Die Bürokratie war für Max Weber noch die „rationale Form der Herrschaft“, in Abgrenzung zum vormodernen, feudalen, durch persönliche Launen der Fürsten oder religiöse Traditionen geprägten Herrschaftstypus. Für unser marktwirtschaftliches Gegenwartsdenken ist Bürokratie dagegen geradezu der Inbegriff des Irrationalen, eine Parallelwelt, in der alles unflexibel und ineffizient zugeht, verkrustet, bewohnt von grauhosigen Ärmelschoner-Existenzen, die vorzugsweise Kaffee trinken und mitgebrachtes Butterbrot aus der Plastikdose verzehren, bevor sie den Bürgern das Leben schwer machen. Und das alles im Schutz der Unkündbarkeit. Beamte halt.
Dieses Gegenbild erfüllt vermutlich eine wichtige Funktion für die Ideologie der Überlegenheit der freien Wirtschaft, in der tatkräftige Unternehmer energisch zupacken, hochmotivierte Beschäftigte nächtelange an Lösungen für den Kunden tüfteln und ständig wachsenden Wohlstand schaffen. Egal, was die Medien über Dieselskandale, dubiose Bankengeschäfte oder irrwitzige Erfahrungen mit Telefonfirmen oder Autowerkstätten berichten – heute ist der Markt die rationale Form der Herrschaft. Dem steht die Bürokratie gegenüber, eine einzige Last für die ehrlich arbeitende Bevölkerung, und damit sind Politik, Staat und Verwaltung immer gleichermaßen gemeint – alles eins, Max Weber würde sich im Grabe umdrehen.
Natürlich gibt es immer wieder kuriose Geschichten aus der Bürokratie, hier einmal verstanden als öffentliche Verwaltung. Jeder kennt unverständliche Behördenschreiben, nicht nachvollziehbare Gebührenbescheide und, klar, auch Beamte, die jedes gängige Vorurteil bestätigen. So manche Stammtischparole ist aber auch Bürokratie-Mythologie. Zwei Meinungen, die ich immer wieder mal höre, seien hier kurz kommentiert.
Gerade klassisch ist die Behauptung, in der Verwaltung ginge es locker zu, weil sich niemand Gedanken um seinen Arbeitsplatz machen müsse. Schaut man sich aber einmal an, wie hoch heute der Anteil befristeter Arbeitsverträge in der öffentlichen Verwaltung ist, so liegt er mit 10,7 % über dem Durchschnitt aller Wirtschaftszweige (9,3 %). Auch andere Datenquellen, z.B. das IAB-Betriebspanel, kommen zum gleichen Befund. In manchen Bereichen der öffentlichen Verwaltung werden Neueinstellungen fast nur noch befristet vorgenommen. Der Vergleich ist nicht ganz fair, weil unbefristete Arbeitsverträge in der freien Wirtschaft nicht selten trotzdem recht unsicher sind, das ist in der öffentlichen Verwaltung in der Tat anders. Wer dort keine goldenen Löffel klaut, für den bedeutet „unbefristet“ wirklich unbefristet – wenn er denn so weit kommt.
Als zweites Beispiel sei der Krankenstand in der öffentlichen Verwaltung angesprochen. Wenn ich in Vorträgen Grafiken zum Krankenstand nach Wirtschaftszweigen zeige und frage, warum die öffentliche Verwaltung einen vergleichsweise hohen Krankenstand hat, höre ich oft als erstes: wegen der Beamten. Aber die Beamten sind in solchen Krankenkassen-Statistiken gar nicht enthalten. Dort geht es um die Angestellten und Arbeiter. Der Wirtschaftszweig „Öffentliche Verwaltung, Sozialversicherung“ umfasst dabei nach der zugrunde liegenden „Klassifikation der Wirtschaftszweige“ ein breites Spektrum von Dienststellen, von Finanzämtern über Autobahnmeistereien bis zu den Feuerwehren, eine bunte Mischung also mit teilweise hohen Belastungen und keinesfalls nur „öffentlich finanzierte Schonarbeitsplätze“.
Dass sich hier auch die – für die unbefristet Beschäftigten – größere Arbeitsplatzsicherheit auswirkt, wird wohl zutreffen. Ein weiterer Grund ist das höhere Durchschnittalter der Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Ältere Beschäftigte haben in allen Branchen einen höheren Krankenstand als jüngere.
Aber trotzdem, die Beamten, die haben es doch gut, hört man oft. Das stimmt auch. Es ist ein Privileg – gegenüber anderen abhängig Beschäftigten, nicht gegenüber den wirklich Privilegierten dieser Gesellschaft -, wenn man praktisch unkündbar ist und die Pensionen deutlich höher sind als die gesetzlichen Renten. Die Fehlzeiten der Beamten, um beim Thema zu bleiben, unterscheiden sich allerdings kaum von denen der Tarifbeschäftigten. In Bayern beispielsweise liegen sie bei den unteren Gehaltsgruppen etwas darunter, in den höheren etwas darüber, wobei wiederum zu bedenken ist, dass die höhergruppierten Beamten im Schnitt etwas älter sind. Es wäre interessant, das einmal altersstandardisiert zu vergleichen.
Wie gesagt: Nicht, dass es an der öffentlichen Verwaltung und ihren Insassen nichts zu kritisieren gäbe, aber man sollte darauf achten, wo man es zu Recht tut und wo nicht.
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