In der Talk Show „Anne Will“ konnte man gestern ein Wetterleuchten der Koalitionshoffnungen der SPD sehen: Olaf Scholz, Erster Bürgermeister von Hamburg und stellvertretender SPD-Vorsitzender, hat eine Sendung lang Sarah Wagenknecht von den Linken als Verschwörungstheoretikerin beschimpft und jedwede Mitverantwortung der SPD für die differentielle Lohnentwicklung in Deutschland bestritten. Vor ein paar Tagen ging eine Studie durch die Medien, nach der die unteren 40 % der Einkommensbezieher im Grunde dastehen wie vor 20 Jahren und die Vermögensverteilung sogar noch viel ungleicher geworden sei.
Das Thema, von Anne Will unter dem Stichwort „soziale Gerechtigkeit“ im Prinzip als rotrotes Konsensthema serviert, wurde von Scholz aber durch dessen Angriffe auf Wagenknecht regelrecht entschärft. Der ebenfalls bei Anne Will mitdiskutierende Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet, hatte es daher leicht, die Lohn- und Vermögensentwicklung auszublenden und stattdessen die hohe Beschäftigungsquote als Ausweis der guten Lage Deutschlands hochzuhalten. Anne Will war sichtlich irritiert von Scholz, aber dessen Frontlinie war eindeutig: gegen die Linke.
Zwar saß in der Runde mit Wagenknecht, Scholz und Laschet nur die zweite Garnitur der Parteiführungen, aber das Signal war eindeutig. Die SPD glaubt offensichtlich nicht mehr an Rotrotgrün, sie fürchtet wohl eher, dass es für Schwarz-Gelb reichen könnte und kämpft jetzt für die Option, wenigstens wieder in einer großen Koalition mitmachen zu dürfen. Gleichzeitig muss der Spitzenkandidat Schulz derweil öffentlich weiter vorgeben, Kanzler werden zu wollen, weil alles andere ganz desaströs wäre – und wird von Scholz durch die Ablehnung der einzigen dafür denkbaren Option zum Traumtänzer gemacht.
Kommentare (69)