Was es mit dem Sokal-Hoax auf sich hat, muss man hier wohl niemandem erklären. Jargon sells, könnte man die zentrale Botschaft der Einreichung eines Nonsens-Artikels über die transformative Hermeneutik der Quantengravitation durch Alan Sokal 1995 bei einer sozialwissenschaftlichen Zeitschrift nennen. Sokal ging es darum, darauf aufmerksam zu machen, dass sich häufig wissenschaftlicher Unsinn in postmoderner Sprache tarnt und als Wissenschaft durchgeht. In ihrem Buch „Eleganter Unsinn“ haben Alan Sokal und Jean Bricmont die Story aufgearbeitet und viele Beispiele für inhaltsleere Sprachfiguren bei berühmten postmodernen Philosophen zusammengestellt. Der Philosoph Paul Boghossian hat 1997 in der ZEIT den Fall als Symptom des Verfalls wissenschaftlicher Standards und intellektueller Verantwortung bezeichnet, eine Diagnose, auf die ich gleich noch einmal zurückkomme.
Sokal musste seinen Artikel noch mühevoll in Handarbeit erstellen. Inzwischen gibt es im Internet Textgeneratoren für Nonsens-Artikel und seitdem werden immer wieder kunstvolle Produkte der Sinnleere bei Tagungen und Zeitschriften eingereicht, um peer reviews zu testen.
Gerade geht wieder ein Fall durch die Medien. Der Philosoph Peter Boghossian – kein Pseudonym von Paul Boghossian – und der Mathematiker James Lindsay haben einen Artikel über den Penis als sozialem Konstrukt in der Zeitschrift „Cogent Social Sciences“ untergebracht. Die Gutachter werden im SPIEGEL mit wertschätzenden Bemerkungen, die sie zum Artikel gemacht haben, zitiert. Peinlich peinlich, und witzig.
Die Frage ist, was der aufgewärmte Sokal-Hoax bringt. Natürlich, man kann sich wieder einmal über diese blöden Sozialwissenschaften und die Gender Studies amüsieren – wenn man die Bücher „Irrwitziges aus der Wissenschaft“ oder „Fälscher, Schwindler, Scharlatane“ von Heinrich Zankl nicht kennt, sonst bleibt einem nämlich auch mit Blick auf andere Wissenschaften das Lachen im Halse stecken.
Und an der Stelle möchte ich auf Paul Boghossians Diagnose zurückkommen. Vor zwei Jahren hatte ich hier über eine gefakte Studie zur Gewichtsreduktion durch Schokolade berichtet. Sie ging weltweit durch die Medien. Mit der „Studie“ verband sich die Absicht, auf den Studienmüll in den Ernährungswissenschaften aufmerksam zu machen, also wissenschaftliche Standards und intellektuelle Verantwortung einzufordern. Selbstkritische Reflexionen bei den Ernährungswissenschaften konnte die Studie allerdings nicht auslösen, stattdessen hat sie kurioserweise dem beteiligten Arzt den Vorwurf eingebracht, berufsethische Grundsätze verletzt zu haben.
Seit Jahren gibt es Anstrengungen, in der Medizin, den Biowissenschaften oder der Psychologie den Studienmüll einzudämmen. Dabei geht es weniger um Binnenkonsens-Zeitschriften aus den Randbereichen der Komplementärmedizin, bei denen zuweilen auch die Autoren nicht wissen, dass sie Unsinn einreichen, sondern um Kernbereiche der experimentellen Forschung, vor allem in der Medizin. „Increasing value, reducing waste“ war eine Artikelserie dazu im renommierten Lancet vor einigen Jahren überschrieben und das Netzwerk Evidenzbasierte Medizin hatte dem Thema die letzte Jahrestagung gewidmet. Die Notwendigkeit des Vorhabens sollte jedem einleuchten: In der Medizin kann Studienmüll lebensgefährlich werden, weil er den Blick auf die Evidenzbasis von Behandlungsverfahren verstellt.
Die Wiederherstellung wissenschaftlicher Standards und intellektueller Verantwortung in den genannten Wissenschaftsbereichen scheint mir die Herausforderung der Zeit zu sein. Für die Psychologie hat übrigens gerade der Münchner Psychologe Felix Schönbrodt im Laborjournal dazu Stellung genommen. Es geht um mehr Qualität und weniger Quantität. Noch einmal eine sozialwissenschaftliche Zeitschrift mit postmodernem Geschwurbel vorzuführen, ist zweifellos amüsant, aber sonst? Wo ist gegenüber dem Sokal-Hoax die neue Botschaft?
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