Das Robert Koch-Institut hat zum Welt-AIDS-Tag soeben eine neue Schätzung zur Entwicklung von Inzidenz (neue Infektionen) und Prävalenz (Gesamtzahl der Infizierten) bei HIV in Deutschland veröffentlicht. Durch die inzwischen sehr guten Behandlungsmöglichkeiten nimmt die Zahl der mit dem Virus lebenden Menschen stetig zu. Die Neuerkrankungszahlen stagnieren dagegen.

Das RKI geht davon aus, dass derzeit ca. 90.000 Menschen mit dem Virus in Deutschland leben und mehr als 10.000 davon nichts von ihrer Infektion wissen. Die Zahl der unerkannten Infektionen zu verringern, wäre sowohl mit Blick auf die unwissentliche Weitergabe des Virus als auch mit Blick auf die Chance einer frühzeitigen Behandlung vor Ausbruch von AIDS wichtig.

HIV 1

HIV-Neuinfektionen, Deutschland. Quelle: RKI

HIV 2

Menschen mit HIV, Deutschland. Quelle: RKI

Angesichts der stagnierenden Neuinfektionszahlen wird auch in Deutschland über eine medikamentöse Präexpositionsprophylaxe (PrEP) für Menschen mit besonders hohem Infektionsrisiko diskutiert. Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt PrEP seit 2014 für Hochrisikopersonen. In der Debatte geht es u.a. auch darum, wie praktikabel PrEP im Alltag ist (z.B. mit Blick auf Notwendigkeit begleitender HIV-Tests), ob PrEP zu einem riskanteren Sexualverhalten führen könnte, ob mit den Medikamenten eine Resistenzentwicklung einhergeht, welche Folgen PrEP für die Entwicklung bei anderen sexuell übertragbaren Infektionen hat (anders als bei Kondomen bietet PrEP hier keinen Schutz) oder wie die Frage der Kostenübernahme durch die Krankenkassen vor dem Hintergrund des Verhältnisses von Eigenverantwortung, Prävention und Solidarität zu beurteilen ist.

Kommentare (16)

  1. #1 RainerO
    25. November 2017

    Kann man sagen, dass die doch recht hohe Zahl der Neuinfektionen pro Jahr (ca. 3000) hauptsächlich durch die Personen verursacht werden, die von ihrer Infektion nichts wissen?
    Es wird doch, wenn die Infektion letztendlich doch erkannt wird, im Umfeld recherchiert, oder?

    • #2 Joseph Kuhn
      25. November 2017

      @ RainerO:

      “Kann man sagen …”

      Das liegt ein Stück weit in der Natur der Sache: Je aktueller der Beobachtungszeitraum, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass schon ein HIV-Test durchgeführt wurde und die Infektion aufgedeckt werden konnte. Zu den nicht diagnostizierten Infektionen siehe auch die Erläuterungen des RKI im Epidemiologischen Bulletin 47/2017, S. 538 ff.

  2. #3 RainerO
    25. November 2017

    Danke für den Link.
    Kann man auch abschätzen, wie hoch der Anteil der falsch-negativ Befundeten bei denen ist, die nichts von ihrer Infektion wissen? Gefunden habe ich nur, dass in 3 von 1000 Fällen ein Test (welcher?) falsch-negativ ist. Aktuelle Tests der 4. Generation wären noch treffsicherer. Oder ist der Anteil so niedrig, dass er kaum ins Gewicht fällt?

  3. #5 ajki
    25. November 2017

    Ich vermute, dass da zwischen der “globalen” und der “BRD”-Trendbetrachtung eine gewisse Formulierungsdifferenz besteht. Zur “Globalbetrachtung” heißt es im Blogtext:

    “Die Neuerkrankungszahlen stagnieren dagegen.”

