Im Schatten der approbierten Ärzte und Psychotherapeuten gibt es in Deutschland noch einen Beruf, der ganz offiziell die Heilkunde ausüben, also Krankheiten behandeln darf: die Heilpraktiker. Grundlage ihres Tuns sind das Heilpraktikergesetz und die daran anschließenden Rechtsvorschriften. Vorgaben zur Ausbildung gehören nicht dazu. Heilpraktiker kann im Grunde jeder werden. Voraussetzungen sind lediglich ein Mindestalter von 25 Jahren, der Hauptschulabschluss, die gesundheitliche, geistige und sittliche Eignung sowie ein amtliches Führungszeugnis ohne Vorstrafeneintrag, das nicht älter als 3 Monate ist. Damit kann man zur amtlichen Heilpraktikerprüfung beim Gesundheitsamt antreten. Die Prüfung soll sicherstellen, dass der angehende Heilpraktiker keine Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung darstellt. Die Prüfung ist zwar nicht ganz so einfach, wie Kritiker manchmal vermuten, aber der Stoff lässt sich lernen und nach der Prüfung sieht man das Gesundheitsamt nie wieder. Das hat gar keine Ressourcen, um der altehrwürdigen Aufgabe der Medizinalaufsicht bei Heilpraktikern wirksam nachzugehen. Und auf die eigenen Patienten ist Verlass, die sterben eher an einer alternativen Krebstherapie, als beim Gesundheitsamt nachzufragen, was der Heilpraktiker mit ihnen macht.
Natürlich gibt es viele Heilpraktiker, die ihren Patienten helfen und keine Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung darstellen. Das wird insbesondere für Heilpraktiker mit sektoralen Erlaubnissen gelten, das sind meist Heilpraktiker, die eine Ausbildung z.B. als Psychologen, Podologen oder Physiotherapeuten haben und über die Heilpraktikerprüfung eine auf ihr Gebiet eingeschränkte Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde erwerben. Sie können dann ohne ärztliche Überweisung bzw. ohne für einen Arzt zu arbeiten, tätig werden. Für Psychotherapeuten ist das eigentlich seit dem Psychotherapeutengesetz nicht mehr nötig, aber das ist eine der unwichtigeren Formen des Wildwuchses im Heilpraktikerwesen.
Gravierender ist, dass man nicht weiß, was Heilpraktiker tun. Wir wissen nicht einmal sicher, wie viele es in Deutschland gibt. Im Mikrozensus, einer repräsentativen amtlichen Statistik auf Befragungsbasis werden sie unter der Bezeichnung „Berufe in der Heilkunde und Homöopathie“ erfasst. 47.000 soll es demnach im Jahr 2015 gegeben haben, stark zunehmend. Aber ob die Zahl stimmt und wie viele im Mikrozensus, weil sie „nur nebenbei ein paar Sachen“ machen, nicht mitgezählt werden, weiß man nicht. Ausgehend von den Daten der Gesundheitsämter ergäben sich jedenfalls deutlich höhere Zahlen.
Und wie gesagt, wir wissen nicht, was sie tun. Aufsehen hat vor ein paar Monaten der Fall eines Heilpraktikers in Brüggen erregt, weil er Krebspatienten mit einem nicht zugelassenen Mittel behandelt hat und einige daran gestorben sind. Für kurze Zeit war die Politik aufgeschreckt und es gab forsche Ankündigungen, im Heilpraktikerrecht nachzubessern, aber nach dem ersten Schreck ist es wieder ruhig darum geworden. Die Lobby ist stark und die Politik weiß, dass große Teile der Bevölkerung alternativmedizinische Angebote nachfragen. Wozu sich also ohne Not in Konflikte begeben, gar im Wahljahr. Politische Kalküle sind keine Übungen in wissenschaftlicher Integrität.
Und so machen neben den Heilpraktikern, die ihren Patienten wirklich Gutes tun, auch die weiter, die Schlangenöl verkaufen und ihren Patienten schaden, die Krebs homöopathisch, durch Handauflegen oder mit Ozon behandeln, unter den Augen der Behörden und mit freundlicher Unterstützung „aufgeschlossener“ Krankenkassen. Ihre Verbände schützen sie, indem sie von „einzelnen schwarzen Schafen“ sprechen, die es bei den Ärzten doch auch gebe, ohne dass man gleich die Ärzte abschaffen wolle. Dass es auch bei den Ärzten schwarze Schafe gibt, stimmt natürlich, aber die ärztliche Versorgung ist um Klassen transparenter. Hier hat die Versorgungsforschung bei der Durchleuchtung dessen, was Ärzte tun, was sie verordnen, wie leitliniengerecht sie arbeiten, wie sie kooperieren und was sie gut oder weniger gut machen, schon ein erhebliches Stück Weg hinter sich.
Zur Arbeit der Heilpraktiker gibt es keine Versorgungsforschung. Im Abseits des Wegschauens gedeiht dort dann eben so manches, was manchmal, siehe Brüggen, wie eine Eiterbeule aufbricht. Es wäre an der Zeit, dass sich die Versorgungsforschung um die Welt der Heilpraktiker kümmert, damit wir wissen, was sie tun und was dann der Gesetzgeber zu tun hätte. Von mir aus kann man aus Gleichbehandlungsgründen gern auch schauen, wie viele Hausärzte gar kein hausärztliches Tätigkeitsprofil haben, sondern esoterischem Firlefanz frönen und in manchen Gegenden den Versorgungsgrad für die Bedarfsplanung noch bedeutungsärmer machen, als er es ohnehin schon ist. Versorgungsforschung – an die Arbeit!
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