Wie jedes Praxisfeld, in dem es um das „Wie“ des Miteinanders geht, ist auch Public Health, die öffentliche Gesundheit, durchsetzt von ethischen Problemen. Manche davon waren hier auf Gesundheits-Check auch schon Gegenstand der Diskussion: Soll man bei der Masernimpfung weiter auf die informierte Entscheidung der Menschen setzen oder eine Impfpflicht einführen? In welchem Umfang darf das Rauchen in öffentlichen Räumen eingeschränkt werden? Dürfen Pharmakonzerne für Medikamente finanziell in Anschlag bringen, was der Markt hergibt, oder erst kürzlich: Unter welchen Voraussetzungen sind Arzneimittelprüfungen an Nichteinwilligungsfähigen vertretbar?
Die gängigen medizinethischen Richtlinien, etwa der berühmte Hippokratische Eid (oder etwas moderner: die Prinzipien von Beauchamp und Childress), stellen für die Diskussion solcher Problemlagen keine ausreichende Grundlage dar. Sie sind zu sehr am individuellen Arzt-Patientenverhältnis festgemacht und greifen nicht recht auf Bevölkerungsebene. Public Health hat seine ganz eigenen, darüber hinausgehenden ethischen Konfliktfelder. Immer wiederkehrend geht es dabei z.B. um die Abwägung zwischen dem – tatsächlichen oder vermeintlichen – Wohl der Bevölkerung und individuellen Freiheiten. In den letzten Jahren hat das Bewusstsein dafür stetig zugenommen und begleitend dazu die Menge der Veröffentlichungen.
In diesen Tagen erscheint der Sammelband „Ethik in den Gesundheitswissenschaften“, den ich zusammen mit dem Philosophen Peter Schröder-Bäck, der an der Universität Maastricht lehrt und von dem Thema viel mehr versteht als ich, herausgeben durfte. Bei einem Sammelband denken und schreiben zwar vor allem andere, aber er macht trotzdem eine Menge Arbeit: Man muss ein Konzept entwickeln, den Verlag überzeugen, Autor/innen ansprechen, die Autor/innen bei der Stange halten (so manchem fällt zwischendurch oder kurz vor Abgabetermin auf, dass ihm die Zeit zum Schreiben fehlt), die Artikel gegenlesen, Änderungen vorschlagen, alles gefühlte 10 Mal korrekturlesen und nicht zuletzt die Nerven behalten, wenn der Abgabetermin rutscht (was bei Sammelbänden regelmäßig der Fall ist). Aber wenn man ein fertiges Buch dann in den Händen hält, ist es auch immer wieder schön. Jetzt ist es so weit.
Der Band versammelt im ersten Teil grundlegende philosophische Positionen, etwa zum normativen Gehalt des Gesundheitsbegriffs, zur Gerechtigkeit in Gesundheitsfragen oder zum Risikobegriff. Der zweite Teil geht dann auf konkrete Praxisfelder von Public Health ein, von der Suchtprävention über die Begutachtung in der Sozialmedizin bis hin zur aktuellen Flüchtlingsthematik. Ob wir etwas Brauchbares hingekriegt haben, müssen die Leser und Leserinnen sagen, da bin ich natürlich befangen. Und wer statt 420 Seiten erst mal mit etwas weniger anfangen will, dem sei das Buch „Ethische Prinzipien für die Public-Health-Praxis“ empfohlen, das Peter Schröder-Bäck vor zwei Jahren veröffentlicht hat. Es ist halb so dick, aber doppelt so anspruchsvoll.
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