Sie wissen nicht, was ein „Mausdoadschmatzer“ ist? Die Leute in Niederbayern, also die Ureinwohner der Südostecke Bayerns, bezeichnen damit jemanden, der einen oder etwas mausetot redet. So ähnlich kommt mir langsam der akademische Betrieb der Sozialepidemiologie vor. Jahrein jahraus produziert sie Studien, die zeigen, dass die unteren Sozialstatusgruppen bei fast allen Krankheiten und vielen Risikofaktoren stärker betroffen sind. Sie haben mehr Depressionen, sie rauchen häufiger, sie kriegen öfter einen Herzinfarkt, sie sterben früher. Nichts Neues, das kennt man seit mehr als 200 Jahren. Regt es eigentlich noch jemanden auf?

Tonnenweise gibt es dazu Nachweise, Generationen von Studierenden machen dazu ihre Abschlussarbeiten, auch in den amtlichen Gesundheitsberichten gehört das Thema längst zum Inventar und das kürzlich in Kraft getretene Präventionsgesetz verpflichtet die Krankenkassen verwaltungstechnisch nüchtern sogar zur „Verminderung sozial bedingter Ungleichheit von Gesundheitschancen“. Aber spricht man in der Sozialepidemiologie vernehmbar über die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ursachen, oder sagt gar jemand „Empört Euch!“? Die Trumps dieser Welt scheinen mir jedenfalls nicht die richtige „voice“ für dieses Thema zu sein.

Nächstes Jahr, am 16. Und 17. März, findet in Berlin wieder der Kongress „Armut und Gesundheit“ statt. Zum 22. mal. Man kann ab sofort Beiträge einreichen. Bleibt zu hoffen, dass auch welche dabei sein werden, die aufrütteln, die unbequem sind, den Finger in die Wunde legen. Damit es nicht ein Kongress der Mausdoadschmatzer wird.

Kommentare (8)

  1. #1 Alisier
    12. August 2016

    Netter Ausdruck. Muss ich mir merken, auch wenn es mit der Aussprache hapern wird.
    Und Trump und viele andere würden sagen (und denken), dass es doch kein Beinbruch ist, wenn die Loser dieser Welt, die vom Leben eh nicht viel haben, möglichst schnell verschwinden.
    Solche Sprüche nehme ich auch hier zunehmend wahr, wobei ich vermute, dass sich viele inzwischen gestärkt und motiviert fühlen, das, was man ja nicht sagen darf, möglichst lautstark herauszubrüllen.

  2. #2 Nordlicht_70
    12. August 2016

    Wir hier im Norden sind nicht so kompliziert. Hier heißt es schlicht “Schnacker”. 🙂

  3. #3 RPGNo1
    12. August 2016

    “Mausdoadschmatzer”? Klingt irgendwie niedlich, harmlos, auch wenn es so sicherlich nicht gemeint ist.
    Ich würde in etwas derberer und direkter Art übrigens “Dummschwätzer” sagen.

  4. #4 Rene F.
    12. August 2016

    Interessant wäre noch, ob es sich dabei um zufällige Korrelationen handelt oder ob Ursachen-Wirkungs-Zusammenhänge nachgewiesen sind.

    @RPG:
    “Ich würde in etwas derberer und direkter Art übrigens “Dummschwätzer” sagen.”

    Obwohl des Niederbayerischen nicht mächtig, glaube ich nicht, dass “Dummschwätzer” ein geeignetes Synonym ist. Dummschwätzen kann man auch sehr kurz, wohingengen das “Totreden” wohl eher damit zu tun hat, über etwas so lange zu sprechen, auch undumm, bis es “zerredet” ist.

  5. #5 RPGNo1
    12. August 2016

    Wenn das gleiche schon tausendmal gesagt, also zerredet wurde, dann kann man schon auf derbere Steigerung “Dummschwätzer” kommen. Ansonsten hast du nicht ganz Unrecht, der Begriff ist möglicherweise nicht hundertpro passend.

  6. #6 Joseph Kuhn
    12. August 2016

    @ Rene F.:

    “Interessant wäre noch, ob es sich dabei um zufällige Korrelationen handelt oder ob Ursachen-Wirkungs-Zusammenhänge nachgewiesen sind.”

    Sie meinen zwischen sozialer Lage und Gesundheit? Da geht es in der Regel nicht um zufällige Korrelationen. Der Zusammenhang kann aber sehr unterschiedlich zustande kommen. Beispielsweise haben Angehörige der unteren Sozialstatusgruppen öfter gefahrengeneigte Berufe und so ein höheres Unfallrisiko, sie rauchen öfter und bekommen daher häufiger Lungenkrebs, sie wohnen öfter an verkehrsreichen Straßen und bekommen daher häufiger Herzinfarkte, sie ernähren sich anders und sind daher häufiger adipös usw. usw. Es gibt aber auch direktere Zusammenhänge, bis in die Epigenetik hinein. Über den Link oben zu den amtlichen Gesundheitsberichten können Sie sich in das Thema einlesen.

    In der Summe: In der Einkommensgruppe unterhalb von 60 % des Durchschnittseinkommens ist die Lebenserwartung 10 Jahre niedriger als in der Einkommensgruppe mit 150 % und mehr des Durchschnittseinkommens. Wen kümmert’s wirklich? Jedes Fussballfoul weckt mehr Emotionen.

  7. #7 Dr. Webbaer
    18. August 2016

    Es liegt halt in der Natur der Sache, dass Vermögende mehr Geld in ihre Gesundheit investieren können.
    Zudem gibt es bedauerlicherweise in der Unterschicht selbstzerstörerische Tendenzen, die im Artikel auch angedeutet wurden.
    Empörung darf dbzgl. Sozialisten überlassen bleiben.

    MFG
    Dr. Webbaer (der natürlich dem Kongress nur das Beste wünscht, vielleicht schaut ja Butterwegge mal vorbei)

  8. #8 Joseph Kuhn
    8. September 2016

    “Empörung darf dbzgl. Sozialisten überlassen bleiben.”

    Das Thema sollte jeden umtreiben, gerade auch (selbsternannte) Liberale, wenn sie nicht bei der geistlosen Plattitüde “Jeder ist seines eigenes Glückes Schmied” (zu deutsch: “was gehen mich die andern an?”) stehen bleiben wollen.