    Die Trendgrafik zu (wahrscheinlich) D. “Menschen mit HIV” passt dann allerdings nicht zur Globalbetrachtung. Möglicherweise ist die globale Trendaussage “stagnieren dagegen” in einem längerfristigen Ansatz auch ein “eyeballing”. Ob es global eine Trendumkehr, einen Plafond oder einen leichten Zuwachs/eine leichte Verringerung gibt, kann man wahrscheinlich nur mit geeigneten Analysemitteln bewerten (den Riesenberg Ersterkrankung bzw. Ersterkennung in den frühen 80ern müßte man ja wohl im Zusammenhang mit einer Trendbetrachtung weglassen).

  4. #6 RainerO
    25. November 2017

    @ ajki
    Aber das mit den Neuerkrankungen und Menschen mit HIV wird ja in Text erklärt. Da immer mehr Menschen mit HIV (fast) normal leben können, es also quasi zu einer chronischen Krankheit geworden ist, werden die damit Lebenden zwangsläufig mehr, da mehr dazukommen, als daran sterben.
    Oder habe ich dich falsch verstanden?

  5. #7 RainerO
    25. November 2017

    @ Joseph Kuhn

    Vielleicht hilft Dir der Beitrag von Rabenau et al.

    Dort werden zwar keine Zahlen genannt, aber ein falsch-negativer Befund dürfte mit Tests der 4. Generation tatsächlich äußerst selten sein. Nur wenn ein begründeter Verdacht einer vor kurzem erfolgten Ansteckung vorliegt (HIV-infizierte Neugeborenen in den ersten 3 Monaten sind auch oft falsch-negativ), wird weiter getestet. Sonst wird davon ausgegangen, dass das Ergebnis stimmt.

  6. #8 Joseph Kuhn
    25. November 2017

    @ ajki:

    … “globalen” und der “BRD”-Trendbetrachtung …

    Sorry, da habe ich mit dem Einstieg über den Welt-Aids-Tag wohl einem Missverständnis Vorschub geleistet. Im Blog geht es nur um deutsche Daten, beide Grafiken bilden die Entwicklung in Deutschland ab (einmal zur Zahl der Neuinfektionen, einmal zur Zahl der infizierten Menschen). Ich habe sicherheitshalber jetzt im ersten Absatz sowie in der Legende der Grafiken “Deutschland” ergänzt.

  7. #9 Dagda
    25. November 2017

    @RainerO

    Wenn man Wikipedia glauben darf, dann liegt die Sensitivität von HIV Tests der 4. Generation bei circa 99,9%, d.H. bei 1000 Infizierten kommt es zu einem falsch negativen Befund. Der entscheidende Vorteil, der Tests der 4. Generation ist, dass das diagnostische Fenster, also der Zeitraum in der man eine Infektion mit dem Test nicht nachweisen kann deutlich kürzer ist. Laut RKI sind das etwa 6 Wochen.

  8. #10 ajki
    25. November 2017

    @Joseph Kuhn, #8

    Kein Grund für ein “sorry” – dafür sind die Kommentierungsmöglichkeiten ja da, um Mißverständnisse auszuräumen. Danke für die Klarstellung.

  9. #11 Kai
    26. November 2017

    Was ich nicht verstehe: Es leben “nur” 90000 Menschen in Deutschland mit dem HIV Virus. Allein dadurch ist doch die Wahrscheinlichkeit, sich anzustecken eher gering. Dazu kommt, dass ja mittlerweile den meisten Menschen klar ist, beim Sex Kondome zu nutzen solange man sich nicht getestet hat. Und laut Wikipedia ist die Ansteckungsrate von HIV auch gar nicht so hoch, die Gefahr sich bei einmaligem Sex anzustecken also sehr gering. Und die Menschen, die in Behandlung sind, bekommen ja Medikamente und sind dadurch ebenfalls weniger ansteckend.
    Vielleicht bin ich naiv. Aber ich verstehe nicht, wieso die Zahl der Neuinfektionen in Industrieländern überhaupt noch so hoch ist. Müsste nicht langsam die Trendwende kommen und die Zahlen zurückgehen bzw. der Virus ganz aussterben? Oder bin ich da zu naiv?

