Bei Jürgen nebenan gibt es gerade eine Diskussion über die Rolle der sozialen Medien im Ringen um saubere Information. Das ist ja gerade ein großes Thema. Dazu passend kündigt das Journalistenkollektiv CORRECTIV jetzt an, eine Vereinbarung mit Fakebook getroffen zu haben, um „auf dieser zentralen Social Media Plattform Nachrichten auf Fake-News zu überprüfen.“ Mir kommt das zwar vor wie der Versuch, alle Telefonnummern aus dem Telefonbuch zu löschen, aber bitte. Ehrenwerter als die Telefonbuchzensur ist das allemal.
In der Begründung von CORRECTIV, die heute per Newsletter verschickt wurde, heißt es unter anderem:
“Vor drei Wochen erschien auf der Online-Nachrichtenseite „AWD News“ die Meldung, der ehemalige israelische Verteidigungsminister Moshe Yaalon habe Pakistan für den Fall der Entsendung seiner Truppen nach Syrien mit der atomaren Vernichtung des Landes gedroht. Pakistans Verteidigungsminister Khawaja Asif nahm die Nachricht offenbar ernst und drohte daraufhin seinerseits über Twitter mit dem Einsatz von Atomwaffen. Israels Verteidigungsministerium erwiderte – ebenfalls auf Twitter –, die ganze Sache entbehre jeglicher Grundlage. Pakistan nahm dies zur Kenntnis. Abgehakt. Manche bezeichneten dies als die gefährlichste Lüge des Jahres. Auf jeden Fall ist sie eines von vielen Beispielen, die zeigen, wie gefährlich Fake-News sein können.“
Noch ein Beispiel aus dem Newsletter:
“Nach Silvester berichtete das US-Online-Medium Breitbart über seinen englischen Kanal, ein 1000-köpfiger Mob von Flüchtlingen habe in Dortmund die älteste Kirche Deutschland in Brand gesteckt. Alle diese Nachrichten sind bedrohlich. Einige kommen aus der Gesellschaft und sind einfach nur dumm, ohne schwerwiegende Folgen. Andere, und das ist viel gefährlicher, kommen von außen, besitzen einen wahren Kern, um den herum eine kleine Lüge gebaut wird, die der Hetze dient. Letztere Fake-News nutzen bewusst Schwachstellen unserer Demokratie, wirken wie eine Art kriegerische Handlung gegen unsere zivile Gesellschaft. Die Breitbart-Meldung beispielsweise ist im Kern richtig. Es gab etwa 1000 Migranten, die durch Dortmund gezogen sind, Polizisten bedroht haben und teilweise randalierten. Aber mitnichten war es ein islamistischer Mob, der eine christliche Kirche mitten in Deutschland niedergebrannt hat. Tatsächlich ist eine Rakete in eine Plane einer Baustellenabdeckung geflogen und hatte diese für wenige Minuten entzündet.“
Und das Fazit von CORRECTIV:
“Eine demokratische Gesellschaft hat dabei nur eine Chance: Sie muss Aufklärung betreiben. Selbst kann sie sich nicht in einen Informationskrieg begeben. Wir Journalisten sind jetzt gefragt. Wir müssen unser Wissen weitergeben, müssen zeigen, wie wir arbeiten, müssen unsere Quellen und Fakten präsentieren.
(…)
Bleiben wir bei Facebook. Man kann nicht jede Fake-Meldung auf Facebook löschen. Aber man sollte sie als solche – auch rückwirkend in die Vergangenheit hinein – als Falschmeldung markieren! Mit einem deutlich sichtbaren Button, hinter dem sich die Fakten zur behaupteten Geschichte finden lassen. (…) Wir löschen nichts – schon gar nicht in sozialen Medien oder auf Facebook. Dies wäre ein zu großer Eingriff. Das Markieren ist auch keine Zensur. Im Gegenteil: Zensur ist ein staatlicher Eingriff, der zur Folge hat, dass ich meine Meinung nicht mehr sagen darf. Das Markieren ist ein Instrument der Aufklärung.“
Die Lüge im Gewande der Wahrheit hat immer wieder neue Auftritte. Legendär ist das Essaybändchen „Wahrheit und Lüge in der Politik“ von Hannah Arendt aus dem Jahr 1963 – übrigens eine Kritik an den spin doctors der amerikanischen Politik. Und dass die Zeitung lügt wie gedruckt, ist auch ein altes Sprichwort. In der Wissenschaft wird der Krieg um saubere Information ebenfalls schon lange geführt. Manipulierte Pharmastudien, Einflussnahmen der Tabakindustrie oder – im Blog von Cornelius Courts gerade Thema – der Waffenindustrie auf die Forschung, pseudowissenschaftliche Machenschaften der Homöopathielobby oder der Impfgegner, all das kennen wir zur Genüge. Das Immunsystem der Wissenschaft hat darauf im Laufe der Jahre mit immer neuen Qualitätssicherungsverfahren reagiert, ganz gewiss nicht wasserdicht, aber ein deutlich sichtbares Zeichen, dass man das Problem nicht tatenlos hinnehmen will.
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