Die Markt Schwabener Sonntagsbegegnungen waren hier im Blog schon dreimal Thema, einmal anlässlich eines Gesprächs zwischen Christoph Süß und Werner Bartens über das, was ein gutes Leben ausmacht, dann anlässlich eines Rückblicks von Hans-Jochen Vogel und Gerhard Schröder auf ihre politischen Lebenswege und zuletzt anlässlich eines Gesprächs zwischen dem bayerischen Landescaritas-Direktor Bernhard Piendl und dem Landesvorsitzenden der Arbeiterwohlfahrt Thomas Beyer zum Thema Helfen.
Heute war ich wieder einmal dort, es war das 25-jährige Jubiläum der Veranstaltungsreihe. Sie wird vom früheren Markt Schwabener Bürgermeister Bernhard Winter organisiert und war von Anfang an ein Format auch mit prominenten Gästen. Die damalige Bundestagsvizepräsidentin Renate Schmidt bestritt 1992 die erste Sonntagsbegegnung, mit dem angesichts von Trump & Co. gerade wieder intensiv diskutierten Thema „Politik und Glaubwürdigkeit“.
Die heutige Sonntagsbegegnung fand – zum fünften Mal inzwischen – in der Orthopädischen Kinderklinik Aschau statt. Es ging um „Gesundheit, Werte und Glück“* mit den Gesprächspartnern Hermann Gröhe, derzeit Bundesgesundheitsminister, und Alois Glück, dem ehemaligen bayerischen Landtagspräsidenten.
Der rote Faden des Gesprächs war die Frage „Was ist in der Medizin erlaubt?“, ein Faden, den die beiden Politiker angesichts von neuen medizinischen Möglichkeiten vom Lebensanfang bis zum Lebensende spannen. Ausgehend von der Feststellung, dass der medizinische Fortschritt mit neuen Behandlungsoptionen stets auch ethischen Entscheidungsbedarf erzeugt, ging es u.a. um diese Fragen:
• Soll der seit einiger Zeit verfügbare nichtinvasive Pränataltest auf bestimmte Chromosomenstörungen wie Trisomie 21 von den Krankenkassen übernommen werden oder nicht? Eine Fruchtwasseruntersuchung oder die Chorionzottenbiopise, mit denen Trisomie 21 festgestellt wird, wird von den Krankenkassen übernommen. Sie sind medizinisch risikoreicher. Also eine klare Sache, oder doch nicht? Welchen Stellenwert sollen die Kosten des neuen Tests haben? Welchen Stellenwert falsch positive oder falsch negative Ergebnisse? Wäre es überhaupt vertretbar, den besseren Test den Privatzahlern vorzubehalten?
• Wie ist angesichts der immer weiterreichenden diagnostischen Möglichkeiten das Recht auf Nichtwissen für die Betroffenen (und ihre Angehörigen) zu wahren?
• Wie verlässlich ist der Datenschutz bei der elektronischen Gesundheitskarte? Reicht es, dass abgesehen vom Notfalldatensatz alle Optionen vom Patienten freigeschaltet werden müssen?
• Ist die CRISPR/CAS-Methode, das vielzitierte „Gen-Editing“, das Patentrezept zur Heilung genetisch bedingter Krankheiten, vielleicht sogar zur Verbesserung des Menschen, oder geht es auch hier um ethische Abwägungsfragen? Die Mitentdeckerin der Methode, Emmanuelle Charpentier beispielsweise sei, so Gröhe, hier recht skeptisch.
• Wie kann man die Palliativmedizin und die Palliativpflege weiter stärken, aus der Einsicht heraus, dass es am Lebensende zunehmend nicht mehr nur darum geht, das Leben zu verlängern, sondern vor allem auch, die Lebensqualität zu verbessern? Glück und Gröhe waren hier sehr klar: hier sei eine Umorientierung nötig, im Behandlungsalltag wie in der Ausbildung.
• Stehen ökonomische Überlegungen dem ärztlich verantwortungsvollen Handeln immer antagonistisch gegenüber? Wann geht beides Hand in Hand? Sind gerade bei neuen, komplexen Verfahren Mindestmengenvorgaben sowohl ökonomisch sinnvoll als auch ethisch geboten, weil sie die Behandlungsqualität verbessern?
• Müssen ethische Maßstäbe in der Medizin weltweit durchgesetzt werden, damit es nicht zu ethisch prekären Verwerfungen zwischen den medizinischen Angeboten in den verschiedenen Ländern kommt?
• Nicht vertieft wurde der Bezug solcher Fragen zum Thema Glück, dieser Teil des Veranstaltungstitels war sozusagen nur in personam vertreten.
Die – unvollständige – Liste der Gesprächspunkte lässt schon erkennen, dass das Gespräch der beiden Politiker ein Schnelldurchgang durch viele unterschiedliche Themen war, jedes komplex, jedes mit genug Stoff für eine eigene Veranstaltung. Dass vertiefende Analysen da keinen Raum hatten, versteht sich von selbst. Das Zuhören hat sich dennoch gelohnt. Beide haben sich erkennbar auf die Probleme eingelassen, sich nicht in Politikersprechblasen zurückgezogen, sozusagen ein Stück glaubwürdige Politik vorgezeigt, um das Thema der ersten Sonntagsbegegnung 1992 aufzunehmen. Wenn es so läuft, kann man Alois Glück bei seinem Fazit am Ende zustimmen, dass Foren wie die Markt Schwabener Sonntagsbegegnungen heute für politische Verständigungsprozesse besonders notwendig sind. Da könnte sich manche Talk Show eine Scheibe abschneiden.
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* Nachtrag 26.6.2017: Beim Titel der Veranstaltung ist mir ein komischer Fehler unterlaufen. “Gesundheit, Werte, Zukunft” hieß es in Wirklichkeit, nicht “Gesundheit, Werte, Glück”. Ich hätte geschworen … Ob Freud grüßen lässt?
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