    • #12 Joseph Kuhn
      26. November 2017

      @ Kai:

      “ist doch die Wahrscheinlichkeit, sich anzustecken eher gering”

      Ja, aber das ist für die Beurteilung der Virusausbreitung die falsche Blickrichtung. Da geht nicht darum, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, sich anzustecken, sondern wieviele Menschen ein Mensch mit dem Virus im Schnitt ansteckt. In einer ungeschützten Bevölkerung ist das die sog. “Basisreproduktionszahl”. Sie wird für HIV mit 2-5 angegeben. Durch Kondome etc. liegt die effektive Reproduktionszahl in Deutschland wohl niedriger. Das ist bestimmt auch zu ergoogeln, ich habe es aber auf die Schnelle nicht gefunden. Kann sie unter 1 gedrückt werden, stirbt die Infektion aus.

  10. #13 Dagda
    26. November 2017

    @ Kai.

    Die im Artikel zitierte Arbeit des RKI schreibt dazu auch etwas. Während die Ansteckungsrate sich bei Homosexuellen verringert, steigt sie bei heterosexuellen deutlich und das Krankheitsbewusstsein ist gering, sodass es viele Menschen gibt, die sich nicht oder erst spät testen lassen.

    Die Vermutung liegt nahe, das es daauch mit dem Schutz nicht weit her ist.

  11. #14 Kai
    27. November 2017

    “sondern wieviele Menschen ein Mensch mit dem Virus im Schnitt ansteckt. In einer ungeschützten Bevölkerung ist das die sog. “Basisreproduktionszahl”. Sie wird für HIV mit 2-5 angegeben.”

    Laut Wikipedia liegt die Infektionsrate zwischen 0,08 % (Vaginalverkehr) bis 1,38 % (Analverkehr).
    Wenn dann ein HIV Kranker trotzdem im Schnitt mehr als einen Menschen ansteckt, müsste er doch im Schnitt 72 Mal ungeschützten Verkehr haben. Und das in einem Zeitraum in dem seine Krankheit nicht diagnostiziert wurde. Oder rechne ich gerade völlig falsch?

    Das ist alles möglich, aber auch irgendwie erschreckend. Würden die Menschen entweder Kondome benutzen oder sich regelmäßig testen lassen, sollte HIV in den Griff zu bekommen sein.

    Versteht mich nicht falsch, ich will keine moralische Diskussion ansetzen, das wäre hier verkehrt. Man hört in den Medien nur immer von den Ausrutschern (so nach dem Motto “einmal das Kondom vergessen und dann ist es passiert”), die sicherlich auch wirklich ab und zu passieren. Aber für die effektive Verbreitung des Virus ist ja schon eine gewisse Sorglosigkeit im Umgang mit HIV von Nöten. Und den finde ich in einer Industrienation, wo doch schon in der Schule darüber aufgeklärt wird, erschreckend.

    • #15 Joseph Kuhn
      27. November 2017

      @ Kai:

      Wikipedia verweist zu den von ihnen genannten Daten auf die CDC: https://www.cdc.gov/hiv/risk/estimates/riskbehaviors.html. Es geht dort um das Infektionsrisiko durch bestimmte Risikoexpositionen. Bei (passivem) Analverkehr kommt es lt. CDC zu 138 Infektionen je 10.000 Expositionen, d.h. ein Infektionsrisiko von 1,38 % pro Akt. Entsprechend die 0,08 % bei Vaginalverkehr. Das ist aber jeweils wieder die Blickrichtung, die so noch nichts über die Verbreitungsdynamik des Virus sagt. In die dafür relevante Basisreproduktionszahl gehen alle Risiken ein, auch die durch Nadelteilen oder Bluttransfusionen.

      Womit Sie recht haben, ist der Hinweis auf einen zu sorglosen Umgang mit dem Risiko beim Sex. Aber mit Risiken gehen wir ja auch in anderen Lebensbereichen manchmal recht sorglos um. Durch Aktivrauchen sterben z.B. jährlich 120.000 Menschen vorzeitig, die Zahl der vorzeitigen Sterbefälle durch Passivrauchen wurde vor einigen Jahren einmal auf mindestens 3.300 geschätzt, mehrere zehntausend sterben an Alkoholmissbrauch … und dafür fürchten wir uns von Glyphosat im Bier.