Dieselfahrzeuge sind nicht gut für die Umwelt. Aber für den Absatz war es gut, sie so erscheinen zu lassen. Wer weiß, was da im Laufe der Zeit noch auf den Tisch kommt. Dass nur VW kreative Software zur gefälligen Anzeige niedriger Abgaswerte auf dem Prüfstand eingesetzt hat, kann man sich fast nicht vorstellen. Aber VW wurde erwischt. Das kostet den Konzern allein in Amerika mehr als 20 Mrd. Dollar. Seltsamerweise wird das in Deutschland eher achselzuckend zur Kenntnis genommen, ebenso wie die Tatsache, dass die VW-Kunden hierzulande mit womöglich nicht ganz nebenwirkungsfreien Software-Updates abgespeist werden und demnächst vielleicht 80 % der Dieselfahrzeuge nicht mehr überall in die Städte dürfen.
Der Schutz von VW gehört zur Staatsraison. Da ist es aus Sicht von Dobrindt & Co. gut, wenn die enormen finanziellen Folgen der Abgas-Manipulationen in Amerika hierzulande nicht so viel Wirbel machen – und die gesundheitlichen Folgen gar nicht weiter thematisiert werden. Die gibt es nämlich auch. Vor etwa eineinhalb Jahren hatte ich hier auf Gesundheits-Check auf erste Berechnungen zur Zahl zusätzlicher Sterbefälle durch die Abgas-Manipulationen hingewiesen. Zwischenzeitlich sind ein paar mehr Studien erschienen, ganz aktuell eine von Chossière et al., einer Forschergruppe am MIT, in der Zeitschrift Environmental Research Letters.
Demnach ist durch die Abgas-Manipulationen in Europa mit zusätzlich 1.200 vorzeitigen Sterbefällen zu rechnen, allein 500 in Deutschland. Die Autoren verweisen selbst auf große Unsicherheiten in ihren Berechnungen und auch die Konfidenzintervalle bei der Zahl der vorzeitigen Sterbefälle in den einzelnen Ländern sind sehr groß. Sollte man also besser auf solche Berechnungen verzichten? Oder rücken sie durch ein ganz anderes story telling die tödlichen Dimensionen der Geschichte doch zu Recht ins Licht?
Statistische Sterbefälle sind allerdings nicht sichtbar. Da stirbt nicht Herr Müller aus der Seestraße 2 in Berlin ein Jahr früher mit bestätigter Todesursache „VW-Dieselabgase“ auf dem Totenschein. Stattdessen werden die Abgase ganz anonym hier einem älteren Mann mit vorgeschädigtem Herzen den Rest geben und dort einer jungen Bankerin, die gerne entlang einer vielbefahrenen Straße joggt, vielleicht ein paar Minuten ihres Lebens kosten.
Viele Leute werden 1.200 anonym und mehrheitlich sicher mit kleinen Zeitanteilen über die Bevölkerung verteilte Sterbefälle ganz anders beurteilen als den Tod eines konkreten Kindes infolge einer versäumten Masernimpfung. Nicht ganz zu Unrecht, aber irgendwo machen sich auch die statistischen Sterbefälle bei konkreten Menschen bemerkbar, sonst gäbe es sie nicht. Das ist beim Rauchen oder beim Bewegungsmangel nicht anders.
Wären nur 10 namentlich bekannte Menschen an den Abgas-Manipulationen gestorben, säßen die Verantwortlichen im Knast und Dobrindt wäre längst zurückgetreten. Diese konkrete Schuld auf sich nehmen zu müssen, bleibt den Manipulatoren und den Aufklärern erspart. In juristischer Hinsicht zählen statistische Tote weniger. Aber dass es um mehr als nur um Geld geht, sollte man trotzdem laut sagen, egal wie unsicher die Zahlen sein mögen. Die Bundesregierung könnte sich ja bei Bedarf um bessere bemühen. Auch der Schutz der Bevölkerungsgesundheit sollte Staatsraison sein. Schließlich schwören unsere Politiker in ihrem Amtseid, Schaden vom deutschen Volk und nicht vom deutschen Volkswagen abzuwenden.
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