Kritik an schlechten Studien, insbesondere die Diskussion von Verzerrungen durch kleine Fallzahlen, fehlende Verblindung, ungeeignete Auswertungsverfahren, selektives Publizieren oder interessengeleite Sichtweisen sind auf Scienceblogs und auch hier auf Gesundheits-Check immer wieder Thema. Berühmt, aber für die Praxis der Gesundheitsforschung erstaunlich folgenlos geblieben ist der Artikel von John Ioannidis “Why Most Published Research Findings Are False”, von der Vielzahl der Artikel, die er sonst dazu schreibt, ganz zu schweigen. Auch den Streit zwischen Jürgen Windeler und Harald Walach, den wir hier vor kurzem kommentiert haben, kann man als Frage danach verstehen, wie man nutzlose Forschung vermeidet und ob dabei ein Gegensatz zwischen methodischer Güte und Anwendungsnähe existiert.
Junk Science in den Gesundheitswissenschaften ist ein ernstes Problem. Nicht nur, wenn bewusst manipuliert wird, sondern auch, wenn Studien gut gemeint, aber schlecht gemacht sind. Schon allein die Masse an Studien, die den Blick auf die Tatsachen verstellen, ist ein Problem. Sie erschwert es erheblich, Evidenz zum Sprechen zu bringen. Vor allem aber verschwendet nutzlose Forschung gigantische Ressourcen – die Schätzungen gehen in dreistellige Milliardenbeträge – und führt, wenn zur Anwendungsreife gebracht, zu nutzlosen oder schädigenden Behandlungsverfahren.
Vor zwei Jahren gab es im Lancet, einer der führenden Medizinzeitschriften, eine Serie mit Beiträgen zum Thema „increasing value, reducing waste“ – nach Registrierung übrigens kostenfrei zugänglich. Einer der Protagonisten dieser Debatte im deutschsprachigen Raum, Ulrich Dirnagl, Direktor des Zentrums für Schlaganfallforschung an der Charité in Berlin, hat darüber gestern abend im Rahmen des Münchner Public Health Forums referiert und eine Fülle an empirischen Evaluationen zur Qualität von Studien präsentiert. Dabei hat er sich auf vorklinische Forschung, also „Mäuseforschung“, konzentriert. Ulrich Dirnagl ist einer der wenigen biomedizinischen Spitzenforscher, die auch bloggen. Auf seinem Blog „To infinity, and beyond!“ kann man vieles aus der Debatte zu nutzloser biomedizinischer Forschung nachlesen.
Bleibt die Frage: Wenn wir inzwischen so viel über waste in der Forschung wissen, warum dreht sich dieses Rad immer weiter? Klar, weil Forscher, die Karriere machen wollen, auf Teufel komm raus veröffentlichen müssen, weil Zeitschriften am liebsten sensationelle Entdeckungen veröffentlichen, weil der impact factor falsche Anreize setzt, weil die Geldgeber Ergebnisse sehen wollen usw. – aber wie bringt man dieses System auf einen besseren Kurs? Oder etwas bescheidener ansetzend: Wie kommt man bei dem Thema zu einer Debatte in Deutschland, die Einfluss auf die Methodenausbildung an den Universitäten, auf die Karriereanforderungen für Wissenschaftler oder die Wissenschaftsförderung hat? Was kann die Wissenschaftskommunikation dazu beitragen?
Nachtrag
Das Netzwerk Evidenzbasierte Medizin macht dazu eine Veranstaltung am 2. September 2016, siehe Programm
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