht mehr verstehen und selbst nicht von dieser Forschung profitieren. Sie tragen dann zwar die Risiken der Arzneimittelprüfung, haben aber nichts davon und können diese Abwägung nicht selbst treffen – oder doch? Die entsprechende Vorschrift lautet:
„Bei einer volljährigen Person, die nicht in der Lage ist, Wesen, Bedeutung und Tragweite der klinischen Prüfung zu erkennen und ihren Willen hiernach auszurichten, darf eine klinische Prüfung im Sinne des Artikels 31 Absatz 1 Buchstabe g Ziffer ii der Verordnung (EU) Nr. 536/2014, die ausschließlich einen Nutzen für die repräsentierte Bevölkerungsgruppe, zu der die betroffene Person gehört, zur Folge haben wird (gruppennützige klinische Prüfung), nur durchgeführt werden, soweit eine Patientenverfügung nach § 1901a Absatz 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches die gruppennützige klinische Prüfung gestattet.“
Die gute Absicht bei der Regelung ist, dass man Arzneimittelprüfungen auch in fortgeschrittenen Phasen einer Demenzerkrankung oder vergleichbaren Fällen ermöglichen will, um künftig anderen Patient/innen besser helfen zu können. Es geht also um „fremd- bzw. gruppennützige“ Forschung. Die Kritik daran ist motiviert durch Art. 1 des Grundgesetzes: Der Schutz der Menschenwürde verbietet es, Menschen zu einem bloßen Objekt für die Zwecke anderer zu machen, auch dann, wenn es sich wie in diesem Fall um einen guten Zweck handelt. Dieser Vorbehalt wird bestärkt durch die Befürchtung, dass man damit eine slippery slope-Situation schafft, die über kurz oder lang den Weg zur medizinischen Forschung mit Nichteinwilligungsfähigen auch zu allen möglichen anderen Zwecken ebnen und die betroffenen Menschen somit zur biologischen Experimentalsubstanz degradieren könnte.
Die Befürworter der neuen Regelung argumentieren, dass solchen Befürchtungen durch die Verpflichtung auf eine vorherige Einwilligung der Betroffenen in einer Patientenverfügung wirksam begegnet wird. Die Kritiker antworten darauf wiederum, dazu sei eine Patientenverfügung nicht da, diese solle nur festlegen, welche Heilbehandlungen im Falle der nicht mehr gegebenen Einwilligungsfähigkeit durchgeführt werden dürfen und welche nicht, sie könne aber nicht Forschungsvorhaben abdecken, z.B. weil deren Risiken zum Zeitpunkt der Patientenverfügung noch gar nicht absehbar sind.
Über wie viel Ungewissheit für seine Zukunft kann ein Mensch also vorab eine Entscheidung treffen? Und wie viel Schutz vor Ungewissheit ist nötig, damit es noch eine „informierte Einwilligung“ ist?
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