Die gesetzliche Krankenversicherung ist eine Solidargemeinschaft der Versicherten. Sie soll ihr Geld daher sinnvoll und sparsam ausgeben. In § 2 SGB V heißt es: „Krankenkassen, Leistungserbringer und Versicherte haben darauf zu achten, dass die Leistungen wirksam und wirtschaftlich erbracht und nur im notwendigen Umfang in Anspruch genommen werden.“ In die gleiche Richtung geht § 12 SGB V: „Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen.“ Als konkretisierende Bestimmung heißt es weiter in § 2 SGB: „Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen.” Mit solchen Formulierungen hat die evidenzbasierte Medizin vor Jahren Einzug ins Sozialversicherungsrecht gehalten.
Klar, die Kassen geben trotzdem auch Geld für unnötige Dinge aus und im Falle der „besonderen Therapierichtungen“ ist das sogar ausdrücklich im SGB V vorgesehen. Gute Lobbyarbeit zahlt sich eben aus. Auf der anderen Seite übernehmen die Krankenkassen manches nicht, was sinnvoll wäre, die Brillen sind eines der bekannteren Beispiele.
Die privaten Krankenkassen gehen großzügiger mit Geld der Versicherten um. Sie wollen ja ihren Versicherten mehr bieten als AOK-Kassensozialismus und zudem der „Innovationsmotor“ des Versicherungsmarktes sein. Leider ist das mit Innovationen so eine Sache, neu und ungeprüft ist schließlich nicht immer gut. Die Ärzte wiederum sind auch Unternehmer. Und Menschen wie wir alle. Zwar geloben sie nach der kürzlich neu gefassten Genfer Deklaration des Weltärztebundes, dem Hippokratischen Eid, „mein Leben in den Dienst der Menschlichkeit zu stellen“ und „Die Gesundheit und das Wohlbefinden meines Patienten wird oberstes Gebot meines Handelns sein“, aber natürlich nicht umsonst, Ärzte müssen ja auch von was leben. Von Geld genauer. Das ist auch in Ordnung. Problematisch kann es werden, wenn Ärzte mit den sogenannten „Individuellen Gesundheitsleistungen“, kurz IGeL, zusätzlich Geld verdienen wollen. Diese Leistungen werden von den gesetzlichen Krankenkassen nicht übernommen. Im Gegenteil, mit dem IGeL-Monitor stellen sie Informationen zur Evidenzbasis der Angebote ins Netz. Meist fällt die Bewertung nicht gut aus.
Jetzt hat die Ärztezeitung zusammen mit einem Verbund privatärztlichen Verrechnungsstellen Ärzte zu eben diesen IGeL-Angeboten befragt. Eine etwas seltsame Umfrage: Nur 16 % der teilnehmenden Ärzte waren aus dem ländlichen Raum, nur 29 % weiblich (und 5 % ohne hielten ihr Geschlecht geheim), also sicher nicht repräsentativ. Aber aufschlussreich. Bei den meisten Ärzten machen Selbstzahlerangebote keinen allzu großen Anteil am Umsatz, aber immerhin 15 % gaben an, dass sie damit mehr als 10 % ihres Umsatzes machen. Ich hoffe, sie kommen trotzdem noch ihrem Versorgungsauftrag nach und blockieren nicht in der Bedarfsplanung Kassensitze, obwohl sie die Hälfte ihrer Zeit wer weiß was tun. 40 % gaben nämlich an, zu ihren Selbstzahlerangeboten würde „Alternative Heilmedizin“ gehören, 23 % hatten „Zuwendungsmedizin“ im Angebot. Was das ist, will ich gar nicht so genau wissen. Und die Mehrheit sieht Selbstzahlerangebote als attraktive Perspektive und will dieses Leistungsspektrum künftig ausweiten.
Sehr interessant fand ich diese Frage: „Welche Maßnahmen zur Akzeptanzbeförderung von Selbstzahlerleistungen könnten hilfreich sein?“ Darauf antworteten 16 % mit „Aktiveres öffentliches Engagement der Industrie“, 34 % mit „Gezielte Lobbyarbeit seitens der Ärzteschaft“, und, jetzt kommt’s: 62 % mit „Krankenkassen-unabhängige Evidenz-Analysen von Selbstzahlerleistungen“. Das ist doch erstaunlich offenherzig, was man unter „Evidenz“ versteht: Maßnahmen zur Akzeptanzförderung. So war das mit der evidenzbasierten Medizin nicht gemeint. Außerdem ist es frontal gegen den IGeL-Monitor gerichtet. Das kommentiert der Geschäftsführer des Verbunds privatärztlicher Verrechnungsstellen in der Ärztezeitung so: „Die Betreiber der Plattform Igel Monitor maßen sich an, Dinge zu beurteilen, die das Binnenverhältnis Arzt/Patient betreffen, und das geht nicht.“ Genau, ins Ehebett hat schließlich auch keiner zu gucken. Wo kommen wir da hin, wenn man Dinge wie evidenzbasierte Medizin oder Versorgungsforschung am Ende auch noch ernst nimmt und wissen will, was Ärzte mit ihren Patienten machen. Bei den Heilpraktikern wissen wir es schließlich auch nicht und die fahren doch prima damit.
Wie gesagt, es war keine repräsentative Umfrage und als Meinungsbild „der Ärzteschaft“ nicht zu gebrauchen. Vermutlich war es auch eher als Meinungsmache gedacht. Das Genfer Gelöbnis hat eben einen weiten Mantel.
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