Am 1. Juli 2017 veranstaltet ein „Verein zur Hilfe umweltbedingter Erkrankter e.V.“ in Nürnberg seine 12. Umwelttagung zum Thema „Umweltbelastungen und Krebs“. Im Programmflyer heißt es dazu:
„Die zwölfte Umwelttagung des VHUE e.V. befasst sich mit einer Erkrankung, die demnächst jeden Zweiten treffen wird. Die Ursachen sind in der Mehrzahl umweltbedingt, doch welche können wir noch vermeiden?
Chronische Entzündung mündet unweigerlich in die Zellentartung, und die bisherige Krebsmedizin hat es nicht vermocht, die Prozentzahl der daran Sterbenden zu senken, obwohl Milliardenbeträge geflossen sind.“
Der erste Satz verrät Unkenntnis der aktuellen epidemiologischen Situation, denn im Laufe des Lebens erkrankt bereits heute jeder Zweite an Krebs: 51 % der Männer und 43 % der Frauen, wie man den Daten des Robert Koch-Instituts entnehmen kann. Das hat vor allem damit zu tun, dass die Menschen bei uns immer älter werden und damit immer mehr in das Alter kommen, in dem Krebs auftritt. Früher sind die Leute vorher an Infektionskrankheiten gestorben, in vielen Ländern der Dritten Welt ist das immer noch so. Und dass es nicht gelungen sei, die Krebssterblichkeit zu senken, ist schlicht falsch. In praktisch allen Altersgruppen sinkt (!) die Krebssterblichkeit.
Bleiben die Umweltbedingtheit und die Prävention. Dass Krebs vor allem umweltbedingt sei, ist eine schillernde Behauptung, die viele Menschen wohl sofort an Umweltschadstoffe denken lässt, mit denen die Industrie unsere Luft und unsere Lebensmittel vergiftet. Nun gut, man kann zwei der Hauptursachen für Krebs, Tabak und Alkohol, natürlich als Umweltfaktoren betrachten. Allein auf das Konto des Tabakkonsums geht einer Studie im Lancet zufolge weltweit mindestens ein Fünftel aller Krebsfälle, in den Industrieländern liegt der Anteil deutlich höher. Dem Alkohol kann werden 5 % zugerechnet, auf das Konto einer obst- und gemüsearmen Ernährung gehen noch mal 5 %. Andere Studien kommen in der Größenordnung zu vergleichbaren Zahlen. Übergewicht und Bewegungsarmut, z.T. mit der Ernährung verbunden, sind ebenfalls relevante Krebsursachen, dann in geringerem Umfang z.B. Viren wie HPV, die Radonbelastung in manchen Regionen, Asbest, Feinstaub, die natürliche Strahlung und vieles mehr. Nicht zu vergessen die genetische Disposition sowie Mutationen, die sich im Laufe des Lebens zufällig ereignen und Krebs verursachen können.
Manche Krebsursachen sind im Prinzip leicht vermeidbar, Tabak und Alkohol beispielsweise, da ist eher die Frage, ob man diese Stoffe vermeiden will. Manches ist schwerer vermeidbar, zumindest durch individuelles Verhalten, und manches, wie genetische Dispositionen, gar nicht. Und ob man das Alter vermeiden soll, weiß ich nicht.
Aber um das Vermeiden von Krebsursachen scheint es bei der Tagung gar nicht zu gehen. Fachleute zur Tabak- und Alkoholprävention sucht man unter den Referenten vergebens. Stattdessen tritt eine illustre Runde von Therapeuten auf, etwa John Ionescu, Leiter einer „Spezialklinik Neukirchen“, die vor einiger Zeit in den Medien Aufmerksamkeit erregte, weil dort das als Arzneimittel in Deutschland nicht zugelassene Chlorbleiche-Mittel MMS des amerikanischen Quacksalbers Jim Humble zum Einsatz kam. Dann tritt ein Herr namens Mohan Bachmann auf, er vertritt die Schweizer Firma OJAS, die vor Erdstrahlen und Elektrosmog warnt und mit der „Belebung von Wasser, der Harmonisierung von geopatischen und elektromagnetischen Belastungen und der Aktivierung der positiven, natürlichen Lebenskraft im Gebäuden“ wirbt. Ob die Firma sich auch gegen Tabakkonsum engagiert, ist nicht bekannt. Ebenfalls im Tagungsprogramm: Zwei Heilpraktiker, natürlich mit Angeboten zur ganzheitlichen Therapie von was auch immer, ein „Ganzheitsmediziner“, der Hautkrebs mit „schwarzer Salbe“ aus altem indianischen Wissen bekämpfen will und ein auf elektromagnetische Felder spezialisierter Umweltanalytiker. Moderiert wird die Veranstaltung von einer Frau, die nach eigener Aussage durch elektromagnetische Felder krank geworden und aufgrund eines „isolierten Wahns“ frühberentet worden sei.
Christian Bredl, Leiter der Landesvertretung der TK Bayern, eröffnet diese Tagung und die TK fördert die Tagung ausweislich des Tagungsflyers auch. Ob die TK damit die richtigen Akzente beim Thema Krebsprävention setzt? Mir scheint, bei den Krankenkassen gibt es im Moment ein ganzheitliches Versagen, was die Abgrenzung gegenüber seltsamen Therapieangeboten und deren Vertretern angeht. Beim Thema Umwelt und Krebs hätte es jedenfalls seriösere und für eine wissenschaftlich fundierte Patienteninformation geeignetere Partner für eine Tagung gegeben – um es einmal ganz vorsichtig zu formulieren.
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