Im aktuellen SPIEGEL 47/2016 ist ein Leitartikel von Markus Feldenkirchen über die Lehren aus der Wahl Trumps für die Linken. Seine Grundaussage, dass sich die Linken zu wenig um die soziale Spaltung der Gesellschaft gekümmert haben, kann man guten Gewissens unterschreiben, aber da dieser triviale Satz zu wenig für einen Leitartikel gewesen wäre, hat er ihn mit einem bemerkenswerten Geschwurbel aus Besserwisserei und Gedankenlosigkeit zu einem im Wortsinn einseitigen Artikel aufgeblasen.
„Das Gejammer deutscher Politiker über den Erfolg von Donald Trump ist ebenso ermüdend wie sinnlos. Es wäre an der Zeit, endlich die richtigen Lehren daraus zu ziehen, mit kühlem, selbstkritischen Blick.“
Die im Nachhinein so klugen und offene Türen einrennenden Ratschläge deutscher Journalisten über den Erfolg von Donald Trump und die daraus zu ziehenden Lehren sind ebenso ermüdend wie sinnlos. Dass die soziale Spaltung der Gesellschaft ein Problem ist, wusste man schon vorher, sogar im SPIEGEL konnte man das immer wieder lesen, wie auch das Gegenteil, wie der SPIEGEL halt so ist. Und dass man „Lehren“ aus der Sache ziehen muss, ist vermutlich einer der meistgeschriebenen und folgenlosesten Sätze dieser Tage.
„Trump errang seine höchste Zustimmung bei Leuten mit geringer Bildung. Viele seiner Wähler sind Verlierer der wirtschaftlichen Entwicklung oder halten sich dafür. Es ist ein Trend, der nicht nur die USA beherrscht, man kennt ihn aus Frankreich, England oder Mecklenburg-Vorpommern.“
Das stimmt halbwegs und das wurde inzwischen gefühlt tausendmal festgestellt. Wobei es sich speziell im Hinblick auf die Anhängerschaft Trumps auch lohnt, einmal auf die Einkommensverteilung zu schauen, z.B. anhand der in der New York Times berichteten Exit Polls: Demnach fand Trump nämlich vor allem bei der gut verdienenden Mittelschicht viel Zustimmung. Die brisante Kombination aus wirklich Abgehängten und reaktionären Besitzstandswahrern kennzeichnet auch die AfD. Das ist dort noch nicht ausgegoren und wird wohl noch zu interessanten Entwicklungen führen.
Trump „[….] hat Millionen Arbeitern, Handwerkern, Verkäufern, Polizisten oder einfachen Angestellten, den kleinen Leuten also, jene Aufmerksamkeit geschenkt, die sie von den Demokraten nicht mehr bekommen haben. Er hat ihr Selbstbewusstsein beflügelt, zumindest ein Bewusstsein ihrer selbst als Gruppe.“
Die kleinen Leute einerseits, aber, wie gesagt, auch die Besserverdienenden andererseits. Eint die jetzt wirklich ein gemeinsames Bewusstsein ihrer selbst als Gruppe? Und gab es die Tea Party und andere reaktionäre Milieus mit beflügeltem Selbstbewusstsein nicht schon vorher? Und warum adressiert Feldenkirchen den Vorwurf, diese Leute seien vergessen worden, nur an die Demokraten als vermeintlichen Linken (Trump hat sie zu Recht als Vertreter der Wall Street gesehen) und nicht auch an die Republikaner unter Bush, Gingrich & Co.?
„Aber auch in Deutschland gibt es viele, die sich von der politischen Linken vergessen, wenn nicht gar verraten fühlen – sei es durch die Agenda 2010, durch die mitgetragene Rettung der Banken oder den apathischen Umgang mit jener Entwicklung, wonach die Herkunft immer stärker über die Lebenschancen entscheidet.“
Völlig richtig. Aber warum müssen sich diese Gruppen angesichts der Gründe, die Feldenkirchen nennt, nur von den Linken verraten fühlen? Waren die anderen etwa gegen die Bankenrettung? Oder für ein sozialintegratives Bildungssystem, z.B. kostenlose Kita-Betreuung oder Ganztagsschulen?
Wie dem auch sei, jedenfalls schließt Feldenkirchen messerscharf:
„Weil die politische Linke die soziale Frage lange links liegen ließ, suchen immer mehr Wähler ihr Glück bei den Rechten.“
Das ist die unreflektierte Widerspiegelung (Vorsicht, Wortspiel!) der falschen Hoffnung der Leute. Wo bleibt in dieser Anordnung von Linken und Rechten eigentlich das liberale und konservative politische Spektrum? Ließ man dort nicht auch die soziale Frage links oder rechts liegen? Falls ja, ist dann die Schlussfolgerung Feldenkirchens eigentlich noch so schlüssig?
„Hinzu kommt, dass es vor allem Sozialdemokraten wie Gerhard Schröder oder Peer Steinbrück waren, die mit der Annahme hochbezahlter Jobs bei Banken oder Gasfirmen auch in Deutschland den Eindruck nährten, den politischen Eliten gehe es in erster Linie ums eigene Wohl.“
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