Dass „natürlich“ nicht einfach gleichzusetzen ist mit „gesund“, sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Kinderlähmung, Pilzvergiftung oder Sonnenbrand: alles natürlich und doch nicht wirklich gesund. Gestern kam in der ARD– wieder einmal – eine Sendung über Asbest. Auch Asbest gehört in gewisser Hinsicht in die Kategorie der natürlich ungesunden Dinge, zumindest das Ausgangsmaterial. Es ist eine „Naturfaser“, der Grundstoff sind Silikat-Minerale, die bergmännisch abgebaut und anschließend industriell aufbereitet werden. Asbest ist seit 1993 in Deutschland verboten, aber nach wie vor allgegenwärtig: in alten Eternitplatten, Fußböden, Betonwänden und vielem mehr.
Seit langem weiß man, dass Asbest extrem gesundheitsschädlich ist und z.B. Atemwegserkrankungen wie die Asbestose und Lungenkrebs verursacht, aber auch das Mesotheliom, eine zwar eher seltene Krebserkrankung, aber eine mit recht ungünstiger Prognose. Das Robert Koch-Institut gibt in der Broschüre „Krebs in Deutschland 2011/2012“ die relative 5-Jahresüberlebensrate mit derzeit 9 Prozent bei Männern und 17 Prozent bei Frauen an. Das Mesotheliom ist fast immer auf eine Asbestexposition zurückzuführen. Im Jahr 2014 sind in Deutschland 1.428 Menschen an einem Mesotheliom gestorben. Die Zahl der Sterbefälle nimmt zu, ebenso die Zahl der Neuerkrankungen (2003: 1.209, 2014: 1.474).
Das Gleiche gilt auch für andere asbestbedingte Erkrankungen und Sterbefälle. Die Latenzzeiten sind dabei sehr lang, die Erkrankungen treten oft erst nach Jahrzehnten auf und sind dementsprechend schwierig als sog. „Berufskrankheit“ nachzuweisen. Berufskrankheiten sind versicherungsrechtliche Konstrukte, jede Berufskrankheit ist als Listenkrankheit konkret definiert und die Anerkennung an sehr spezifische Voraussetzungen geknüpft. Vor allem muss die Krankheit kausal mehr oder weniger zweifelsfrei auf eine Exposition bei einer versicherten Tätigkeit zurückzuführen sein. Im Jahr 2014 waren mehr als 60 % der knapp 2.500 Sterbefälle, die auf eine anerkannte Berufskrankheit zurückgingen, auf die Berufskrankheiten Nr. 4103, 4104 und 4105 zurückzuführen – das sind die wichtigsten asbestbedingten Berufskrankheiten (Asbestose, Lungen-/Kehlkopfkrebs, Mesotheoliom). Auch die anerkannten Berufskrankheiten infolge von Asbest nehmen zu. Eine schon über 10 Jahre alte Hochrechnung aus dem Jahr 2003 prognostizierte den Gipfel der anerkannten Berufskrankheiten infolge von Asbest für die nun kommenden Jahre, bisher hat sich die Wirklichkeit weitgehend an die Prognose gehalten.
So natürlich der Ausgangsstoff ist, seine Verarbeitung und Verwendung sind es nicht. Wie so oft, wenn Gesundheitsschutz und Gewinne gegeneinander stehen, wurden auch beim Thema Asbest die Gefahren lange heruntergespielt bzw. politisches Handeln verhindert. In den heutigen Hauptproduktions- und Anwendungsländern wie Russland oder China wird das vermutlich auch weiterhin so sein. Wie die Zigarette ist Asbest eine hochgefährliche Mischung aus Natur, Industrie und Kommerz, wie bei den Zigaretten hat man auch hier lange Zeit lieber verharmlost als mutig aufgeklärt und rechtzeitig reguliert.
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