Vor einem Jahr ging es hier auf Gesundheits-Check um die Stellungnahme der Leopoldina (Nationale Akademie der Wissenschaften), der acatech (Deutsche Akademie der Technikwissenschaften) und der Union der Deutschen Akademien der Wissenschaften zur Situation von Public Health in Deutschland. Das etwas wild komponierte Papier hatte damals kontroverse Kommentare hervorgerufen, aber auch eine – längst überfällige – Diskussion zur Weiterentwicklung von Public Health in der scientific community angestoßen.
Ein Zwischenergebnis ist ein unter der Federführung des Robert Koch-Instituts entstandenes „White Paper“, mit dem man insbesondere mit der Gesundheitspolitik ins Gespräch kommen will. Das Papier enthält neben einem kurzen Problemaufriss, worum es bei Public Health geht, auch eine Reihe konkreter Vorschläge:
• Den Öffentlichen Gesundheitsdienst durch mehr Personal stärken
Der ÖGD ist in der Tat durch einen kontinuierlichen Personalabbau ziemlich auf den Hund gekommen. Das gleiche gilt übrigens auch für die Arbeitsschutzbehörden und andere Bereiche des staatlichen Gesundheitsschutzes. Hier endlich wieder etwas mehr zu investieren, wäre wirklich notwendig.
• Schools of Public Health stärken
Gemessen am Stellenwert der Gesundheit der Bevölkerung und dem, was sie gefährdet oder fördert, gibt es in Deutschland erstaunlich wenig interdisziplinäre Einrichtungen für Forschung und Lehre in Public Health. Das White Paper fordert eine Erhöhung der Zahl der Schools of Public Health auf 6 bis 8 mit einer gesicherten Mindestausstattung – sicher keine überzogene Forderung.
• Gewinnung von Fachkräften für die Öffentliche Gesundheit
Mit Blick auf den Nachwuchs soll Public Health auch direkt an den medizinischen Fakultäten besser als bisher verankert werden. Warum nicht. Ärzte dürfen ruhig wieder etwas mehr sozialmedizinisch denken.
• Forschung fördern
Schon bei den beiden letztgenannten Punkten stand die Stärkung der wissenschaftlichen Infrastruktur für Public Health im Mittelpunkt. Das weiterführend, mit Blick auf die Vernetzung von Forschung und Praxis, wird ein BMBF-Förderprogramm “Public Health Partnership” vorgeschlagen. Auch dagegen kann man eigentlich nichts haben.
• Verlässliche Daten schaffen
Ohne Daten gibt es keine Forschung. Das gilt auch für Public Health. Das White Paper fordert daher ein Forschungsdatengesetz, um vorhandene Daten für die Forschung besser zu erschließen. Angesichts des ungenutzten Datenreichtums und der bisher unüberwindbar fragmentierten Datenbestände unseres Gesundheitswesens wäre das nur zu begrüßen.
• Gesundheitsthemen effektiv kommunizieren
Unter diesem Stichwort wird darauf Bezug genommen, dass die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung von verlässlichen Informationen abhängt. Dem ist so, wobei für die Gesundheitskompetenz der Politik das Gleiche gilt und von deren Handeln mindestens genauso viel abhängt wie vom gesundheitlich aufgeklärten Handeln der Einzelnen.
Das White Paper muss man wohl, wie schon die Stellungnahme der Wissenschaftsakademien, als Teil eines Orientierungsprozesses sehen, der noch nicht abgeschlossen ist. Es thematisiert vor allem die Forschungsinfrastruktur, während die gesellschafts- und gesundheitspolitischen Voraussetzungen für mehr Gesundheit und für mehr Gleichheit von Gesundheitschancen am Ende des Papiers im Abschnitt „Gesundheit und Wohlbefinden durch Politik verbessern“ bestenfalls vage angedeutet werden. Wenn man von der Politik Geld will, ist das taktisch sicher klug. Aber mehr Forschung allein wird die soziale Kluft in Deutschland mit ihren unübersehbaren gesundheitlichen Folgen – 10 Jahre Unterschied in der Lebenserwartung zwischen arm und reich – nicht vermindern. Sie wird die prekären Arbeitsbedingungen in manchen Branchen nicht verbessern, die Verkehrsplanung nicht gesundheitsbewusster machen oder mehr gesundheitlichen Verbraucherschutz bringen. Nicht immer mangelt es an Wissen, oft genug geht es um handfeste Interessen. Auch etwas mehr ÖGD wird da nicht helfen. Insofern hätte man das Papier vielleicht mit einer bescheideneren, auf Forschung fokussierenden Überschrift versehen sollen. Oder man versteht die Überschrift „Public Health – Mehr Gesundheit für alle. Ziele setzen – Strukturen schaffen – Gesundheit verbessern“ als Ankündigung der noch folgenden bunten Papiere auf dem langen Weg einer solchen anspruchsvollen und in der Verwirklichung dann auch gesellschaftlich konfliktträchtigen Programmatik.
Wie dem auch sei: Da bekanntlich auch lange Wege mit den ersten Schritten beginnen und Wege im Gesundheitswesen immer steinig sind, wäre die Umsetzung der Vorschläge aus dem White Paper auf jeden Fall ein hoffnungsvoller Anfang.
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